Kenia gedenkt der Westgate-Opfer
21. September 2014Eunice Khavetsa war zu Hause, als die Nachricht sie erreichte: "Hast du gehört, was im Westgate los ist?" Das Einkaufszentrum in Nairobi kannte sie gut - schließlich arbeitete dort ihr Mann als Sicherheitsbeamter. Am 21. September 2013 überfielen Bewaffnete den Gebäudekomplex. Es war der Beginn eines Geiseldramas, das vier Tage dauern sollte. Khavetsas Mann war einer der ersten, die getötet wurden. Er wurde mit acht Kugeln erschossen. Eunice Khavetsa muss nun alleine für ihre zwei neun und sieben Jahre alten Kinder sorgen, sagt sie: "Sie wollen essen, zur Schule gehen, ich muss die Miete zahlen. Meine Schwiegereltern haben mich verstoßen, meine Familie hat kein Geld. Ich bin auf mich allein gestellt."
67 Menschen sind nach offiziellen Angaben ums Leben gekommen. Unzählige weitere sind wie Eunice und ihre Kinder indirekt betroffen. Ein Jahr nach dem Angriff, zu dem sich die islamistische Al-Shabaab-Miliz bekannte, sind viele Einzelheiten weiter unklar. Manche Gerüchte haben sich inzwischen zerschlagen. So ist nicht mehr von zwölf, sondern nur noch von vier Tätern die Rede. Leichenfunde in einem ausgebrannten Gebäudeteil deuten darauf hin, dass die Täter bei dem Angriff ums Leben kamen. Auch die vermeintliche Beteiligung der so genannten "Weißen Witwe" - der britischen Witwe eines somalischen Selbstmordattentäters - konnte nicht bestätigt werden. Unterdessen läuft ein Prozess gegen vier mutmaßliche Helfershelfer der Terroristen, der am Dienstag (23.09.2014) fortgesetzt werden soll.
Medienwirksamer Terror
Eunice Khavetsa meidet seither große Einkaufszentren. Mit ihrer Angst ist sie nicht allein. Mehrere Monate habe es gebraucht, bis sich nach dem Angriff die Einkaufszentren und öffentlichen Plätze wieder füllten, sagt Atul Shah. Er ist Geschäftsführer einer Filiale der großen Supermarktkette Nakumatt. Drei seiner Mitarbeiter kamen bei dem Angriff ums Leben, die Filiale ist noch immer geschlossen. Den wirtschaftlichen Schaden für sein Unternehmen beziffert Shah auf 500 Millionen kenianische Schilling - das sind über vier Millionen Euro: "Unsere Filiale war eine der größten, der 'Flagship Store'. Das Geschäft war sehr gut, wir hatten Kunden jeder Herkunft."
Westgate liegt in einer reichen Gegend im Westen Nairobis. Neben Kenianern hat das Einkaufszentrum auch viele ausländische Kunden. Die große Medienaufmerksamkeit hatte Al-Shabaab offenbar mit einkalkuliert. Die Miliz hat ihren Ursprung in Somalia. Nachdem internationale Truppen in dem Land am Horn von Afrika immer neue Erfolge gegen die Islamisten erzielten, richteten diese ihr Augenmerk stärker auf die Nachbarländer, die sich an der militärischen Intervention beteiligten. Erklärtes Ziel: Die Länder zum Rückzug ihrer Truppen aus Somalia zu bewegen. Kenia wurde zuletzt mehrfach zum Ziel von Anschlägen. Al-Shabaab bekannte sich zu tödlichen Angriffen in der Küstenprovinz Lamu im Juni. In Uganda verhaftete die Polizei vergangene Woche 19 Islamisten und vereitelte so offenbar einen Anschlag in der Hauptstadt Kampala. Details sind bisher nicht bekannt.
Narben bleiben
Die islamistische Gefahr ist also noch lange nicht gebannt - auch wenn sich Kenias Polizei für alle Eventualitäten gerüstet zeigt, wie ein Sprecher verkündete: "Die Polizei hat die Sicherheitsmaßnahmen erhöht. Kenianische Staatsbürger und ausländische Gäste können ihren normalen Tätigkeiten ohne Furcht nachgehen." In Nairobi versammelten sich im August die Spitzen afrikanischer Geheimdienste. "Wir wollen die Zusammenarbeit im Kampf gegen den Terror in Afrika verbessern", sagte Chris Mburu, Abteilungsleiter im kenianischen Geheimdienst. "Es ist kein Geheimnis, dass die Gefahr terroristischer Anschläge in ganz Afrika zugenommen hat."
Ein Jahr nach Westgate bleibt der Vorwurf, die Sicherheitskräfte hätten versagt. Mindestens ein Polizist kam damals ums Leben, als sich verschiedene Regierungseinheiten in dem Gebäudekomplex zeitweise gegenseitig bekämpften. Von einer ehrlichen Aufarbeitung kann bis heute keine Rede sein - auch wenn es personelle Konsequenzen gegeben hat. Geheimdienstchef Michael Gichangi trat zurück, nachdem ihm Politiker vorgeworfen hatten, im Anti-Terror-Kampf versagt zu haben. "Wenn sich seitdem etwas verändert hat, dann ist es sehr wenig", sagt Ben Mulwa, einer der Überlebenden des Angriffs. "Sonst hätte es nicht so viele weitere Anschläge gegeben. Viele davon hätten verhindert werden können."
Die Angst vor der diffusen Bedrohung besteht weiter. "Der Klang der Gewehrsalven ist geblieben", sagt Mulwa, der mit einer Schusswunde im Fuß entkam. "Immer, wenn ich jetzt Schüsse höre, verfalle ich in Panik." Den ersten Jahrestag widmet die kenianische Regierung dem Gedenken an die Opfer des Angriffs. Geplant sind für die Dauer der viertägigen Geiselnahme Gebete, Gedenkkonzerte und Totenwachen. Eine Ausstellung im Nationalmuseum in Nairobi lässt Überlebende und Künstler zu Wort kommen. "Es werden Narben bleiben, aber unsere Nation ist nicht gebrochen", sagte First Lady Margaret Kenyatta zur Eröffnung. Die Botschaft: Kenianer jeder Herkunft und Religion seien in der Gefahr näher zusammengerückt. Ben Mulwa reicht die Symbolpolitik der Regierung nicht aus. Er hat das Netzwerk "Hoffnung jenseits des Terrors" für Opfer terroristischer Anschläge gegründet. Es gehe "einfach darum, einander Mut zuzusprechen, füreinander da zu sein in dieser schwierigen Situation."