"Kein Wandel in Birma"
13. Mai 2011Verhalten optimistisch schätzten daraufhin internationale Birma-Beobachter die Zukunft ein. Doch wenige Monate nach ihrer Freilassung kann Suu Kyi diese Auffassung nicht teilen. "Es gibt keinen wirklichen Wandel. Die Leute wünschen sich so sehr Veränderungen, aber tatsächlich gibt es keine." Dennoch ist im vergangenen halben Jahr viel passiert in Myanmar - wie Birma heute offiziell heißt: Auf die ersten Wahlen nach mehr als zwei Jahrzehnten folgte im Januar die erste Tagung des Parlaments. Und Ende März 2011 löste sich die Junta offiziell selbst auf.
"Fassadenkosmetik" der Militärregierung
Auch für Aung San Suu Kyi ist das Leben jetzt deutlich leichter: Seit dem Ende ihres langjährigen Hausarrests hat sie einen Internetanschluss, gibt Interviews und engagiert sich längst wieder aktiv für mehr Demokratie. Doch in ihren Augen betreiben Birmas Militärs nur Fassadenkosmetik. Die alte Militärregierung habe sich lediglich durch kontrollierte Wahlen zu legitimieren versucht, meint sie. Als Gradmesser der Freiheit ist für sie nur der Blick auf die Unterdrückung Andersdenkender im Land akzeptabel. "Solange nicht alle politischen Gefangenen freigelassen werden und nicht allen erlaubt wird, am politischen Prozess im Land teilzunehmen, können wir nicht von echtem Wandel sprechen."
Die Friedensnobelpreisträgerin hatte sich ausdrücklich gewünscht, mit internationalen Studenten über die Lage in ihrem Land debattieren zu können. So kam es zu einer außergewöhnlichen Podiumsdiskussion: Aus Angst vor Störungen der birmanischen Sicherheitsbehörden wurde Aung San Suu Kyi nach konspirativen Vorbereitungen per Telefon aus Rangun in die Berliner "Hertie School of Governance" geschaltet, wo DW-TV die Diskussion mit Journalisten und Studenten moderierte und aufzeichnete.
Umdenken der jungen Generation
Es ist der gebildete politische Nachwuchs, auf den die 65-Jährige Aktivistin mittlerweile ihre ganze Hoffnung setzt. Nicht nur in den arabischen Ländern, auch in Birma seien es Studenten, die sich für den Wandel engagieren. Das sei eine der größten Veränderungen, die sie seit ihrer Freilassung beobachtet habe, so die Friedensnobelpreisträgerin. Noch vor wenigen Jahren hätten sich junge Menschen in Birma kaum für Politik interessiert. "Mittlerweile sind sie viel selbstständiger. Sie sind frustriert, haben aber verstanden, dass sie es sind, die einen Wandel bewerkstelligen müssen."
Aung San Suu Kyi, die erst kürzlich erneut dafür plädierte, die internationalen Sanktionen gegen Birma aufrecht zu erhalten, gibt sich in der Diskussion überzeugt davon, dass andauernder internationaler Druck auf das Militärregime hilfreich für ihr Land sei. Im Falle Birmas würden die Sanktionen mehr den Herrschenden als den Beherrschten schaden. "Wenn man Menschen hier fragt, was ihr größtes Problem ist, sagen sie alle: die Inflation, die steigenden Lebenshaltungskosten, die Arbeitslosigkeit." Diese täglichen Probleme seien für die Bevölkerung Birmas die größte Belastung. "Und die rührt nicht von Sanktionen her."
Hoffnung für die Zukunft
Aung San Suu Kyi ist auch in Birma nicht unumstritten wegen ihrer strikten Haltung. Die Oppositionsbewegung ist in verschiedene Organisationen gespalten. Dennoch wachse das Netzwerk derjenigen, die für mehr Demokratie in Birma arbeiten, sagt sie ihrem Berliner Publikum. Und auch, dass erst aus dem Vielen das Eine werden könne, nämlich eine starke birmanische Gesellschaft.
Autorin: Adrienne Woltersdorf
Redaktion: Esther Felden