Keine Öffnung auf Kuba
18. November 2009Als Raúl, der kleinere der beiden Castro-Brüder, vor drei Jahren die Staatsführung von seinem Bruder Fidel übernahm, wagten viele Beobachter von einer möglichen Öffnung der kommunistisch regierten Karibikinsel zu sprechen. Erste Anzeichen dafür wollten sie in der Entscheidung der Regierung sehen, den Kubanern den Besitz von Handys und den Zugang zu Internet und DVD-Playern zu erlauben. Raúl Castro galt vielen als wirtschaftspolitischer Pragmatiker, der eine Stärkung von privatwirtschaftlichen Initiativen, vor allem auf dem Land, zuließ und auch vor Kritik der eigenen Bürger keine Angst zu haben schien. Seit seinem Amtsantritt druckte die linientreue Presse immer öfter auch kritische Leserbriefe.
Doch der vermeintliche kubanische Frühling ist nur Kulisse. Dahinter herrscht demokratische Eiszeit. Zu diesem Schluss kommt Human Rights Watch (HRW) in dem 123-seitigen Bericht "New Castro, Same Cuba". Es ist der erste Bericht über die Menschenrechtslage auf der Insel, seit Fidel Castro im Juli 2006 von alle politischen Ämtern zurückgetreten ist.
Die Regierung greife "zunehmend auf den Straftatbestand der 'Gefährlichkeit' zurück "um missliebige Kritiker zu inhaftieren "bevor sie überhaupt eine Straftat begangen haben", so HRW. Diese präventiven Verhaftungen seien "offenkundig politisch begründet", da jegliches Verhalten, das Kubas sozialistischen Normen widerspricht, als 'gefährlich' eingestuft werde. "Während seiner drei Jahre an der Macht ist Raúl Castro bisher genauso brutal vorgegangen wie sein Bruder”, so José Miguel Vivanco, Direktor der Lateinamerika-Abteilung von Human Rights Watch. "Diejenigen Kubaner, die es wagen, Kritik an der Regierung zu üben, leben in ständiger Angst, jederzeit im Gefängnis landen zu können, nur weil sie ihre Meinung äußern”.
Katalog der Menschenrechtsverletzungen
Unter Raúl Castro seien weitere Gesetze erlassen worden, die die Meinungsfreiheit auf Kuba einschränken. Arbeitsrechte würden unterdrückt und abweichende Meinungen systematisch kriminalisiert. Politischen Häftlingen wird dem Bericht zufolge medizinische Versorgung verweigert, ideologische Umerziehung und verlängerte Einzelhaft seien an der Tagesordnung.
Der Bericht listet beispielhaft einige Fälle von Menschenrechtsverteidigern auf, die auf Grund des Straftatbestands der "Gefährlichkeit" verhaftet und verurteilt worden sind. Unter ihnen ist auch der Menschenrechtsverteidiger Rodolfo Bartelemí Coba, der seit März im Gefängnis sitzt. Zehn Tage vor seiner Verhaftung hatte er gegenüber HRW geäußert: "Wir leben 24 Stunden am Tag mit dem Risiko verhaftet zu werden."
Ramón Velásquez Toranzo wurde im Januar 2007 verhaftet und wegen „Gefährlichkeit“ zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Er hatte einen friedlichen Marsch zur Achtung der Menschenrechte und Freilassung aller politischen Häftlinge durch ganz Kuba organisiert.
Die Dissidentin Marta Beatriz Roque schwebt wegen eines Hungerstreiks in Lebensgefahr. Die 64jährige Wirtschaftswissenschaftlerin, die zu den Hardlinern innerhalb der kubanischen Opposition zählt und stets das US-Embargo verteidigt hat, befindet sich seit dem 9. Oktober zusammen mit weiteren Dissidenten im Haus des Oppositionellen Vladimiro Roque in Havanna. Dort sollte ein Treffen von Dissidenten stattfinden. Daraufhin hatte die Staatssicherheit das Gebäude umstellt und hält es seitdem streng abgeschottet. Die Dissidenten traten in einen Hungerstreik, dem sich auch die an Diabetes und Herzschwäche leidende Beatriz Roque angeschlossen hat.
Kubas Regime reagiert nicht auf internationalen Druck
Die internationale Staatengemeinschaft scheint in Bezug auf Kuba mit ihrem Latein am Ende zu sein. Das US-Embargo gegen die Karibikinsel hat bislang keinerlei Wirkung gezeigt. Präsident Obama hatte kurz nach seinem Amtsantritt im April einige der restriktiven Maßnahmen gelockert und zum Beispiel Überweisungen und Reisen aus den USA nach Kuba wieder uneingeschränkt erlaubt. Im Juli hatten die USA und Kuba den seit drei Jahren unterbrochenen bilateralen Dialog wiederaufgenommen. Dabei geht es um die Einwanderung von Kubanern in die USA und den Postverkehr zwischen den beiden Ländern.
Die Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) hatte Kubas Mitgliedschaft 1962 wegen anhaltender Menschenrechtsverletzungen außer Kraft gesetzt. Im vergangenen Juni hat das Bündnis Kuba eingeladen, der Staatengemeinschaft wieder beizutreten. "Wir haben ein historisches Hindernis für die Teilnahme Kubas beseitigt“, so der US-Staatssekretär für Lateinamerika, Thomas Shannon, damals auf dem OAS-Gipfel in Honduras. Die Politik der ausgestreckten Hand sollte die Einflussmöglichkeiten auf das kubanische Regime stärken. Als Voraussetzung für die Rückkehr Kubas verlangte die OAS einen Dialog auf der Grundlage der Demokratischen Charta zur Verteidigung von Demokratie und Menschenrechten. Die Antwort aus Havanna war so lapidar wie vorhersehbar: "Kein Interesse". Raúl Castro will sich vom Ausland nicht in die Karten schauen lassen.
Europas Kuba-Politik auf dem Prüfstand
Auch die EU ist mit ihrer Strategie gescheitert, Kontakte zu kubanische Dissidenten aufzubauen und im Gegenzug die wirtschaftlichen Beziehungen zu der sozialistischen Zuckerinsel einzufrieren. Der seit 1996 gültige "gemeinsame Standpunkt" der EU knüpft eine politische und wirtschaftliche Annäherung an eine demokratische Öffnung auf Kuba. Jetzt aber schert Spanien aus. Außenminister Miguel Angel Moratinos setzt auf bilaterale Verhandlungen zwischen Madrid und Havanna und verspricht sich davon größere Erfolge im Dialog mit der kommunistischen Führung. Die gemeinsame EU-Position habe nicht zu einer Verbesserung der Menschenrechtssituation auf Kuba geführt, konstatiert der spanische Außenminister. Spanien übernimmt im Januar 2010 die EU-Ratspräsidentschaft. Das Land zählt zu den größten ausländischen Investoren in Kuba. Ein Ausbau der wirtschaftlichen Beziehungen, vor allem im Tourismus- und im Bergbausektor ist durchaus im Interesse Spaniens.
Menschenrechtsorganisationen wir HRW kritisieren diese Politik. "Moratinos Vorhaben, sich von dem `Gemeinsamen Standpunkt´ zu verabschieden, würde das Signal senden, dass der EU die politischen Häftlinge in Kuba gleichgültig sind“, so der Lateinamerika-Direktor von HRW, José Miguel Vivanco. "Falls die EU wirklich Menschenrechtsstandards in Kuba verbessern möchte, soll sie ihre bisherige Kuba-Politik stärken und wirkungsvoller machen, anstatt sie aufzugeben.“ HRW fordert unter anderem die Freilassung von 53 Oppositionellen, die seit der großen Verhaftungswelle 2003 im Gefängnis sitzen, sowie die Aufhebung der unter der Regierung von Raúl Castro erlassenen Hafturteile wegen "Gefährlichkeit".
Schlechte Stimmung unter Kubanern
Auch den Kubanern ist die anfängliche Freude über vermeintliche Erleichterungen im Alltag nach der Machtübergabe von Fidel an Raúl vergangen. Die Mehrheit der Bevölkerung ist der Ansicht, dass die Lage des Landes "nicht gut" ist. 75% sprechen sich für einen grundlegenden politischen Wandel auf der Insel aus. Das geht aus einer am Dienstag (17.11.) veröffentlichten Umfrage des konservativen International Republican Institut (IRI) aus den USA hervor. Vor allem die wirtschaftliche Lage macht den Kubanern zu schaffen. 52% der Befragten äußerten sich in der Umfrage besorgt über niedrige Löhne und steigende Lebenshaltungskosten. Drei von vier Kubanern sind direkt betroffen von der jüngsten Kürzung der Lebensmittelrationen.
Die Umfrage wurde zwei Tage vor der entscheidenden Sitzung des Komitees für auswärtige Angelegenheiten des US-Kongresses veröffentlicht. Am Donnerstag (19.11.) werden dort Gegner und Befürworter einer weiteren Lockerung des US-Handelsembargos gegen Kuba aufeinandertreffen. Dabei geht es unter anderem um einen Gesetzentwurf, der Reisefreiheit nach Kuba für alle US-Bürger vorsieht, unabhängig davon, ob sie Verwandte auf der Insel haben oder nicht.
Autorin: Mirjam Gehrke
Redaktion: Oliver Pieper