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Traumata bei Kindersoldaten

Christina Ruta12. Februar 2013

Elisabeth Kaiser ist Spezialistin für Traumata ehemaliger Kindersoldaten. Im DW-Interview spricht sie über die Wunden, die die brutalen Erfahrungen in den Seelen der Kinder hinterlassen haben.

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Elisabeth Kaiser von Vivo international (Foto: Vivo International) Projekt in Afghanistan, ausserhalb von Kabul bei einer Befragung auf dem Land Eingestellt: 6.2.2013
Bild: Vivo International

DW: Frau Kaiser, welche traumatischen Situationen haben die Kinder durchleben müssen?

Elisabeth Kaiser: Ich würde Ihnen gerne etwas dazu vorlesen. Wir haben in Norduganda, so um 2003/2004 als Joseph Kony aktiv war, 1200 Kinder gefragt, was sie während der Zeit ihrer Gefangenschaft machen mussten. Sie haben Folgendes geantwortet: "Überfälle auf andere Dörfer verüben und Kinder entführen, dabei Menschen bedrohen und töten, auch nahestehende Angehörige, um nicht nach Hause zu gehen; Essen stehlen; Häuser anzünden." Etwa 40 Prozent der Kinder haben berichtet, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt ihrer Entführung gezwungen wurden, einen Menschen zu töten, zu schlagen oder ihm Gliedmaßen wie Hände, Arme, Beine oder Füße abzuschneiden. Manche Kinder mussten als Bestrafung Menschenfleisch essen, tote Körper kochen, ihnen die Haut abziehen und sie in Stücke schneiden. Und sowohl bei Mädchen als auch bei Jungen haben wir eine sehr hohe Vergewaltigungsrate. Die Bedrohung, selbst zu irgendeinem Zeitpunkt getötet zu werden, haben fast alle Kinder erlebt.

Wie lange sind die Kinder durchschnittlich dieser Situation ausgesetzt?

In dem Gebiet in Norduganda, wo wir heute noch eine Ambulanz haben, gibt es Communities, da ist fast jedes oder jedes zweite Kind einmal entführt worden - viele Kinder mehrmals. Das kann nur ein Tag sein oder auch Monate, oft Jahre.

Was machen diese schrecklichen Erlebnisse mit den Kindern?

Da gibt es zwei verschiedene Phänomene: Viele haben, wie man sich das auch als Außenstehender so vorstellt, posttraumatische Belastungsstörungen. Je mehr traumatische Erlebnisse ein Mensch erlebt, umso wahrscheinlicher ist es, dass er eine psychiatrische Erkrankung entwickelt. Bei der posttraumatischen Belastungsstörung reicht es schon, dass ein Auslöser, wie der Geruch von Blut, das ganze Netzwerk an Traumata wieder aufleben lässt. Damit einher geht meist Übererregung, Aggressivität, Depressionen, irgendeine Form von Sucht und eine Reihe psychosomatischer Erkrankungen - auch Krebs. Mehr als ein Drittel (35%) der Kinder haben den Wunsch, nicht mehr leben zu müssen, viele davon haben einen ersten Suizidversuch bereits hinter sich.

Und dann gibt es noch einen Teil der Kinder, der scheinbar gar keine Symptome hat. Da haben wir jetzt entdeckt, dass es eine Aggressionsart gibt, die wir "appetitive Aggression" nennen: je höher die ist, desto niedriger sind die Traumasymptome. Wir denken, dass die Kinder durch ihre Zeit als Soldat eine Lust am Grausamsein und Töten "erlernt" haben, die sie in der Situation selber am Leben erhalten hat. Aber in der zivilen Gesellschaft ist diese Gewaltlust eine Pathologie, damit kann man in einer normalen Familie oder Gemeinde kaum leben. Die Kinder, die diese appetitive Form der Aggression erlernt haben, suchen die Aggression, das Schmerzzufügen und das Töten. Insofern haben wir also zwei Arten psychischer Erkrankungen, die beide behandelt werden müssen.

Welche Folgen hat der Einsatz von Kindersoldaten denn auf der gesellschaftlichen Ebene?

Die traumatisierten Kinder, die depressiv sind und beispielsweise sogenannte Flashbacks haben, gelten oft als verrückt, sie sind hochstigmatisiert. Sie kriegen dann etwa nicht das Land ihrer Eltern und Großeltern zugeschrieben, weil die Großfamilie denkt, dass diese Person keine Familie ernähren kann. Diese Menschen können auch beispielsweise nicht Dorfältester werden und es wird ihnen keine Verantwortung übertragen, wie es in traditionellen Gesellschaften für Erwachsene üblich ist. Natürlich sind auch die Mädchen stark stigmatisiert, die vergewaltigt wurden und mit Kindern von Kommandanten aus dem Krieg nach Hause kommen. Solche Mädchen haben keine Chance, im Dorf noch einmal einen Mann zu finden. Sie bleiben arm und ihre Kinder auch. Das alles kann zum Zusammenbruch der Gemeindestruktur führen, weil ja das normale Familiensystem sowieso durch Tod und Vertreibung weg ist - und dann kommt noch die Dysfunktionalität dieser vielen Menschen hinzu. Wie sollen die gutgemeinten Maßnahmen, wie Berufs- oder Schulbildung, oder Entwicklungsmaßnahmen wie Brunnenbau da erfolgreich sein. Früher war die Logik: Erst Brunnenbauen, den Leuten wieder ihre Felder geben und Körpergesundheit herstellen, dann erst die psychosoziale Hilfe. Unsere Erfahrung ist, dass das genau andersherum sein muss.

Kann man verkürzt sagen, dass sich aggressive Gesellschaften reproduzieren?

Ja, natürlich. Sie haben da einen Zyklus von Gewalt, der über Generationen geht. Wir wissen zum Beispiel auch, dass sich bei ungeborenen Kindern von Frauen, die in der Schwangerschaft Gewalt erleben - und da reicht eine Bedrohung - die Lesbarkeit und Ausprägung der DNA verändern kann. Die Kinder können dann eine Disposition zu aggressivem Verhalten entwickeln, ohne je selbst Gewalt erlebt zu haben. Diesen Zyklus von Gewalt zu verstehen und präventiv so früh wie möglich einzugreifen, ist unsere Aufgabe.

Elisabeth Kaiser ist Therapeutin und hat sich auf Traumabehandlung von ehemaligen Kindersoldaten spezialisiert. Mit Ihrer Hilfsorganisation Vivo International war sie mehrfach in verschiedenen afrikanischen Ländern und hat die Betroffenen vor Ort unterstützt.