Triumph mit Nachgeschmack
31. August 2015Die Leichtathletik-Weltmeisterschaft in Peking endete am Sonntag mit einem absoluten Novum: Zum ersten Mal in der Geschichte holte sich ein afrikanisches Land den Gesamtsieg im Medaillenspiegel - Kenia. Für das Land, dessen Wirtschaftskraft im Vergleich zu den großen Sportnationen geradezu mickrig wirkt, ist der Prestigewert eines solchen Sieges riesig.
Zwar sammeln kenianische Athleten schon seit Jahren im großen Stil WM-Medaillen, bislang jedoch fast ausschließlich in den Ausdauerdisziplinen. Das war diesmal anders. So gewann etwa Julius Yego als erster Afrikaner die WM-Goldmedaille im Speerwerfen, Nicolas Bett siegte über die 400 Meter Hürden. Am Ende flogen die Kenianer mit sieben Gold-, sechs Silber- und drei Bronzemedaillen nach Hause. Es scheint ganz, als habe das ostafrikanische Land endgültig zu den ganz Großen der Sportwelt aufgeschlossen.
Experte Seppelt: Dopingfälle keine Überraschung
Wäre da nicht das Thema Doping. Bei gleich zwei kenianischen Athletinnen wurden in Peking sogenannte Verschleierungsmittel nachgewiesen, die die Einnahme von Doping vertuschen sollen. Betroffen waren die 400-Meter-Läuferin Joyce Zakary und ihre Hürden-Kollegin Koki Manunga. Die Fälle blieben die beiden einzigen der gesamten WM. Unglückliche Zufallstreffer?
Der Journalist Hajo Seppelt glaubt das nicht. "Die positiven Tests haben mich nicht überrascht", sagte der Dopingexperte im Interview mit der DW. Für eine ARD-Dokumentation zum Thema hatte ein Team um Seppelt unter anderem in der kenianischen Leichtathletikszene recherchiert. Dort fanden sie zahlreiche Hinweise für die verbreitete Einnahme des Blutdopingmittels EPO, das die Ausdauer von Sportlern positiv beeinflusst.
Ein möglicher Grund für die Popularität des Mittels ist nach Ansicht von Seppelt der große Konkurrenzkampf innerhalb des Landes: "In einem vergleichsweise armen Land wie Kenia ist der Sport für viele der einzige Weg, einen höheren Lebensstandard zu erreichen." Wenn zwischen Sieg und Niederlage nur Sekunden lägen, könne Blutdoping für einige Athleten den entscheidenden Unterschied machen. Für Dopingfahnder ist EPO schwer nachzuweisen, da es in der Regel im Training und nicht direkt bei Wettkämpfen angewendet wird. Deshalb müssen die Sportler von ihren Verbänden vor allem außerhalb der Wettkämpfe kontrolliert werden.
Der kenianische Leichtathletikverband in der Kritik
Umso schwerwiegender sind daher die Vorwürfe der Journalisten gegen den Nationalverband Athletics Kenya. Nach Aussagen von Athletenbetreuern und ehemaligen Sportlern sei es in Kenia übliche Praxis, dass Leichtathleten vor eigentlich unangekündigten Dopingkontrollen des Verbandes gewarnt würden. Die Testkandidaten bekämen dann genug Zeit, die illegalen Substanzen rechtzeitig vor den Kontrollen abzusetzen. Doch selbst ein positives Testergebnis sei nicht unbedingt ein Grund zur Besorgnis für die Athleten - sofern sie genug Geld hätten, sich das Schweigen der Tester zu erkaufen.
Für Seppelt ist der Fall deshalb klar: Die Führungsriege von Athletics Kenya müsse zurücktreten, vor allem der langjährige Verbandspräsident Isaiah Kiplagat. "Es gibt eindeutige Hinweise für Korruption in der Verbandsspitze", so der Dopingexperte. Jedes Land habe Athleten, die betrügen, doch die mangelhaften Teststrukturen in Kenia würden es ihnen besonders einfach machen.
Kenianer zwischen Freude und Zweifeln
Im DW-Interview auf die Dopingproblematik angesprochen, sagte Verbandspräsident Kiplagat lediglich, die Vorwürfe der ARD-Journalisten seien übertrieben. Man habe in den bekannten Fällen Maßnahmen ergriffen und arbeite eng mit der Regierung zusammen, die Nationale Anti-Doping-Agentur Kenias (ADAK) zu stärken um "diese Sache auszumerzen". Die Agentur hatte erst Anfang Februar auf Druck der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) ihre Arbeit aufgenommen.
Die Vorwürfe und positiven Dopingfälle geben den Erfolgen der kenianischen Athleten in Peking einen bitteren Nachgeschmack. Die internationale Presse spricht bereits von "Vertrauensverlust" und auch im Land der Wunderläufer selbst sind die Menschen ratlos. "Die Kenianer wissen nicht, ob sie sich über die positiven Tests freuen oder ärgern sollen", sagte der Sportjournalist Robin Toskin aus Nairobi im Gespräch mit der DW.
Trotz allem möchte Hajo Seppelt die kenianischen Athleten nicht unter Generalverdacht stellen. "Ich würde die starken Leistungen der Kenianer in Peking nicht per se auf Doping zurückführen - dafür gibt es keinerlei Beweise", so der ARD-Experte. Doch sei offensichtlich, dass der kenianische Verband stärker an prestigeträchtigen Triumphen als an Dopingaufklärung interessiert sei.