"Kein Licht." Musikheater nach der Katastrophe
26. August 2017Rostige Rohre ragen verknotet in den Himmel und vermitteln ein Gefühl von Verlorenheit. Der Landschaftspark Nord in Duisburg ist der perfekte Ort für Elfriede Jelineks "Kein Licht. (2011/2012/2017)". Während das alte Hüttenwerk eine neue Bestimmung gefunden hat, ist die Zukunft in Jelineks Stück noch komplett offen: A und B, die sich selbst erste und zweite Geige nennen, treiben im Nichts und philosophieren darüber, wie es soweit kommen konnte. Eine Katastrophe ist geschehen, es herrscht totale Stille und gleichzeitig unbeschreiblicher Lärm. Vielleicht sind A und B auch die einzigen Überlebenden auf dem Planeten – oder sind sie gar schon tot? Elfriede Jelinek schrieb die erste Fassung von "Kein Licht." im Jahr 2011. Dem Jahr, in dem ein Tsunami in Fukushima ein Reaktorunglück verursachte, das vielen Menschen die Lebensgrundlage entzog.
"Meine Kreativität kommt aus dem Negativen"
Die Österreicherin Elfriede Jelinek ist eine der meistgespielten deutschsprachigen Gegenwartsautorinnen. Für ihr Werk - Lyrik, Prosa, Hörspiele und Theaterstücke - erhielt sie zahlreiche Preise. 2004 wurde ihre "einzigartige sprachliche Leidenschaft" mit dem Literaturnobelpreis gewürdigt. Eine Entscheidung, die in den Feuilletons kontrovers diskutiert wurde. Jelinek gilt als Moralistin, die in ihren Texten wütend mit der herrschenden Ungleichheit zwischen den Geschlechtern und Verfehlungen der Menschheit, wie der Umweltverschmutzung, abrechnet. Sie selbst sagt: "Meine Kreativität kommt aus dem Negativen. Ich kann nichts Positives beschreiben." Ihre dramatischen Texte sind keine Theatertexte im herkömmlichen Sinn. Es sind Fließtexte ohne eindeutige Dramaturgie und Charaktere, die es dem jeweiligen Regisseur überlassen, wie der Text in einer Theaterinszenierung angeordnet wird.
Im Auftrag der Ruhrtriennale verfasste Jelinek im Mai 2017 einen weiteren Text. Dieser ergänzt das ursprüngliche Stück, das 2011 in Köln uraufgeführt wurde, um aktuelle Bezüge. Denn das Thema Atomenergie, vor allem im Kontext von Atomwaffen, ist wieder sehr präsent. Da darf US-Präsident Donald Trump als Klimawandel-Leugner und Atomwaffen-Freund nicht fehlen. Unter dem Titel "Kein Licht. (2011/2012/2017)" feierte das Stück nun als Musiktheater seine Uraufführung bei der Ruhrtriennale. Das internationale Kunstfestival findet seit 2002 alle drei Jahre in Industriedenkmälern des Ruhrgebiets statt. Unter der Intendanz von Johann Simons hat das diesjährige Programm den Schwerpunkt Zukunftsvisionen und Utopien.
Ein undurchsichtiger Text
Regie führte Nicolas Stemann, der schon einige Jelinek-Stücke auf die Bühne gebracht hat. Philippe Manoury hat dazu eine Musik komponiert, in der elektronischer Sound unmerklich mit Orchesterklängen verschmilzt. Im Interview mit der DW gibt der Franzose unumwunden zu, dass er zunächst Probleme mit dem Stück hatte: "Mein erster Kontakt mit dem Text war ziemlich schwierig, weil der Text sehr undurchsichtig ist." Also habe er seine Komposition an Leitmotiven wie dem Wind, dem Wasser, der Atomenergie oder den Tieren orientiert. Die Unzugänglichkeit des Textes, die viel Denkarbeit erfordert, brachte Manoury schließlich auf eine neue Wortschöpfung: Eigentlich sei die Inszenierung ein Singspiel – eine Kombination aus Gesang und Schauspiel. Weil der Text und das Arrangement ihm aber soviel zu denken gegeben hätten, wäre es eher ein Denkspiel, also "Thinkspiel", geworden.
Kein Platz für Uneindeutigkeiten
Bei den Proben mögen die Köpfe geraucht haben – das Ergebnis regt leider kaum zum Nachdenken an. In gut zwei Stunden bekommt das Publikum ein Spektakel aus grellen Kostümen und effekthaschenden Spielereien geboten. Es gibt Videoprojektionen, ein Roboter taucht unvermittelt auf, ein Hund jault mit und im letzten Drittel wird live eine Virtual-Reality-Animation der vom Mensch geplagten Erde gemalt und auf eine riesige Leinwand projiziert. Diese Metaebenen stehen neben der Orchestermusik, dem Operngesang und dem Schauspiel von Caroline Peters als A und Niels Bormann als B. Das sorgt zeitweise für ein heilloses Durcheinander auf der Bühne. Eigentlich ein passendes Szenario, in digitalen Zeiten, in denen immer alles gleichzeitig passiert und der Mensch gar nicht mehr weiß, auf was er sich konzentrieren soll. Nur wird mit den Bildern auch noch die letzte Uneindeutigkeit ausgeräumt und dem Text so seine Stärke genommen. Sprechen A und B über "den König", der in seinem "Wolkenkratzerkuckucksheim" residiert, versteht jeder spätestens bei den Worten "es ist alles fake", dass es hier um Donald Trump gehen muss. Unnötig, sein Konterfei auch noch über die animierte 3D-Weltkugel zu schicken und Erdogan gleich hinterher.
Eine Welt ohne Geheimnisse ist langweilig
Auf die Spitze getrieben wird diese Erklärungswut, wenn der Abend unterbrochen wird und der Komponist selbst ans Mikrofon tritt. Er berichtet, dass während der Proben ein Naturwissenschaftler konsultiert wurde und die elektronische Musik, die gerade zu hören ist, durch eine Wahrscheinlichkeitsrechnung entsteht. Hier wird alles transparent gemacht – leider ist eine Welt ohne Geheimnisse aber sehr langweilig.
Die stärksten Momente des Abends sind die ruhigen. Wenn Manourys Komposition in den Vordergrund rückt und die Schauspieler zu bloßen Stimmen werden. Diese Augenblicke lassen auch für die Zuschauer Raum, über unseren Umgang mit der Welt nachzudenken und sich zu fragen, wie es denn jetzt weitergehen soll. Natürlich hat die Inszenierung auch auf diese Frage eine abschließende Antwort. Zunächst scheint Ratlosigkeit vorzuherrschen:
B: "Und was haben wir gelernt?"
A: "Keine Ahnung. Aber irgendwas werden wir schon gelernt haben."
Doch schon kurz darauf machen sich die beiden in einer Rakete auf zu neuen Planeten, während im Hintergrund die Erde explodiert. Bleibt zu hoffen, dass der Menschheit noch rechtzeitig eine bessere Lösung einfällt.