Kerry: Iran-Gespräche am Scheideweg
5. Juli 2015Nach einer Unterredung mit seinem iranischen Kollegen Mohammed Dschawad Sarif sagte US-Außenminister John Kerry in Wien, es sei nun Zeit zu entscheiden, ob beide Seiten fähig seien, das Nuklearabkommen zum Abschluss zu bringen. Zugleich warnte Kerry vor überzogenen Erwartungen. "Ich möchte ganz klar sagen: Wir sind bei mehreren der schwierigsten Themen noch nicht da, wo wir sein müssen", sagte er vor Reportern in Wien. Er stimme seinem iranischen Kollegen zu, dass sich beide Seiten noch nie so nahe waren, aber: "Diese Verhandlungen können in beide Richtungen gehen." Es habe in den vergangenen Tagen "wirkliche Fortschritte" gegeben, aber harte Entscheidungen stünden nun an. Falls die USA beim Iran in wichtigen Punkten auf Unnachgiebigkeit stoßen sollten, seien sie bereit, die Verhandlungen zu verlassen.
Der Außenminister hatte sich zuvor abermals zu direkten Gesprächen mit dem iranischen Ressortchef Mohammed Dschawad Sarif getroffen, um zwei Tage vor Ablauf der Frist für die Aushandlung eines umfassenden Abkommens die letzten offenen Fragen zu klären. Am Verhandlungsort werden an diesem Sonntag auch die Außenminister Russlands, Deutschlands, Frankreichs und Großbritanniens erwartet.
Bei den Wiener Verhandlungen mit Teheran soll erreicht werden, dass der Iran die Kernkraft zivil nutzen kann, ohne in den Besitz einer Atombombe zu kommen. Im Gegenzug sollen die Wirtschaftssanktionen des Westens schrittweise aufgehoben werden. Der Iran und die Gruppe der fünf UN-Vetomächte und Deutschland (5+1) wollten eigentlich bereits bis zum 30. Juni ein vollständiges Abkommen ausarbeiten, verlängerten dann aber kurzfristig die Verhandlungen um eine Woche bis zum Dienstag. Dabei geht es um zwei Schlüsselfragen.
Zwei Hauptstreitpunkte
Während der Iran sämtliche in dem Atomstreit verhängten Finanz- und Handelssanktionen bei Unterzeichnung des Abkommens beendet sehen will, möchte die 5+1-Gruppe dies erst tun, wenn der Iran seine wichtigsten Verpflichtungen erfüllt hat. Der zweite wichtige Streitpunkt betrifft die Kontrolle iranischer Militäranlagen. Die 5+1-Gruppe will damit sicherstellen, dass der Iran nicht insgeheim neue Atomanlagen baut. Zudem soll den Inspektoren der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) ermöglicht werden, ihre Untersuchung zu einem möglichen militärischen Atomprogramm des Iran abzuschließen.
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier äußerte derweil die Hoffnung, dass ein Erfolg in Wien den Weg zur Begrenzung des Syrienkrieges ebnen werde. "Meine Hoffnung ist, dass ein Erfolg der Atomverhandlungen einen Impuls für die Lösung anderer Konflikte in der Region liefert", sagte er dem "Tagesspiegel am Sonntag". In Syrien müsse man mit den entscheidenden Akteuren einen neuen Anlauf unternehmen, um zumindest zur "Eindämmung der Gewalt" zu kommen und um "vielleicht Zonen zu schaffen, in denen nicht gekämpft wird".
Bei den Verhandlungen über den Abkommenstext gebe es Fortschritte, hieß es zuletzt aus Diplomatenkreisen. Die offenen Punkte würden immer weniger, sagte der iranische Vizeaußenminister Abbas Araghchi am Samstagabend im iranischen Staatsfernsehen. Aber: "Wir glauben trotzdem, dass es besser ist, mit leeren Händen nach Hause zurückzukehren, als mit einem schlechten Abkommen", warnte er.
Netanjahu wettert
Mit massiven Vorhaltungen hat Israels Regierungschef Benjamin Netanjahu die Endphase der internationalen Atomverhandlungen mit dem Iran kommentiert. "Was sich bei den Gesprächen in Wien abzeichnet, ist ein Zusammenbruch, kein Durchbruch", sagte Netanjahu am Sonntag zu Beginn der wöchentlichen Kabinettssitzung in Jerusalem. "Die Zugeständnisse der Großmächte wachsen von Tag zu Tag", kritisierte er.
Der israelische Ministerpräsident warnte, die sich abzeichnende Vereinbarung ermögliche dem Iran "die Produktion der Kernstücke vieler Atombomben" und spüle durch die Aufhebung der Sanktionen "hunderte Milliarden Dollar in seine Kassen zur Finanzierung des internationalen Terrors". Netanjahu sagte, der bevorstehende Deal sei "schlimmer als derjenige, der Nordkorea in den Besitz von Atomwaffen brachte".
kle/uh (rtre, dpa, afp, ape)