"Polen Gefühl der Sicherheit geben"
6. Juni 2016DW: Herr Kiesewetter, die Bundeswehr beteiligt sich an der Militärübung "Anakonda" in Polen, die zwar kein NATO-Manöver ist, bei dem aber viele NATO-Staaten mitmachen. Viele kritisieren diese Übung, weil sie die Spannungen mit Russland erneut verschärfen dürfte. Was ist Ihre Einschätzung?
Die Spannungen hat ja nicht die NATO oder die Europäische Union verschärft, sondern Russland hat die Krim besetzt, eine völkerrechtliche Wahl verhindert, und es destabilisiert die Ost-Ukraine. Deutschlands Position ist, dass wir immer die Hand reichen müssen. Aber die Bedingungen sind, dass Russland die Minsker Vereinbarung umsetzt. Und es gehört auch dazu, dass sich Deutschland innerhalb der NATO intensiv dafür eingesetzt hat, dass die NATO-Russland-Grundakte nicht verletzt wird und deshalb die Übung eher auf Bataillonsebene stattfindet. Also einer Größenordnung - Deutschland beteiligt sich mit einem Bataillon - von 400 bis 600 Soldaten und eben nicht auf Brigade- oder Divisionsebene (zwischen 5.000 und 15.000 Soldaten). Das ist ganz entscheidend. Und zweitens hat sich unser Land - auch ein Zeichen der Entspannungs- und Dialogbereitschaft - dafür eingesetzt, dass keine Streitkräfte permanent dort stationiert werden. Aber es ist Sache Russlands, nun endlich einzulenken und die Destabilisierung und Informationsverfälschung in europäischen Staaten einzustellen.
Sollte die NATO, wie von Warschau gewünscht, deutlich stärker in Polen und auch im Baltikum präsent sein?
Das ist die NATO ja bereits. Zum einen haben wir ein Hauptquartier in Stettin, das vorzüglich aufgestellt ist und noch weiter ausgebaut wird. Und zweitens haben wir durch die schnellen Eingreiftruppen der NATO ein rotierendes Übungssystem, das Polen stabilisiert. Ich schließe nicht aus, wenn Russland Minsk nicht umsetzt, wenn Russland weiter die Souveränität der baltischen Staaten durch Verletzung des Luftraums gefährdet, dass wir überlegen müssen, ob wir nicht noch aktiver NATO-Präsenz zeigen. Aber im Moment, denke ich, wäre es zuviel, wenn wir das noch ausweiten würden.
Russland hat die Krim annektiert, es unterstützt die Rebellen in der Ost-Ukraine. Der Westen hat mit Sanktionen geantwortet. Aber man blockiert sich gegenseitig. Sollte man die Fühler nach Moskau neu ausstrecken?
Die Fühler sind ja ausgestreckt. Beispielsweise hat die NATO die Fühler bei der Raketenabwehr ausgestreckt. Man ist bereit, dort in den Dialog zu treten, übrigens auch durch deutsche Inititiative. Zweitens hat der NATO-Russland-Rat seit seiner Aussetzung im Jahr 2014 bereits zweimal getagt, und es ist noch beabsichtigt, eine Tagung vor dem Gipfel im Juli in Warschau abzuhalten. Das heißt, auf diplomatischer Ebene werden alle Kanäle im Rahmen des möglichen genutzt, und Russland nimmt das auch sehr wohl wahr.
Finden Sie die Tatsache bedenklich, dass Polen dabei ist, eine paramilitärische Miliz aufzubauen, von denen einige Teilnehmer schon bei diesem Manöver dabei sind?
Es geht um die Sicherheit eines jeden Landes, auch um die Verantwortung eines jeden Landes. Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland auch unsere Reservestärke einbinden würden, und dass wir überlegen, in Deutschland auch Ausbildungen zu schaffen, die mehr Reservisten einbinden. Insofern halte ich diese Milizausbildung, die die regulären Streitkräfte in Polen entlastet, für nichts Verwerfliches, sondern für eine sinnvolle Überlegung. Das ist aber Sache Polens und verletzt keinerlei Rahmenbedingungen im Bereich der NATO oder der EU.
Die polnische Regierung gibt sich sehr nationalistisch, sehr europaskeptisch, auch kritisch gegenüber der Bundesregierung in Berlin. Ist Ihnen von daher wohl bei der Teilnahme der Bundeswehr an dieser Übung?
Wir beobachten eine zunehmende Nationalisierung in vielen Ländern der NATO, zugleich der Europäischen Union, Verunsicherungen, die auch durch die russische Politik geschaffen werden, insbesondere durch die Art und Weise, wie Russland auch im Nahen und Mittleren Osten agiert. Das hat die Zahl der Flüchtlinge nicht reduziert. Das Kernziel Russlands ist es, den europäischen Zusammenhalt zu zerstören. Und unsere Aufgabe muss es sein, dass die Europäer zusammenhalten. Wir sehen mit Sorge, wie sich Polen selber radikaliert. Viel mehr Sorge macht mir noch die Entwicklung in der Türkei, auch einem wichtigen NATO-Partner. Und wir können diese Entwicklungen nicht dadurch ändern, indem wir Polen ausgrenzen. Sondern wir müssen umgekehrt der polnischen Bevölkerung ein Gefühl von Sicherheit und Zusammenhalt geben. Und wenn uns das gelingt, dann wird auch Polen seinen Weg der Radikalisierung wieder ändern.
Der CDU-Bundesabgeordnete Roderich Kiesewetter ist Verteidigungsexperte und Obmann für Außenpolitik der Union.
Das Gespräch führte Christoph Hasselbach.