Der Streit um Meer und Öl
1. November 2019Es ist ein Streit, der nun schon Jahre dauert: Seit 2009 zanken sich Kenia und Somalia um ein Gebiet im Indischen Ozean, das vor den Küsten beider Länder liegt. Es ist etwa 150.000 Quadratmeter groß und reich an Öl und Gas. Beide Länder beanspruchen die Vorräte für sich. Wem sie gehören, sollte eigentlich der Internationale Gerichtshof in Den Haag am 4.11. klären. Doch die Anhörung wurde auf 2020 verschoben.
"Kenia hat einen entsprechenden Antrag eingereicht. Denn die Regierung will lieber selbst noch einmal mit Somalia verhandeln, als dass der IGH eine Entscheidung für beide Länder trifft", sagt Justice Srem-Sai, Dozent für Völker- und Verfassungsrecht an Ghanas Institut für Management und öffentliche Verwaltung, der DW. Er glaubt, dass die Verschiebung des Gerichtstermins eine große Chance für beide Länder bietet. Bisher konnten sie sich trotz mehrer Anläufe aber nicht einigen.
Ein kompromissloser Streit?
Kenias Regierung meint, dass die Grenze horizontal verläuft - das würde dem Land den Löwenanteil des Meeresabschnitts sichern. Somalia hingegen fordert, die Grenze müsse in südöstlicher Richtung als Verlängerung der Landgrenze verlaufen.
"Somalias Forderung würde Kenia zu einem 'Binnenseestaat' machen: Tansanias und Somalias Grenzen würden sich auf hoher See treffen. Schiffe, die nach Kenia fahren, müssten sich dann entweder die Genehmigung des einen oder anderen Landes einholen, um den kenianischen Seeabschnitt anlaufen zu dürfen", warnt Srem-Sai. Das Ergebnis: Chaos in der Region.
"Einen Kompromiss sehe ich kurzfristig nicht", sagt Timothy Walker vom Institut für Sicherheitsstudien (ISS) der DW. "Beide Länder haben ein großes nationales Interesse. Ein gutes Model für die Zukunft wäre die Lösung von Nigeria und São Tomé und Príncipe, die gemeinsam nachhaltig die Ressourcen fördern." Beide Länder einigten sich 2001, in einer umstrittenen Meereszone gemeinsam Öl zu fördern.
Ein Test der Diplomatie
In einem Abkommen von 2009 hatten sich Somalia und Kenia darauf geeinigt, die Seegrenze auf den Breitengrad festzulegen und möglichst darauf zu verzichten, den Fall vor Gericht zu bringen. Doch im August 2014 stellte Somalia das Abkommen in Frage und reichte beim IGH in Den Haag Klage ein. Kenia erhob dagegen mehrmals Einspruch: Das Gericht sei nicht befugt, den Antrag zu prüfen. Der IGH wies den Einspruch allerdings im Februar 2017 zurück.
Der Völkerrechtler Srem-Sai glaubt ohnehin nicht, dass eine Entscheidung des IGH die beste Lösung wäre. "Im IGH sitzen Richter, die möglicherweise nie Afrika besucht haben und die Besonderheiten nicht verstehen. Daher ist es bei einem Disput wie diesem wichtig, dass sich die Länder zusammensetzen. Sollte dann immer noch keine Lösung gefunden werden, sollten regionale afrikanische Organe wie die Afrikanische Union übernehmen." Dass die Anhörung verschoben wurde, sehe er als Zustimmung des IGH und der Vereinten Nationen.
Auch ISS-Experte Walker glaubt, dass der Gang zum IGH zu früh war. "Ich glaube nicht, dass alle Maßnahmen ausgeschöpft wurden. Der IGH ist der letzte Ausweg, aber davor sollte es noch viele andere Prozesse geben, die Länder nutzen können, um eine gemeinsame Lösung zu finden." Der IGH dagegen neigt dazu, einer Seite Recht zu geben. "Ein Land gewinnt, das andere verliert", so Walker. Und mit Aussicht auf die Zukunft, wenn es eine steigende Nachfrage nach Meeressressourcen gebe, sei das keine sehr nachhaltige Lösung.
Im aktuellen Fall soll Kenia soll bereits Förderlizenzen für Öl an internationale Firmen verkauft haben. Auch Somalia soll Anfang 2019 Ölfelder versteigert haben, die nach aktueller Rechtslage vor der kenianischen Küste liegen. Seitdem sind die diplomatischen Beziehungen zwischen den Nachbarländern angespannt.
Somalia weist Behauptungen zurück, dass es Ölfelder in der umstrittenen Grenzregion versteigern wolle, bevor das Schiedsverfahren vor dem IGH beginnt. Die Regierung versicht, dass Somalia den Beschluss des Gerichts uneingeschränkt respektieren und einhalten werde. Die Arabische Liga, in der Somalia Mitglied ist, behauptete im Juni, dass Kenia eine illegale Karte erstellt habe, die die Wegnahme von somalischem Territorium beinhalte.
Staaten zunehmend aggressiver
Kenianische Medien werfen Somalia dagegen Landraub vor. Das Land würde seinen "Wohltätern einen Finger in die Nase stecken". Kenia kämpft seit 2011 gegen die islamistische Terrormiliz Al-Shabab in Somalia und stellt Truppen für die lokale Friedensmission der Afrikanischen Union. Mehr als 250.000 somalische Flüchtlinge leben nach Angaben des UN-Flüchtlingshilfswerks in Kenia.
Für den scharfen Ton gibt es gute Gründe. "Die 'blaue Wirtschaft' wird immer wichtiger für Afrika", erklärt Experte Srem-Sai aus Ghana. "Bessere Technologie macht die Ausschöpfung maritimer Ressourcen in der Tiefsee möglich, es ist ein Ort, wo die Staaten Reichtum entdecken." Zweitens diene der Ozean als Garantie für die Sicherheit und Handelswege jedes Landes. Zuletzt verschaffe den Seezugang Ländern Kontrolle über die dahinter liegenden Binnenländer. "Es ist keine Überraschung, dass unsere Staaten die Küsten immer aggressiver für sich beanspruchen", so Srem-Sai.
Konflikte um Land und Meer sind in Afrika nicht neu. 1999 sprach der IGH Botswana eine Insel im Chobe-Fluss zu, um die sich das Land mit Namibia gestritten hatte. 2005 teilte das Gericht eine Reihe Inseln im Niger-Fluss nach jahrelangem Streit zwischen Niger und Benin auf. Ghana und die Elfenbeinküste stritten 2017 darüber, wo ihre Seegrenze im Atlantik verläuft.
Kamerun und Nigeria stritten sich seit der Unabhängigkeit 1960 um die Öl- und Gas-reiche Halbinsel Bakassi. Der IGH sprach die Insel im Oktober 2002 auf Grundlage eines Vertrags von 1913 zwischen den ehemaligen Kolonialmächten Großbritannien und Deutschland Kamerun zu. Die ostafrikanischen Nachbarn Malawi und Tansania streiten noch immer um den Malawi-See, der Ölvorkommen birgt. Bis Juni 2020 haben Kenia und Somalia nun Zeit, eine gemeinsame Lösung in ihrem Grenzstreit zu finden. Sonst droht das Alles-oder-nichts Prinzip des IGH.