Keine Machtübergabe, sondern Kontinuität
1. Juni 2004Immerhin haben sich beide Seiten auf einige Namen einigen können. Übergangs-Präsident soll der sunnitische Stammesscheich Ghasi el Jawar werden, Vizepräsidenten für die sechsmonatige Übergangszeit der Schiit Ibrahim el Dschafari von der islamischen Dawa-Partei und Rusch Schawis von der Kurdischen Demokratischen Partei (KDP).
Die letzten dreißig Tage bis zur Machtübergabe an eine irakische Übergangsregierung haben begonnen. Und es zeigt sich, dass naiv und unrealistisch war, wer geglaubt hatte, hier würde ein ganz neues Gremium aus dem Hut gezaubert, das nicht im Ruf steht, "Kreatur" der US-Besatzer zu sein. Als Regierungschef ist bereits Iyad Allawi ausgesucht worden, ein Schiit mit engen Beziehungen zur amerikanischen CIA, vor allem aber: Mitglied des gegenwärtigen "Regierungsrates" in Bagdad.
Der Regierungsrat, der von den Amerikanern eingesetzt worden war, wird also mit dem 30. Juni nicht völlig in der Versenkung verschwinden. Vielmehr versuchen seine Mitglieder jetzt, sich in die geplante Übergangsregierung hinüber zu retten. Ob aus Lust an der Macht oder dem Mangel an Alternativen, bleibt dahingestellt. Es zeigt sich aber, dass der so ungeliebte Regierungsrat vielleicht doch besser - zumindest: repräsentativer - ist, als man es ihm immer wieder nachgesagt hatte. In ihm sind die verschiedenen ethnischen und religiösen Gruppen des Landes vertreten - eben die Gruppen, die künftig an der Gestaltung des Irak beteiligt sein müssen. Und wenn diese Zusammensetzung für das zurückliegende Jahr gut war - warum dann nicht bis zu den geplanten Wahlen im kommenden Jahr?
Dass die Mitglieder des Regierungsrates von den USA ausgesucht wurden, braucht sie noch nicht zu disqualifizieren. Hätte man denn ernsthaft annehmen können, dass die Besatzer Leute berufen, die in klarem Widerspruch zu ihnen stehen? Das war für den Regierungsrat nicht zu erwarten, und das kann auch für die Übergangsregierung nicht erwartet werden. Vielleicht noch nicht einmal für die erste "frei" zu wählende Regierung im Jahr 2005. Solange Washington nicht zum Rückzug aus dem Irak gezwungen wird, setzt es natürlich alles daran, die weiteren Entwicklungen dort zu beeinflussen.
Das geht so weit, dass es bereits zu Missstimmung zwischen Washington und dem Regierungsrat kommt: Um sich für neue Aufgaben zu profilieren, beginnen Mitglieder des Rates, offen Kritik an den USA zu üben. Man will nicht mehr als Quisling dastehen, sondern als "natürliche" Elite des "neuen Irak". Auf einen Präsidenten konnte man sich auch nicht termingerecht, sondern erst jetzt einigen.
Was in dem Gerangel aber auch unterging: Dem bisher als "Wunderwaffe" betrachteten algerischen UN-Beauftragten für den Irak, Lakhdar Brahimi, ist es nicht gelungen, dem Normalisierungsprozess seinen eigenen Stempel aufzudrücken. Brahimi hat zwar unermüdlich Kontakte mit allen Fraktionen geführt, am Ende aber entschieden dann doch die USA.
Ob dies ein guter Start ist für ein neues und verstärktes UN-Engagement im Irak? Man möchte das bezweifeln. Aber: Wer anderes erwartet hatte, der war ganz offensichtlich von falschen Voraussetzungen ausgegangen. Der 30. Juni wird aller Wahrscheinlichkeit nach eben doch nicht eine Machtübergabe bringen, sondern eher für Kontinuität stehen. Kontinuität auch der Unruhe, der Gewalt und des Terrors.