Nordkorea, der Klickzahlengarant
28. April 2017"Todesspiel". So titelte das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" vor Kurzem. Unterzeile: "Donald Trump und Kim Jong Un riskieren den Atomkrieg". Dazu eine Zeichnung, auf der der amerikanische Präsident und der nordkoreanische Führer nur mit windelartigen Hosen bekleidet auf einer Bombe sitzen.
Allein die Aufmachung des Heftes ist ein Blickfang, soll neugierig machen. Genau wie auch die Titel anderer deutschsprachiger Zeitungen oder Magazine. Momentan vergeht kein Tag, an dem nicht über Nordkorea berichtet wird. Das Spektrum der Überschriften reicht von "Der Atomtester" (Berliner Zeitung) über das "Gleichgewicht des Schreckens" (NZZ) bis zum "Kriegsspiel des Kim Jong Un" (Focus). Das Interesse der deutschen Leser muss allerdings nicht extra geweckt werden. Es ist bei vielen sowieso schon da, wenn es um Nordkorea geht.
Nordkorea interessiert - egal, worum es geht
In zuverlässiger Regelmäßigkeit produziert Nordkorea Schlagzeilen, nicht nur durch die bislang fünf Atomtests und andere militärische Provokationen. Praktisch alles, was aus dem international isolierten und weitgehend abgeschotteten Reich der Kims kommt, ist spannend. Da gibt es eher weiche Geschichten mit geringerem Nachrichtenwert wie beispielsweise die Eröffnung eines Vergnügungsparks oder eines Reitclubs in Pjöngjang. Es gibt aber auch ganz andere, verstörende Meldungen.
Zwei Beispiele: Im Februar wurde der ältere Halbbruder Kim Jong Uns, Kim Jong Nam, in Malaysia am Flughafen von Kuala Lumpur vergiftet. Er starb nach einer Attacke mit dem verbotenen Nervenkampfstoff VX. Es wird vermutet, dass Nordkorea hinter dem Anschlag steckt, Pjöngjang allerdings bestreitet das. Und im Dezember 2013 ließ Kim Jong Un seinen eigenen Onkel und ehemaligen Mentor Jang Song Thaek hinrichten - wegen staatsfeindlicher Aktionen, hieß es.
Gruselfaktor inbegriffen
Die genauen Hintergründe sind auch hier bis heute nicht komplett geklärt. Und das ist es, was viele Geschichten aus und über Nordkorea gemeinsam haben. Und was sie vielleicht sogar zusätzlich interessant macht. Denn da, wo es vergleichsweise wenig gesicherte Informationen gibt, entsteht viel Raum für Spekulationen. Als regelrechten Gruselfaktor beschreibt Literatur- und Medienwissenschaftler Eckhard Pabst das Phänomen. "Ich glaube, von totalitären Systemen geht eine gewisse Faszination aus, weil dort alles und jedes durch dieselbe Idee erklärt und aus derselben Idee heraus motiviert ist."
Pabst lehrt an der Uni Kiel. Außerdem ist er Programmleiter des "Kommunalen Kinos in der Pumpe" - und holte in dieser Funktion erstmals nordkoreanisches Kino nach Deutschland. Dreimal schon fanden in Kiel seit 2011 Nordkorea-Filmwochen statt, einmal - im September 2012 - war Pabst selbst in Nordkorea, zum Gegenbesuch beim Internationalen Filmfestival in Pjöngjang.
Geteilte Länder, doppeltes Interesse?
Gerade für ein deutsches Publikum sei Nordkorea besonders interessant, glaubt er. Das hänge mit der eigenen Geschichte zusammen. "Wir haben selbst eine diktatorische Vergangenheit, mit der wir uns immer wieder auseinandersetzen. Wir arbeiten uns daran ab, auch indem wir auf andere Diktaturen schauen."
Ähnlich sieht es auch Stephan Weichert, Professor für Journalismus und Kommunikationswissenschaft an der Hamburg Media School. "Natürlich kann man den Nationalsozialismus nicht mit der Situation in Nordkorea vergleichen. Aber es gibt eine andere Parallele. Deutschland war ein geteiltes Land, Korea ist es noch. Und die DDR unterhielt freundschaftliche Beziehungen zu Nordkorea." Besonders für ältere Generationen sei das Land daher nicht so weit weg wie auf der Weltkarte.
Einen weiteren Grund für die Faszination, die von Nordkorea-Themen ausgeht, ist nach Ansicht von Weichert die Herrscherfamilie Kim selbst - und die Selbstinszenierung des jeweiligen Herrschers. Während es von Kim Jong Uns 2011 verstorbenen Vater Kim Jong Il kaum Bild- und Tonaufnahmen gibt und er selten publikumswirksam auftrat, nutzt der jetzige Diktator die Öffentlichkeit als tägliche Bühne. "Kim Jong Un tritt in regelrechter Youtube-Star-Manier auf, lässt sich von den Massen feiern."
Neugieriger Blick auf den schlimmsten Alptraum
Dazu kommt: In den USA sitzt seit Anfang des Jahres mit Donald Trump ein Präsident im Weißen Haus, dessen Nordkorea-Politik anders als die seiner Vorgänger noch mit vielen Fragezeichen versehen ist. Auch das spielt laut Stephan Weichert eine Rolle. Der Unsicherheits-Faktor und die Sorge vor einer Eskalation würden zusätzlich dafür sorgen, dass das Publikum in Deutschland die Entwicklungen genau verfolge.
Für Eckhard Pabst gibt es noch einen weiteren Grund dafür, dass Nordkorea-Themen gut ankommen. "Meine These ist, dass Nordkorea uns ein Gegenbild zu uns selbst liefert. Ein Bild, das viele unserer Idealvorstellungen ins absolut Negative spiegelt, viele der Standards, die wir für wahr, richtig und gut halten. All das sehen wir dort ins Gegenteil verkehrt." Und genau das gebe dem Betrachter von außen gleichzeitig das Gefühl, es selbst besser zu machen.
Journalismus unter ständiger Aufsicht
Ihre Sache für User, Leser, Hörer und Zuschauer gut zu machen, das versuchen auch die internationalen Medien. Und stoßen dabei in Nordkorea immer wieder an Grenzen. Die meisten Berichte werden in Büros in Südkorea, China, Japan, den USA oder Europa geschrieben und nicht im Land selbst. Denn der Zugang für ausländische Journalisten unterliegt strengen Kontrollen, jeder Schritt muss von den Behörden genehmigt werden. Und wenn internationale Reporter oder Korrespondenten ein Visum bekommen haben und tatsächlich vor Ort sind, dann sind sie selbstverständlich niemals allein unterwegs, sondern haben immer nordkoreanische "Begleiter" an ihrer Seite.
Nur zu Großereignissen werden gezielt größere Gruppen von Journalisten ins Land gelassen. So waren beispielsweise bei den Feierlichkeiten anlässlich des 105. Geburtstags von Staatsgründer Kim Il Sung Mitte April mehr als 120 Pressevertreter eingeladen. Normalerweise aber gibt es kaum ausländische Korrespondenten, die tatsächlich dauerhaft im Land vertreten sind. Nur zwei westliche Nachrichtenagenturen unterhalten ein eigenes Büro in Pjöngjang. Den Anfang machte 2012 AP (Asociated Press). Im Januar 2016 verkündete dann auch AFP (Agence France Press) die Eröffnung einer Zweigstelle.
Berichterstattung unter erschwerten Bedingungen
Sowohl aus redaktioneller als auch aus kommerzieller Sicht sei es sinnvoll, in Nordkorea vertreten zu sein, sagte Philippe Massonet, Leiter der AFP-Asien-Pazifik-Zentrale, damals der DW. Er bezeichnete es als seltene Gelegenheit, die AFP einfach nutzen wollte. "Es ist eine große Chance, aus einem Land zu berichten, in das nur sehr wenige Journalisten regelmäßig reisen können. Trotz aller Regeln denke ich, dass es genug Raum gibt, um journalistisch aus Nordkorea zu berichten."
Diesen Raum erkämpfte sich auch Jean H. Lee. Immer wieder aufs Neue. Sie baute das AP-Büro in Pjöngjang auf und leitete es mehrere Jahre. Heute lebt sie hauptsächlich in Seoul und arbeitet als Global Fellow für das Washingtoner Wilson Center. Es sei ein ständiges Ringen um den Zugang zu Themen gewesen, sagt sie rückblickend. "90 Prozent meiner Zeit habe ich damit zugebracht, mir das das Recht zu erkämpfen, mir meine eigenen Geschichten auszusuchen." In einem Land, in dem Ausländer ohne Erlaubnis nicht einmal einen Spaziergang machen dürften, sei es ein großer Erfolg, dafür Genehmigungen zu bekommen. "Das waren hart umkämpfte Erfolge. Jede einzelne Story war eine Herausforderung, und die Verhandlungen im Vorfeld haben sich über Monate hingezogen." Und immer wieder habe sie während ihrer Zeit in Pjöngjang zu hören bekommen, dass sie die erste amerikanische Journalistin sei, der Zugang zu dieser oder jener Fabrik, Schule oder Farm gewährt wurde.
Propagandafalle Staatsmedien
Nordkorea gehöre zu den schwierigsten Ländern für jeden Korrespondenten, meint Jean H. Lee - zum Einen aufgrund des begrenzten Zugangs, zum Anderen wegen des Mangels an belastbaren und bestätigten Informationen. Eine problematische Kombination, die sich auch in der Berichterstattung niederschlägt. "Wenn man von außen über Nordkorea schreibt, ist man auf die Berichterstattung der staatlichen Medien angewiesen, und das ist natürlich Propaganda. Es dauert seine Zeit, bis man diese Propaganda richtig deuten und die eigentliche Nachricht herausfiltern kann. Für einen ungeübten Leser klingt leider alles an der nordkoreanischen Rhetorik beängstigend - und viele Medien fallen darauf herein und berichten genau das. Allerdings wird die ausländische Berichterstattung langsam aber stetig besser."
Warum Nordkorea-Themen auch im weit entfernten Ausland interessieren, das ist für Lee ganz einfach zu erklären. "Nordkorea ist nach wie vor ein geheimnisvolles Land und außerdem das letzte Überbleibsel des Kalten Krieges. Deshalb sind die Menschen fasziniert davon. Und die Nordkoreaner wissen das und spielen mit diesem Image." Auch Journalisten zieht diese Mischung traditionell an, insbesondere natürlich in angespannten Zeiten. So machte "Der Spiegel" beispielsweise auch im Februar 2005 - anderthalb Jahre vor dem ersten nordkoreanischen Atomtest - mit Nordkorea auf. Titel damals: "Der Irre mit der Bombe". In der Geschichte ging es um Kim Jong Uns Vater Kim Jong Il. Der Titel allerdings ist auch heute noch aktuell.