Kerzen der Hoffnung für eine Zukunft mit mehr Zusammenhalt
23. Februar 2012Gamze Kubasik und Semiya Simsek tragen die Kerze der Hoffnung nach draußen. Als die jungen Frauen, deren Väter von Neonazis ermordet wurden, das Konzerthaus in Berlin verlassen, erheben sich die rund 1200 Gäste von ihren Plätzen. Es ist die abschließende Geste in einer ergreifenden Gedenkveranstaltung für die zehn Opfer der rechtsterroristischen Gruppe, die sich selbst den Namen "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) gegeben hat.
Jedem Toten ist eine Kerze gewidmet, die Berliner Schüler zu Beginn der Trauerfeier auf der Bühne abstellen. Bundeskanzlerin Merkel erklärt in ihrer Rede, warum es zwölf Kerzen sind: Die elfte "haben wir entzündet für alle bekannten wie unbekannten Opfer rechtsextremistischer Gewalt". Und die zwölfte Kerze, sagt Merkel am Ende ihrer Rede, "ist das Symbol unserer gemeinsamen Hoffnung und Zuversicht für eine gute Zukunft".
Bewunderung für Christian Wulff
Auf eine gute Zukunft hoffte auch der 21-jährige Halit Yozgat, der am 6. April 2006 in seinem Internetcafé in Kassel erschossen wurde. Sechs Jahre später steht sein aus der Türkei stammender Vater Ismail auf der Bühne des Berliner Konzerthauses und redet in seiner Muttersprache über den Tod seines Sohnes, der in seinen Armen starb. Mit einfachen Worten bedankt sich Yozgat dafür, dass diese Gedenkfeier stattfindet. Sein besonderer Dank gilt einem, der eigentlich die zentrale Rede hätte halten sollen: Christian Wulff. Der am Freitag vergangener Woche wegen des Vorwurfs der Vorteilsnahme im Amt zurückgetretene Bundespräsident hatte Angehörige der Opfer schon kurz nach dem Bekanntwerden der Neonazi-Mordserie nach Berlin eingeladen. "Wir bewundern ihn", übersetzt die Dolmetscherin an Yozgats Seite.
Wulffs Geste der Anteilnahme hat unter den Angehörigen bleibenden Eindruck hinterlassen. Das ist in diesem Moment im Berliner Konzerthaus zu spüren. Tief empfunden ist die Hoffnung und der Wunsch, die so lange vermisste Empathie möge ein noch nie dagewesenes Wir-Gefühl entfalten, das über den Tag der gemeinsamem Trauer hinaus andauern wird. Vater Özgat spricht von "unserer Bundeskanzlerin" und seiner "Heimatstadt" Baunatal in Hessen. Die materielle Hilfe, die ihm für den Tod des Sohnes angeboten worden sei, lehnt er dankend ab. "Meine Familie möchte seelischen Beistand", sagt Özgat.
"Last über dem Leben"
Nach ihm spricht Semiya Simsek, deren Vater Enver am 9. September 2000 nach bisherigen Erkenntnissen das erste Mordopfer der Rechtsterroristen ist. Der 39-jährige Blumenhändler wurde in Nürnberg erschossen. "Elf Jahre durften wir nicht ein Mal reinen Gewissens Opfer sein", klagt die Tochter. Immer habe die "Last über ihrem Leben" gelegen, jemand aus ihrer Familie könnte für den Tod ihres Vaters verantwortlich sein. Und dann habe es da noch den Verdacht gegeben, er sei ein Krimineller, ein Drogenhändler gewesen. "Können Sie erahnen, wie es sich für meine Mutter angefühlt hat, plötzlich selbst ins Visier der Ermittlungen genommen zu werden?", fragt die Tochter und meint damit nicht nur die Trauergäste im Berliner Konzerthaus, sondern die ganze Gesellschaft.
Als Bundeskanzlerin Merkel zu Beginn der Gedenkveranstaltung ihre mitfühlende Rede hält, bezeichnet sie die unglaublichen Verdächtigungen gegenüber den Opfern als "beklemmend" und fügt an die Angehörigen gerichtet hinzu: "Dafür bitte ich Sie um Verzeihung." Gamze Kubasik, deren Vater Mehmet am 4. April 2006 in Dortmund ermordet wurde, knüpft zum Schluss an Merkels Gedanken zur "Kerze der Hoffnung" an. "Sie steht für die Hoffnung auf eine Zukunft, die von mehr Zusammenhalt geprägt ist."
Autor: Marcel Fürstenau
Redakteur: Heiner Kiesel