Kim Jong Un setzt auf Putins "Partnerschaft mit Nordkorea"
13. Juni 2024Schüsse in der entmilitarisierten Zone, "Müllballons" sowie Propaganda aus Lautsprechern: Die Spannungen zwischen Nord- und Südkorea haben sich in den vergangenen Wochen verschärft.
Die Erklärungen für die angespannte Lage variieren. Einige gehen davon aus, dass der nordkoreanische Diktator Kim Jong Un jeden Anschein einer Zusammenarbeit mit dem Süden aufgegeben hat. Andere hingegen vermuten, er rühre die Kriegstrommel, um die Bevölkerung im Land abzulenken.
Doch es gibt noch eine andere, weitaus beunruhigendere Erklärung. Einige Analysten sehen in der jüngsten Eskalation ein Zeichen dafür, dass Machthaber Kim es nach langem Bemühen geschafft habe, sich Russlands Rückendeckung zu sichern. Er vertraue nun darauf, dass der russische Präsident Wladimir Putin ihn im Bedarfsfall militärisch unterstützen würde.
Dies könnte Kim dazu bringen, die sogenannten roten Linien zu überschreiten, die seit dem Ende des Koreakrieges 1953 den Waffenstillstand aufrechterhalten haben. Darüber hinaus befürchten politische Beobachter, dass selbst ein kleinerer Zusammenstoß zu Lande, zu Wasser oder in der Luft sehr schnell eskalieren könnte.
"Partnerschaft mit Nordkorea"
"Wir können eindeutig feststellen, dass sich das Verhalten Nordkoreas in letzter Zeit geändert hat und aggressiver geworden ist", sagte Hyun Seung-soo, Experte für die nordkoreanisch-russischen Beziehungen am Korea Institute for National Unification in Seoul, der DW. "Das liegt an den veränderten Beziehungen zwischen Moskau und Pjöngjang, denn Putin hat sich im Rahmen seiner weltpolitischen Strategie für eine Partnerschaft mit Nordkorea entschieden."
Im Rahmen dieser Vereinbarung soll Nordkorea nach US-Angaben Russland Millionen von Artilleriegeschossen und eine unbekannte Menge von Raketen geliefert haben. Diese würden von den russischen Streitkräften im Krieg in der Ukraine eingesetzt.
Im Gegenzug soll Russland Nordkorea mit Treibstoff und dringend benötigten Lebensmitteln versorgt haben. Russische Wissenschaftler sollen zudem an der Entwicklung des nordkoreanischen Militärarsenals - einschließlich Raketen, Satelliten und Atomwaffen - beteiligt gewesen sein.
Weitergabe von Waffen an Russland?
Sowohl Moskau als auch Pjöngjang haben die Weitergabe von Waffen bestritten. Sollten sich die Vorwürfe bestätigen, würde eine solche Unterstützung für die Ukraine gegen die Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen verstoßen.
"Ich stimme absolut zu, dass Kim jetzt noch gefährlicher ist, weil er sich sicher ist, dass er in Russland einen großen und mächtigen Freund hat", sagte Hyun. "Er könnte dies als Chance sehen, militärische Maßnahmen gegen den Süden zu ergreifen."
Der beobachtete Anstieg der grenzüberschreitenden Aggressionen geht auf den gescheiterten Versuch von Nordkorea zurück, am 27. Mai eine Rakete mit einem Satelliten in die Umlaufbahn zu bringen. Der Start wurde weithin, auch in Südkorea, als Verstoß gegen die Resolutionen des UN-Sicherheitsrats verurteilt.
Raketen und Ballons mit Müll aus Nordkorea
Pjöngjang legte nach, indem es eine Reihe von ballistischen Kurzstreckenraketen in das Japanische Meer schoss und kürzlich Tausende mit Helium gefüllte Ballons mit Müll und menschlichen Extrementen über die Grenze in den Süden steigen ließ. Die Ballons verursachten kaum Schäden, wurden aber als "ekelhaft" kritisiert.
Im Gegenzug ordente Seoul an, die großen Lautsprechersysteme an der Grenze wieder in Betrieb zu nehmen, um Anti-Kim-Botschaften in den Norden zu senden. Die gegenseitige Eskalation wurde fortgesetzt, indem Pjöngjang ebenfalls Lautsprechersysteme an der Grenze aufstellen ließ.
Kims Schwester Kim Yo Jong warnte außerdem davor, dass Südkorea Ziel "neuer Gegenmaßnahmen" sein werde, wenn Seoul die Propaganda per Lautsprecher nicht einstelle. Der Norden hat bereits mehrfach damit gedroht, die Lautsprecher mittels Artillerie zu zerstören.
Schüsse an der Grenze zwischen Nord- und Südkorea
Am vergangenen Wochenende hatte eine Einheit von etwa 50 nordkoreanischen Soldaten die innerkoreanische Grenze überquert. Südkoreanische Soldaten feuerten daraufhin Warnschüsse ab.
Die Berichte über Schüsse an der Grenze lösten Besorgnis aus. "Diese Konfrontation scheint anders und gefährlicher zu sein als früher", meint Rah Jong-yil, ein ehemaliger Diplomat und hochrangiger südkoreanischer Geheimdienstler.
"Der Norden scheint sehr verärgert zu sein", fügte er hinzu. "Sie wissen, dass ihre Wirtschaft nur einen Bruchteil von der des Südens ausmacht, die Menschen wissen, dass ihre Lebensweise nicht mit der unseren vergleichbar ist, und ich kann nur vermuten, dass die Ballons ein Versuch sind, so viel Unheil wie möglich anzurichten."
"Auf alles vorbereitet"
Die USA, wichtigster Verbündeter Seouls, zeigten in den vergangenen Wochen immer wieder ihre Unterstützung für Südkorea. So lag ein U-Boot der US-Marine in einem südkoreanischen Hafen, ein nuklearfähiger B-1-Bomber flog in Begleitung südkoreanischer Kampfflugzeuge einen Einsatz in Grenznähe. Und die Vereinigten Staaten überwachen die Bewegungen im Norden sehr genau.
Philip Goldberg, US-Botschafter in Seoul, erklärte in dieser Woche, dass die USA "auf alles vorbereitet sind, egal was passiert". Viele Menschen blicken deshalb mit Sorge auf zwei bevorstehende Jahrestage.
Jahrestag Koreakrieg
So jährt sich am 29. Juni wieder die Zweite Schlacht von Yeonpyeong im Jahr 2002. Bei der Schlacht überschritten zwei nordkoreanische Patrouillenboote die Grenze zum Westmeer und stießen mit südkoreanischen Kriegsschiffen zusammen. Dabei starben sechs südkoreanische Soldaten, auf nordkoreanischer Seite kamen 13 Menschen ums Leben.
Noch schwerer wiegt der 74. Jahrestag des Ausbruchs des Koreakriegs am 25. Juni. In dem Krieg starben bis zu drei Millionen Menschen, sowohl aus der Zivilbevölkerung als auch bei den Streitkräften. Seoul und Pjöngjang beschuldigen sich bis heute gegenseitig.