Keine Angst vor Wölfen
28. August 2015Ingeborg und Johanna haben so einen Auflauf auch noch nicht erlebt. Wild bellend begrüßen die beiden Herdenschutzhunde die Gruppe um Umweltministerin Barbara Hendricks (Artikelbild, Mitte), die sich jetzt ihrer Herde von rund 1000 Schafen nähert - samt Landespolitikern, Naturschützern und Journalisten mit Mikrofonen und Kameras. Die Herde gehört der 45-jährigen Heike Griem (Artikelbild, links), die den heute exotischen Beruf einer Schäferin ausübt. Und die sich nicht sorgt, wenn es hier in Boizenburg in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch sonst in vielen Gegenden Deutschlands, immer mehr Wölfe gibt. "Ich habe noch keinen Wolf gesehen", meint sie seelenruhig.
Aber ihr Beruf hat sich verändert, seit es allein in Mecklenburg-Vorpommern wieder zwei Wolfsrudel mit rund zwanzig Tieren gibt. Heike Griem hat die beiden Schutzhunde angeschafft, pro Tier für rund 1000 Euro. Und sie hat in mobile Elektroschutzzäune investiert, die jeden Tag auf neuen Flächen um die Herde gezogen werden: "Auf-und Abbau der Zäune und der Schutz vor dem Wolf kostet mich schon anderthalb bis zwei Stunden Arbeit mehr am Tag." Die beste Versicherung vor dem Wolf sind aber Ingeborg und Johanna, die als Welpen schon mit den Schafen aufgewachsen sind und immer bei der Herde bleiben. "Man muss dem Wolf einfach beibringen, dass es sich nicht lohnt, bei uns einkaufen zu wollen", sagt Heike Griem. Sie lebt vom Fleischverkauf - und vom Schutz der Naturflächen, wofür es Zuschüsse vom Land gibt.
Wölfe als Gefahr?
Wolf und Schaf, das geht also. Doch das sehen nicht alle so: Viele Jäger sind der Meinung, der Wolf sei eine Gefahr, er müsse wieder geschossen werden dürfen. Es gibt Berichte, dass sich Wölfe immer häufiger auch dem Menschen nähern, und Schafe, aber auch Wild reißen. Dass das vorkommt, bestreitet auch die Ministerin nicht. Aber sie verweist darauf, dass die Bundesländer den Besitzern Ausgleichszahlungen für gerissene Tiere bieten. Und Heike Griem bestätigt: Hunde und Zäune werden bezuschusst, seit der Wolf wieder da ist. Aber natürlich werden nicht alle Kosten ersetzt, und vor allem nicht die Arbeitszeit.
Barbara Hendricks weist also die Forderungen der Jäger zurück. Ist sie ein Fan des Wolfs? "Ein emotionales Verhältnis habe ich nicht dazu, ich habe noch nie einen frei lebenden Wolf gesehen", sagt sie. "Aber wir sind zum Schutz bedrohter Tierarten verpflichtet, und wenn es wieder Wölfe gibt in Deutschland, ist das doch ein Beitrag zur Artenvielfalt." Und der Fachmann für den Artenschutz im Bundesumweltministerium, Gerhard Adams, ergänzt: "Der Wolf ist für den Menschen nicht gefährlich, dafür gibt es keine Anzeichen. Wenn sich Wölfe Menschen nähern, dann sind es meist junge, verspielte Tiere, die ihre Grenzen austesten wollen. Aber wo der Wolf auftaucht, wird er für alles verantwortlich gemacht." Alle offiziellen Statistiken belegten, so Adams, dass die Reh- und Wildbestände etwa nicht zurückgegangen sind, seitdem vor 15 Jahren erstmals wieder Wölfe in Deutschland gesehen wurden - nachdem sie für rund 100 Jahre ausgerottet worden waren.
30 Wolfsrudel in Deutschland
In fast allen Bundesländern gibt es inzwischen Managementpläne für den Umgang mit Wölfen. Freiwillige Helfer dokumentieren Hinweise auf Wolfsvorkommen. Einige renitente Tiere, die sich Siedlungen näherten, wurden betäubt und mit Sendern versehen - nach zeitraubender Suche. Und noch in diesem Jahr will das Bundesumweltministerium ein Wolf-Beratungszentrum einrichten.
30 Wolfsrudel gibt es wieder in Deutschland, also etwa 300 Tiere. Zusammen mit den Wölfen in Polen bilden sie eine Population, die die Regierung als schützenswert erachtet, weil sie noch nicht groß genug ist. Die kritischen Jäger argumentieren, die deutschen und polnischen Wölfe entstammten einer gemeinsamen Population mit den Wölfen im Baltikum, ein besonderer Schutz in Deutschland sei nicht nötig. Aber noch hat sich Barbara Hendricks da durchgesetzt. "Wir bleiben bei unserer Position", erklärt sie knapp.
Und auch Heike Griem geht ganz pragmatisch mit dem Wolf um: "Seitdem er geschützt wird, kommt er halt zurück, das ist doch die Natur. Und die liebe ich, deswegen bin ich Schäferin geworden."