Keine Lust auf den Abstieg
24. Februar 2024Gotteserfahrung auf dem Berg
Jesus ist in Galiläa im Norden Israels unterwegs. Er zieht von Ort zu Ort, predigt, tut Dinge, die die Menschen in Staunen versetzen. Und immer sind seine Jünger mit dabei, seine Freunde und Schüler. Aber manchmal scheint Jesus das Ganze auch einfach zu viel zu werden. Dann geht er auf Abstand, zieht sich zurück, nimmt sich eine Auszeit. Ferien vom Beruf des Wundertäters und Wanderpredigers sozusagen.
So steigt Jesus nun auch mit drei seiner Jünger auf einen hohen Berg. Und dort erlebt er Unglaubliches: Seine Kleider beginnen weiß zu leuchten und plötzlich sind da zwei weitere Gestalten bei ihm, die eigentlich schon lange nicht mehr leben. Mose, der das biblische Volk Israel vor vielen Generationen aus der Sklaverei in Ägypten in die Freiheit geführt hat, und Elia, der berühmteste jüdische Prophet. Die drei Jünger können es nicht fassen, dass sie Zeugen eines solchen Gipfeltreffens werden. Besser kann es nicht mehr werden, oder?
Der perfekte Moment – und danach
Petrus, einer der drei Jünger, macht spontan den Vorschlag, hier doch gleich drei Zelte aufzubauen, je eines für die drei Lichtgestalten Israels. Als könnte man so diesen Augenblick festhalten, irgendwie konservieren. Warum bleiben wir nicht alle hier oben? Hier haben wir Jesus ganz für uns.
Es ist nicht das erste Mal, dass die Jünger Jesus scheinbar am liebsten für sich selbst behalten würden. Immer wieder haben sie Jesus von Menschen abgeschirmt, die zu ihm wollten mit ihren Anliegen. Und auch bei einzelnen Jüngern gibt es bisweilen den Wunsch, Jesus näher zu sein als alle anderen. Zu seiner Rechten neben ihm am Tisch zu sitzen. Oder allein mit ihm über das Wasser eines Sees zu schreiten. Das ist kein sympathischer Zug. Aber ich kann sie irgendwie verstehen: Sie wünschen sich, dass die intensive Zeit mit diesem besonderen Menschen nie aufhört. Sie wollen keinen Moment davon verpassen.
Schließlich hören die drei Jünger auf dem Berg eine Stimme vom Himmel: „Dies ist mein Sohn, dem meine ganze Liebe gilt; auf ihn sollt ihr hören!“ Gott hat gesprochen. Und plötzlich ist alles wieder vorbei. Mose und Elia sind verschwunden. Der erhabene Moment ist vorüber; es bleibt nur noch der Abstieg vom Berg.
Schlimmer noch: Jesus weist die Jünger an, niemandem von dem zu erzählen, was sie gesehen und gehört haben, bis er vom Tod auferstanden ist. So ruiniert man einen perfekten Moment. Die Jünger sind wie vor den Kopf gestoßen. Sie haben Jesus schon einmal davon reden gehört, dass man ihn töten wird und dass er danach wieder leben werde. Aber das befindet sich völlig außerhalb ihrer Vorstellungskraft. Sie diskutieren untereinander, was Jesus damit wohl gemeint haben kann: vom Tod auferstehen.
Realitäts-Check
Es ist ein seltsamer Moment für die Jünger, dieser Abstieg vom Berg. Gerade waren sie noch begeistert und euphorisiert, doch das ist eben nicht von Dauer. Stattdessen führt Jesus sie zurück in die Niederungen des Alltags mit seinen praktischen Herausforderungen. Und zurück in die Angst davor, dass ihre Zeit mit Jesus ein Ende haben wird.
Die Jünger haben viel zu lernen – und Jesus mit ihnen. Immer wieder ist in den Geschichten davon die Rede, dass die Jünger nicht verstehen, was Jesus ihnen versucht zu sagen. Jesus tut Zeichen und Wunder, aber deren Bedeutung wird erst später, im Nachhinein für die Jünger verständlich. Trotzdem bleiben sie dran. Sie sind Teil von etwas Einzigartigem, das spüren sie. Und auch Jesus findet langsam für sich selbst heraus, was seine Mission für ihn und seine Freunde bedeutet. Wie deutlich, wie praktisch, wie nahbar und verletzlich muss Gott werden, damit die Menschen etwas von seiner Liebe begreifen können?
Dieser Abstieg ist beschwerlich. Natürlich wäre es schöner, oben auf dem Berg die Aussicht zu genießen. Doch ihr Weg führt Jesus und die Jünger von der persönlichen Gotteserfahrung zurück zu den Menschen. Nachdenklich, mit mehr Fragen als Antworten, bleiben sie unterwegs und im Gespräch miteinander. Es ist noch ein weiter Weg bis nach Jerusalem. (Matthäus 17, Markus 9, Lukas 9)
Zum Autor:
Markus Witzemann (Jahrgang 1977) arbeitet als freier Journalist in Berlin. Im damaligen West-Berlin geboren, ist er seiner Heimatstadt bis auf eine kurze Zeit in Westerstede im Ammerland immer treu geblieben, während seines Amerikanistikstudiums sowie bei verschiedenen Praktika. Er ist verheiratet mit Pastorin Nicole Witzemann und ist Mitglied einer Baptistengemeinde in Berlin-Schöneberg.
Dieser Beitrag wird redaktionell von den christlichen Kirchen verantwortet.