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"Kein zwingender Grund für einen Grexit"

Daniel Heinrich22. Juni 2015

Gibt es eine Lösung im Schuldenstreit mit Athen? Oder rutscht Griechenland in die Pleite? Wir sprachen mit Ferdinand Fichtner, Konjunkturchef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung.

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Ferdinand Fichtner Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung
Bild: DW

DW: Welche Szenarien stehen im Raum, falls die Hilfsprogramme für Griechenland nicht verlängert werden?

Die größte Gefahr ist, dass ganz erhebliche Kürzungen bei den Gehältern vor allem des öffentlichen Dienstes und den Renten vorgenommen werden müssten. Nur so kann kurzfristig etwas Geld in die Kassen des griechischen Staates kommen. Denn die Steuereinnahmen reichen bei weitem nicht aus, um eben diese laufenden Ausgaben zu decken. Deswegen würde ich damit rechnen, das Rentengehälter reduziert werden, möglicherweise auch andere Ausgaben, beispielsweise für Infrastrukturprojekte gestoppt werden müssen und so weiter. Das wäre die unmittelbare und geradezu zwingende Reaktion; wenn der griechische Staat, wenn die griechische Regierung sich nicht mehr über die Rettungsschirme finanzieren kann.

Ferdinand Fichtner: Das klingt ja zunächst einmal dramatisch. Wie erklären Sie sich die relativ entspannte Haltung der griechischen Regierung angesichts dieser Umstände?

Ich bin nicht sicher, ob die griechische Regierung wirklich entspannt ist, sie vermittelt natürlich nach außen hin den Eindruck und das muss Sie auch, weil gerade diese Überlegungen zum Thema Bank Run, also zum Leerräumen der Bankkonten, da ist ein ganz enormes psychologisches Moment drin. Noch scheint es so zu sein, dass die griechische Bevölkerung einigermaßen Vertrauen hat in die Zukunft des Landes, in den Euro und insofern auch in die Zukunft des Bankensystems.

Die große Panik ist bisher ausgeblieben. Wir beobachten tatsächlich, dass die Griechen mehr und mehr Geld abheben von den Konten, aber es sind noch keine ganz großen Kapitalabflüsse, also noch kein Bank Run bisher. Aber sobald natürlich die Nervosität steigt, weil die griechische Regierung signalisiert, jetzt wird es uns hier langsam echt zu eng, dann kann sich das natürlich ganz schnell ändern. Die zweite Ursache dafür, dass die griechische Regierung sich nach außen sehr cool gibt, sehr locker, sehr entspannt, ist, dass das in den Verhandlungen mit Brüssel und den europäischen Partnern möglicherweise eine ganz clevere Strategie ist. Wenn die Leute sehen, dass Tsipras und seine Leute noch ganz entspannt sind, dann kann es im Land ja nicht so schlimm sein. Wobei ich ehrlich gesagt nicht sicher bin, dass Merkel, Schäuble und die anderen am Tisch in Brüssel sich davon wirklich beeindrucken lassen.

Pokern die Griechen einfach weiter, weil sie wissen: Die EU wird uns schon helfen?

Ich kann mir schon vorstellen, dass die griechische Regierung darauf setzt, dass die EU und auch die EZB und die anderen Institutionen wirklich alles tun werden, was sie irgendwie noch vertreten können, um Griechenland zu retten. Und Retten heißt in diesem Falle, im Euro zu behalten. Letztlich sind die Risiken, die mit einem Euroaustritt verbunden sind, nicht nur für Griechenland sehr hoch, sondern auch für die Eurozone insgesamt.

Würde es kein Ergebnis geben und keine neuen Hilfen, wäre das gleichbedeutend mit einem Grexit?

Es ist kein zwingender Zusammenhang. Zunächst einmal ist es so, dass Griechenland, selbst wenn seine Hilfsprogramme nicht verlängert werden, natürlich in der Währungsunion bleiben kann. Es kann sich auf anderem Wege Geld beschaffen. Die Wahrscheinlichkeit, dass Griechenland aus der Währungsunion aussteigen muss, wenn die Kredite nicht verlängert werden, wenn die Hilfsprogramme nicht verlängert werden, die ist allerdings relativ groß, einfach weil die Kapitalverkehrskontrollen, die ziemlich sicher folgen würden, unvereinbar sind mit der gemeinsamen Währung. Insofern ist es dann keine echte Option mehr, im Euro zu bleiben. Prinzipiell ist es aber möglich und es gibt keinen zwingenden Zusammenhang zwischen dem Beenden der Rettungsprogramme und einem Austritt des Landes aus dem Euro.

Warum holt sich die griechische Regierung legal ins Ausland geschafftes Geld reicher Griechen nicht zurück?

Das ist im Prinzip denkbar. Es gab in Deutschland beispielsweise nach dem zweiten Weltkrieg eine Vermögensabgabe, wo im Grunde ad hoc beschlossen wurde, dass ein bestimmter Teil des Vermögens an den Staat ausbezahlt werden musste. Man musste quasi eine einmalige Vermögenssteuer abgeben, sowas ist für Griechenland denkbar. Aber offenbar scheint selbst die linke Regierung in Griechenland davor zurückzuschrecken. Ich könnte mir vorstellen, dass die Sorge besteht, dass das dann die Kapitalflucht, die im Grunde schon läuft, sich noch beschleunigt. Dass die Reichen im Grunde versuchen, noch mehr Geld aus dem Land abzuziehen.

Ferdinand Fichtner ist Konjunkturchef am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin.