Keine Hilfe für Syrien-Flüchtlinge in Russland
11. September 2015Zehntausende Flüchtlinge kommen nach Europa, viele von ihnen aus Syrien. Nach Angaben der Vereinten Nationen hat die Zahl der Flüchtlinge aus Syrien bereits mehr als vier Millionen erreicht. Fast zwei Millionen sind in der Türkei registriert, mehr als eine Million im Libanon. Seit Beginn des Syrien-Konflikts im Jahr 2011 haben etwa 350.000 syrische Bürger Asylanträge in europäischen Ländern gestellt.
Beim russischen Föderalen Migrationsdienst haben im gleichen Zeitraum insgesamt nur 3.338 Syrer Asyl beantragt. Den offiziellen Flüchtlingsstatus haben nur 1.774 bekommen.
Kaum Zugang zu Asylverfahren
"Auf diese Zahlen des Föderalen Migrationsdienstes kann ich mich nicht verlassen", sagt Swetlana Gannuschkina im Gespräch mit der DW. Sie ist Vorsitzende der "Zivilen Unterstützung", der einzigen russischen NGO, die sich seit Jahrzehnten für die Belange von Flüchtlingen einsetzt. Gannuschkina leitet zudem das Netzwerk "Migration und Recht" des russischen Menschenrechtszentrums "Memorial".
Ihr zufolge liegt die Zahl syrischer Flüchtlinge in Russland weit höher. Das Problem sei, dass die Menschen keinen Zugang zu Asylverfahren bekämen. "Ein Flüchtling kommt an, aber er bekommt keinen Termin bei den Behörden. Oder diese Menschen werden festgenommen und ausgewiesen. Es gibt viele solche Fälle", bedauert Gannuschkina. Sie schätzt die reale Zahl syrischer Flüchtlinge in Russland auf etwa 10.000.
"Keine Hilfe für Flüchtlinge"
Im Vergleich zum Flüchtlingsansturm auf Europa scheint diese Zahl fast unbedeutend zu sein, wenn man bedenkt, wie groß Russland ist. Doch warum flüchten Syrer nur ungern in ein Land, das immer wieder seine Freundschaft zu Syrien betont und dem syrischen Volk angeblich helfen will? "Sie betrachten Russland meist nur als Transitland, da es in Russland überhaupt keine Hilfe für Flüchtlinge gibt", so Gannuschkina.
Flüchtlingskinder hätten Probleme, an russischen Schulen aufgenommen zu werden. Erwachsene würden keine Arbeit bekommen. "Wenn man vorübergehendes Asyl erhalten hat, darf man arbeiten. Aber Arbeitgeber wissen dies sehr oft nicht und nehmen keine Flüchtlinge", sagt Gannuschkina. Außerdem hätten Arbeitgeber finanziell mehr davon, illegale Arbeitsmigranten zu beschäftigen.
Heimat syrischer Tscherkessen
Wenig bekannt ist, dass in Syrien mehr als 100.000 ethnische Tscherkessen leben. Deren Vorfahren wurden im 19. Jahrhundert nach dem Kaukasus-Krieg aus dem Russischen Reich dorthin umgesiedelt. Im Jahr 2012 wurde auf Initiative des damaligen Senators des nordkaukasischen Gebiets Kabardino-Balkarien, Albert Kascharow, im Föderationsrat Russlands eine Rückführung ethnischer Tscherkessen aus Syrien erörtert. "Eigentlich geht es nicht um eine Rückführung, sondern um die Rettung dieser Menschen", sagte damals der inzwischen verstorbene Kascharow.
Streitpunkt war, wo die Menschen untergebracht werden sollten. Die Quoten für Rückkehrer nach Russland waren niedriger als die Anzahl derer, die übersiedeln wollten. Die Idee, Flüchtlingslager einzurichten, wurde von den föderalen Behörden Russlands nicht unterstützt. Und mit Kascharows Tod im Jahr 2013 war das Thema vorerst erledigt.
Ausweisung statt Hilfeleistung
Erst Anfang September dieses Jahres äußerte sich Maxim Schewtschenko, Mitglied des Menschenrechtsrates beim russischen Präsidenten, im Radiosender "Echo Moskwy" wieder zum diesem Thema. "Dänemark und Norwegen nehmen syrische Tscherkessen auf. Dort sind bereits mehrere angekommen als in Russland, wo sie nicht akzeptiert werden", sagte er. Schewtschenko sieht die geltenden Quoten als "eine Schande für mein Land". In den letzten drei Jahren konnten lediglich rund 1500 syrische Tscherkessen nach Russland übersiedeln. Unterstützt werden sie nur von zivilgesellschaftlichen Organisationen, Freiwilligen und Verwandten.
Alle anderen Flüchtlinge aus Syrien sind in Russland auf die Hilfe von Menschenrechtlern angewiesen, die sie oft vor den Behörden verteidigen müssen. Denn diese wollen die notleidenden Menschen umgehend nach Syrien zurückschicken, wo Bürgerkrieg herrscht und der "Islamische Staat" wütet.
"Vor wenigen Tagen ist es uns mit Hilfe des Hohen Flüchtlingskommissars der Vereinten Nationen gelungen, eine Entscheidung der Behörden in der russischen Teilrepublik Dagestan rückgängig zu machen, die zwei syrische Flüchtlinge ausweisen wollten", so Gannuschkina.