(Kein) Neuanfang in Athen
29. August 2018Auf den ersten Blick ändert sich nichts wesentliches: Der für die Sparpolitik zuständige Finanzminister Eukleid Tsakalotos bleibt weiterhin im Amt, genauso wie Außenminister Nikos Kotzias. Auch Verteidigungsminister Panos Kamenos, Chef der rechtspopulistischen ANEL-Partei und von Beginn an Mehrheitsbeschaffer für Linkspremier Tsipras, sitzt anscheinend fest im Sattel.
Frauen in der Regierung
Doch beim genauen Hinsehen sind Neuansätze in der Athener Personalpolitik durchaus sichtbar: Der bisherige Innenminister Panos Skourletis, einer der mächtigsten Akteure in der regierenden Linkspartei und potenzieller Gegenspieler von Ministerpräsident Tsipras, muss die Regierung verlassen und widmet sich ab sofort der Parteiarbeit. Sein Nachfolger wird Alexis Haritsis, der für eine neue Generation von gemäßigten Linkspolitikern steht.
Für Aufsehen sorgt zudem die Entscheidung des Premiers, Frauen neu in sein Team zu holen, die bereits Regierungserfahrung gesammelt haben - allerdings nicht unter seiner Führung, sondern in früheren Kabinetten, die einst - von Tsipras eigentlich verhassten - Altparteien gebildet wurden.
Prominentester Neuzugang ist Mariliza Xenogiannakopoulou, die einst in der sozialistischen Regierung von Jorgos Papandreou als Gesundheits- und stellvertretende Außenministerin diente. Auch eine sozialistische Ex-Kulturministerin darf am Kabinettstisch Platz nehmen: Myrsini Zorba. Aus den eigenen Reihen holt Tsipras Olga Gerovassili auf die Regierungsbank. Sie war seine Sprecherin und wird nun die neue Zivilschutzministerin.
Dazu kommt Katerina Papakosta, einst Gesundheitsministerin unter dem stramm-konservativen Premier Antonis Samaras und derzeit Gründerin einer patriotischen Splitterpartei mit dem sehr ungewöhnlichen Namen "Neuer Griechischer Schwung".
Sieht so wirklich ein Neuanfang aus? "Machen wir uns doch nichts vor, mit alten Materialien schafft man kaum Neues", moniert Dimitris Tsiodras, Journalist und Ex-Regierungssprecher, der sich heute für eine liberale Partei engagiert und Tsipras kritisch gegenüber steht. Tsiodras meint, die neue Athener Regierung sei eine verwirrende Mischung aus veralteten Linkspolitikern und selbsternannten volksnahen Konservativen. Als Ergänzung kämen auch noch ehemalige Minister der sozialistischen PASOK-Partei dazu. Fazit: "Das ist eindeutig keine Regierung für die Zukunft".
Letztes Aufgebot vor der Wahlschlacht
Vermutlich denkt Tsipras speziell an die nahe Zukunft. Denn spätestens im Herbst 2019 finden in Griechenland Neuwahlen statt und der Linkspremier kann, angesichts schlechter Umfragewerte, wahrlich jede Stimme gebrauchen. Eine Öffnung zur linken Mitte kommt da genau zum richtigen Zeitpunkt.
"Genau dieses Team soll in die Wahlschlacht ziehen. Ich glaube nicht, dass wir in nächster Zeit eine weitere Regierungsumbildung erleben werden", sagt Analyst Pavlos Tsimas im TV-Sender "Skai". Dafür, dass Tsipras auf Wahlkampfmodus schaltet, spreche auch, dass der bisherige Innenminister Skourletis, ein erfahrener Parteisoldat, neuer Chef des Syriza-Zentralkomitees wird. "Er soll die Linkspartei wachrütteln und wieder in Wahlkampfbereitschaft bringen", ist Tsimas überzeugt.
Für den Politikwissenschaftler Jorgos Tzogopoulos steht fest: Tsipras hätte wohl noch in diesem Sommer die Flucht nach vorne gewagt und sich dem Wählerurteil gestellt, hätte es da nicht die verheerenden Waldbrände an der Ostküste Athens Ende Juli gegeben. Angesichts von 97 Toten nach der Brandkatastrophe und heftigen Protesten gegen die Regierenden würde die Wahl vorerst vertagt.
Anfang August musste der tatenlos wirkende Minister für Zivilschutz, Nikos Toskas, zurücktreten und die politische Verantwortung für mangelnde Koordination der zuständigen Behörden übernehmen. Dass nun mit Olga Gerovassili eine energische Frau diesen schwierigen Job übernimmt, sei auch eine Botschaft an die Wähler: "Wir haben verstanden". Doch letzten Endes sei die Regierungsumbildung nichts anderes als ein Kommunikationstrick, moniert Tzogopoulos.
Wahlgeschenke für das Volk
Bleibt noch die Frage, ob die neue Tsipras-Regierung ihre Sparpolitik in den nächsten Monaten lockert, um bei den Wählern mit sozialen Wohltaten zu punkten. Immerhin sorgten Syriza-Politiker in den vergangenen Wochen für Aufsehen mit dem Hinweis, die mit den Geldgebern für 2019 vereinbarten Rentenkürzungen fänden vielleicht doch nicht statt. Tsipras selbst hält sich dazu noch bedeckt.
Politologe Tzogopoulos glaubt, der Linkspremier käme nicht umhin, das eine oder andere Wahlgeschenk zu verteilen, zumal Griechenland einen deutlichen Überschuss im Staatshaushalt erwirtschaftet - Zinszahlungen an seine Kreditgeber allerdings nicht mitgerechnet. "Mit Hinweis auf diesen Überschuss wollen Syriza-Politiker die Rentenkürzungen aussetzen oder zumindest den Eindruck vermitteln, dass sie dafür kämpfen", sagt der Politikwissenschaftler.
Laut Medienberichten könnte Tsipras zudem in den nächsten Tagen Steuererleichterungen und eine Erhöhung des Mindestlohns in Aussicht stellen. Ob die Geldgeber damit einverstanden sind, bleibt abzuwarten. Sie haben jedenfalls die Gelegenheit, ihre Meinung deutlich zu äußern: Voraussichtlich am 10. September werden die Euro-Kontrolleure zum wiederholten Mal in Athen erwartet.
So schnell wollen die Geldgeber die Kontrolle über Griechenlands Finanzen offenbar nicht aufgeben, obwohl das hoch verschuldete Land sein Rettungsprogramm im August erfolgreich abgeschlossen hat.