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Politik

Khashoggi, der Kronprinz und der Kampf ums Image

26. November 2018

Mohammed bin Salman hat seine erste Auslandsreise nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Khashoggi angetreten. Die Reise ist schwierig. Doch der saudische Kronprinz hat einige Trumpfkarten in der Hand.

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Bahrain - Saudischer Kronprinz Mohammed zu Besuch in Bahrain
Prunkvoller Empfang: Kronprinz Mohammed zu Gast beim König von Bahrain, 26. November 2018 Bild: REUTERS

Nein, einen solchen Gast wollen die Mitglieder des tunesischen Journalistenverbands in ihrem Land nicht sehen. "Kein herzliches Willkommen für Mohammed bin Salman im revolutionären Tunesien", steht auf einem Spruchband vor dem Sitz des Verbandes.

Zu sehen ist dort außerdem das Bild eines Mannes, gekleidet in ein traditionelles Gewand, mit einer großen Motorsäge in der Hand: eine Anspielung darauf, dass die Leiche von Jamal Khashoggi mutmaßlich zerstückelt wurde, nachdem der saudische Journalist im Konsulat seines Heimatlands in Istanbul ermordet worden war. Der amerikanische Geheimdienst CIA geht davon aus, dass der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman, kurz MbS, von diesem Mord vorab wusste.

Schimpf in Tunesien

Nun hat eben dieser Kronprinz eine durch mehrere arabische Länder führende Reise angetreten. Am Dienstag dieser Woche macht er auch in Tunesien Station - für den dortigen Journalistenverband eine schlicht "nicht hinnehmbare Provokation", so die Journalisten in einem offenen Brief an das tunesische Präsidentschaftsamt. "Der Besuch des saudischen Kronprinzen stellt eine Gefahr für die Sicherheit und den Frieden der Region und der Welt wie auch eine ernst zu nehmende Gefahr für die Meinungsfreiheit dar." Der Besuch, so der Journalistenverband weiter, sei "ein eklatanter Schlag gegen die Prinzipien unserer Revolution".

Tunesien Proteste gegen Besuch Saudi Kronprinz Mohammed
"Kein herzliches Willkommen im revolutionären Tunesien": Banner vor dem Sitz des nationalen tunesischen Journalistenverbands Bild: Getty Images/AFP/F. Belaid

Tunesien und Saudi-Arabien sind seit dem arabischen Revolutionsjahr 2011 in einem spannungsvollen Verhältnis miteinander verbunden. Nach Beginn der Revolution in Tunesien floh Zine el-Abidine Ben Ali, der damalige, autokratisch regierende Präsident des Landes, nach Saudi-Arabien - in eben jenes Land, das die Revolution seit ihrem Beginn in aller Entschlossenheit bekämpft.

Während Tunesien sich von 2011 an kontinuierlich in Richtung eines demokratischen Rechtsstaats entwickelte, hält sich in Saudi-Arabien ein autoritäres Regime, das auf Forderungen nach Demokratie und Bürgerrechten mit Gefängnis und - der Tod Khashoggis lässt es vermuten - offenbar auch Gewaltanwendung reagiert.

Verbrüderung am Golf

Dieser Kurs wird allerdings nicht in der gesamten arabischen Welt verurteilt. Vor seiner nun anstehenden Reise nach Tunesien machte MbS Station in zwei befreundeten Ländern: in Bahrain und dem Emirat Abu Dhabi. In Bahrain wurde der Kronprinz von König Hamad bin Isa Al Khalifa empfangen. Die beiden Männer, zitierte das bahrainische Staatsfernsehen aus einem offiziellen Papier, hätten über "die tief verwurzelten und historischen Bindungen zwischen den beiden brüderlichen Ländern und Völkern" gesprochen und "über die jüngsten regionalen, arabischen und internationalen Entwicklungen".

Zuvor hatte der Prinz in Abu Dhabi Halt gemacht. In einem Statement lobte MbS anschließend "die ausgezeichneten und besonders brüderlichen Beziehungen, die unsere beiden Länder und brüderlichen Völker aneinander binden" und den "gemeinsamen Wunsch, die Zusammenarbeit auf allen Gebieten unter der Führung von König Salman zu vertiefen".

Bildkombo Ajatollah Ali Chamenei und Mohammed bin Salman
Gegenspieler: Ali Khamenei, "Oberster Führer" des Iran, und der saudische Kronprinz MohammedBild: picture-alliance/dpa/AP/Office of the Iranian Supreme Leader/R. Jensen

MbS-Trumpf: die Gegnerschaft zum Iran

Äußerungen wie diese deuten an: Von vielen Staaten am Golf hat Saudi-Arabien weiterhin keine Kritik zu befürchten. Viele der dort amtierenden Regierungen eint die Abneigung gegen die säkularen Oppositionsbewegungen wie auch den gemeinsamen Gegner auf der anderen Seite des Persischen Golfs, den Iran.

Vor allem die Gegnerschaft zum Iran ist das Thema, über das Saudi-Arabien versuchen dürfte, sich einer Reihe anderer, dem Westen nahestehenden Staaten als Partner zu empfehlen, vermutet der Politikwissenschaftler Adel Jutiar von der Salahaddin-Universität im irakischen Erbil. Außerdem könne Saudi-Arabien auch auf weitere verbindende Themen setzen - etwa seine Rolle im Nahost-Konflikt oder den Krieg im Jemen.

"Der saudische Kronprinz wird versuchen, die arabischen Staaten hinter dieser Agenda zu versammeln und ihre Unterstützung für die saudische Politik zu gewinnen. Man sollte im Kopf behalten, welche Rolle Pragmatismus in den internationalen Beziehungen spielt und wie sehr sie auch die Politik der arabischen Staaten bestimmt", so Jutiar.

Auf allen drei Feldern kann MbS einiges in die Waagschale werfen. Saudi-Arabien positioniert sich als massives Gegengewicht gegen den Iran - und ist darum auch für die USA interessant. Darauf hatte US-Präsident Trump in der letzten Woche noch einmal hingewiesen. Die Beziehungen zwischen den USA und Saudi-Arabien dürften auch darum nur bedingt störanfällig sein, weil der Mord an Khashoggi für Trumps Wählerbasis kein zentrales Thema darstelle, sagte Norman Ornstein, Analyst beim konservativen Think-Tank "American Enterprise Institute" (AEI) der DW.

Saudi-Arabien Hadsch in Mekka
Glaube als politisches Druckmittel? Szene vom Hadsch 2018 Bild: picture-alliance/AP Photo/D. Yasin

Punkten im Nahost-Konflikt

Deutlich hat sich Saudi-Arabien auch im Nahost-Konflikt positioniert. Vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass das Königreich staatenlosen Palästinensern fortan Einreise-Visa verweigern will. Das gilt nicht nur für arbeitsuchende Palästinenser, sondern auch für diejenigen, die am Hadsch, der alljährlichen Pilgerfahrt zu den heiligen Stätten des Islam, teilnehmen wollen. Der Hadsch ist eine der fünf religiösen Grundpflichten im Islam, die der Doktrin nach jeder Muslim erfüllen muss. Betroffen von der neuen Regelung sind rund vier Millionen Palästinenser. Damit übt die saudische Regierung Druck auf diejenigen Palästinenser aus, die ihren Flüchtlingsstatus bislang beibehalten haben.

Es gehe darum, sie zu Bürgern eines Staates - etwa Jordanien - zu machen, sagt Abu Arar von der Islamischen Bewegung in Israel im Gespräch mit dem Internet-Magazin "Al-Monitor". Gelänge dieser Schritt, wäre das seit Jahrzehnten für Unruhe sorgende Thema der palästinensischen Flüchtlinge wenn nicht de facto, so doch nominell vom Tisch. Das hieße, den Palästinensern ginge in dem Streit um ihre Rechte ein gewichtiges Argument aus: Wer kein Flüchtling ist, hat auch kein Rückkehrrecht. Diese Logik, so brüchig sie sein mag, hat aus saudischer Sicht einen enormen Vorteil: Sie ist ganz im Sinne der Trump-Administration, die sich im Nahost-Konflikt deutlich an der Seite der Regierung Benjamin Netanjahus positioniert hat.

Pragmatismus versus Empörung

Durch solche Initiativen könnte sich Saudi-Arabien auf dem Umweg über die USA zumindest einigen arabischen Staaten wieder annähern - darauf vertrauend, dass die Empörung über den mutmaßlichen Mord an Khashoggi derzeit zwar sehr heiß glimmt, absehbar aber wieder abkühlt. Langfristig, so das Kalkül, dürften zumindest eine ganze Reihe arabischer Regierungen bei einer nüchternen Interessenspolitik bleiben. Die hätte etwa die Einhegung Irans, die Beendigung des Nahost-Konflikts und nicht zuletzt auch einen weiterhin berechenbaren Erdöl-Preis im Blick.

Noch allerdings ist MbS nicht am Ziel seiner Reise. Deren letzte Station ist das G-20-Treffen in Buenos Aires. Wie werden die dort versammelten Staats- und Regierungschefs den des Mordauftrags Verdächtigen empfangen, wie sich verhalten, wenn es zu Fototerminen kommt? Nicht zuletzt auch daran dürfte sich das politische Schicksal des MbS entscheiden.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika