Kijowski: "Polen braucht eine starke Zivilgesellschaft"
3. Juni 2016"Herr Kijowski, sind Sie ein Held?" - "Auf keinen Fall", sagt der hochgewachsene Mann mit dem grauen Zopf und lacht. "Ein Revolutionär vielleicht?" - "Auch das nicht. Eine Revolution bedeutet die Zerstörung von staatlichen Institutionen und der Rechtsordnung." Eben das würde die polnische Regierung tun, meint er im Gespräch mit der DW. "Wir als KOD versuchen es zu verhindern, also sind wir eher die Konterrevolutionäre."
Immer schön freundlich bleiben, keine Aggression, keine Gewalt, lautet seine Botschaft an die Landsleute, die mit ihm auf die Straße gehen. "Wir wollen weder die Gesellschaft spalten, noch die Regierung stürzen. Es geht lediglich darum, dass sich die Regierenden an das Recht halten sollen", sagt Mateusz Kijowski. "Wir verteidigen unsere Demokratie und unsere Freiheit."
Jahrgang '68 wacht auf
Man könne den Polen viel nehmen, aber nicht die Freiheit: In diesem Punkt hört sich Kijowski an wie der frühere polnische Arbeiterführer Lech Wałęsa. Als dieser Anfang der 1980er Jahre als Vorsitzender der Gewerkschaft Solidarność ins Rampenlicht trat, konnte er noch nicht wissen, dass er damit den Weg seines Landes in die Demokratie entscheidend beschleunigt. Er bewegte die Massen, so wie Kijowski heute. Dennoch hinkt der Vergleich an entscheidender Stelle. Damals ging es um den Umsturz eines totalitären Regimes, heute um Proteste gegen den Kurs einer frei und rechtmäßig gewählten Regierung: Das betont Kijowski stets selbst.
Ein symbolischer Vergleich
Was die beiden verbindet, ist ein besonderes Talent - manche sprechen auch von Charisma - das ihnen hilft, Massen zu mobilisieren. Als Kijowski das Komitee zur Verteidigung der Demokratie (KOD) gründete, griff er bewusst auf eine legendäre Organisation aus der kommunistischen Zeit zurück: Das Komitee zur Verteidigung der Arbeiter (KOR) aus den 1970er Jahren, das gegen das damalige Regime kämpfte. Sowohl das KOR, als auch später die Solidarność unter Wałęsas Führung und heute auch das KOD sind Bewegungen, die vor allem in Großstädten Menschen mitreißen.
Die Massendemos haben im Winter 2015 bei Minus 15 Grad angefangen - und sie werden immer größer. Ob sie die national-konservative PiS-Regierung zu einer Kursänderung bringen, ist fraglich. Ebenso, ob Kijowski mit der Zeit zum "Wałęsa der Gegenwart" wird. Er selbst winkt ab, wenn man nach seinen politischen Ambitionen fragt oder ihn in den Mittelpunkt stellt. "Wir wollen die rechtmäßig gewählte Regierung nicht stürzen, wir wollen lediglich den Abbau der Demokratie in Polen verhindern", wiederholt er immer wieder.
Zivilgesellschaftliches Engagement hat er schon früh erlebt. Seine Eltern waren vielleicht keine großen Kämpfer, aber sie haben nicht nur zugeschaut, erzählt Kijowski. Sein Vater hat bei der örtlichen Kirchengemeinde in Warschau eine Art Pfadfindergruppe gegründet, auch der Sohn engagierte sich dort. Seither ist er immer irgendwo aktiv: Er kämpfte für die Rechte geschiedener Väter und gründete eine Organisation, die sich gegen Gewalt an Frauen richtet. "Aufwachen statt tatenlos zusehen", lautet seine Devise. "Die Menschen sollen wissen, wo sie leben, welche Rechte und welche Pflichten sie haben und wie sie selbst ihre Umgebung gestalten können."
Jeder ist seines Glückes Schmied
In den Jahren nach der Wende (1989) hätten die Polen viel erreicht, zum Beispiel auf wirtschaftlicher Ebene - nicht aber beim Aufbau der Zivilgesellschaft, meint er: "Am Anfang des Transformationsprozesses stand der Spruch: Jeder ist seines Glückes Schmied, also hat jeder an seinem persönlichen Erfolg gebastelt und kaum jemand dachte daran, was uns alle verbinden soll - als Gesellschaft."
Auch Kijowski hat an seinem persönlichen Erfolg gebastelt - mal besser, mal schlechter: Zwei Ehen, vier Kinder, unterbrochene Studien in Mathematik, Journalistik und Theologie. Erst mit Anfang 30 erhielt er ein Diplom an einer privaten Hochschule für Unternehmensführung. Dann machte er zusammen mit Freunden bei einer Schneiderfirma mit - Nähen und Stricken kann er übrigens auch selbst, erzählt der Endvierziger stolz. Unterwegs hat er sich auch als Blumenzüchter und Devisenhändler versucht, heute verdient er sein Geld als IT-Spezialist. Sein Lebenslauf bietet viel Identifikationspotenzial für jene Polen, die seit dem Anfang des schwierigen Transformationsprozesses der 1990er Jahren einen Überlebenskampf führen und sich deshalb beruflich immer neu entdecken müssen.
"Mach etwas daraus"
Kurz nach den letzten Parlamentswahlen in Polen, Mitte November 2015, veröffentlichte der polnische Publizist Krzysztof Łoziński einen Artikel mit dem Titel "Man muss ein Komitee zur Verteidigung der Demokratie gründen". Diesen Artikel schickte jemand an Kijowski - mit dem Kommentar: "Mach etwas daraus". Und er machte was. Wenige Stunden später gründete er mit fünf Freunden und Familienmitgliedern eine Facebook-Gruppe mit dem Namen KOD. Sofort traten 300 Leute bei, dann 500, innerhalb von ein paar Tagen waren es Tausende. Schnell wurde klar: Die virtuelle Präsenz reicht nicht aus, jetzt muss man auf die Straße.
Mittlerweile gibt es in ganz Polen regionale und lokale Gruppen von KOD, ebenso wie Strukturen im In- und Ausland, in Kürze soll auch ein Think Thank entstehen. Geplant ist schon ein eigener Internet-Sender. Und inzwischen hat das KOD auch ein Bündnis mit polnischen Oppositionsparteien geschlossen.
Kijowski selbst bekam in Polen auch schon Morddrohungen. Zwischenzeitlich standen er und seine Familie unter Polizeischutz. Jetzt reist er durch Europa, spricht mit EU-Politikern und ausländischen Journalisten, erklärt, argumentiert und lächelt. Kürzlich auch in Berlin, wo ihn das Publikum bei einer Podiumsdiskussion begeistert begrüßte. "Die Erwartungen an uns sind sehr hoch, viele Menschen haben mir vertraut, ich möchte sie nicht enttäuschen", versichert Kijowski. Also folgt er seinem großen Traum: eine wache und aktive Zivilgesellschaft in Polen aufzubauen. An die kleinen Träume kann er jetzt gar nicht denken. Vor allem an einen: "Endlich mal wieder auszuschlafen."