"Kein Jenseits ist, kein Auferstehen"
12. November 2005Pappelallee 15, Prenzlauer Berg. Der in den 1990er Jahren umgestaltete Friedhof gehört der Freireligiösen Gemeinde. Sie brach um1840 mit den Dogmen der Kirche und verteidigte Religion als individuellen Anspruch. Ungewöhnliches hat die Freireligiöse Gemeinde in Deutschland erreicht. Sie engagierte sie sich Ende des 19. Jahrhunderts für die Feuerbestattung - und zwar nicht aus hygienischen Gründen, sondern gemäß ihres Leitspruches, der seit 1860 am Friedhofseingang zu lesen ist: "Schafft hier das Leben gut und schön, kein Jenseits ist, kein Auferstehen."
Selbstmörder, Sozialisten, Sonnenanbeter
Heute ist der Friedhof ein offenes Denkmal im Szenebezirk Prenzlauer Berg. Die ersten Freireligiösen wurden hier 1847 bestattet, 1970 wurde er geschlossen. Da sie in keinem konfessionellen Friedhof bestattet werden konnten, liegen hier viele Selbstmörder begraben - und "politische" Tote. "Damals wurden Leute, die mit dem Staat in Konflikt kamen, von der Gesellschaft und auch von der Kirche ausgeschlossen", sagt die Vorsitzende der Freireligiösen Gemeinde von Berlin, Anke Reuther. "Sozialdemokraten des 19. Jahrhunderts wurden hier begraben. Was heute der Friedhof der Sozialisten ist, dass war im 19. Jahrhundert dieser Friedhof in der Pappelallee."
Immer wieder werden die Grabdenkmale besprayt oder das Terrain von halbnackten Sonnenbadern missbraucht. Aber manches Problem ist wegen der engen Bebauung und dem fehlenden Grün der Gegend kaum aus der Welt zu schaffen. Dass weiß auch Anke Reuther. Im Friedhof gibt es sogar einen Spielplatz. "Aber die Kinder bleiben nicht in diesem Areal des Spielplatzes, sieh hauen auch mit ihren Schippen auf die Grabsteine. Und das ist ein Teil dieser Konfliktsituation: Wir wollen diesseitige Leben akzeptieren, aber auch unsere Geschichte gewahrt sehen."
Totenruhe am Autobahnzubringer
Fast fünfzig Jahre jünger ist der 1894 eingeweihte russisch-orthodoxe Friedhof in Berlin-Reinickendorf. Jährlich werden hier zwanzig bis dreißig Tote beerdigt. 3000 Gräber von Russen, Griechen und anderen Orthodoxen gibt es, durch großen Laubbäume beschattet. Für etwa tausend Tote ist noch Platz.
Die Totenruhe wird hier durch den Autobahnzubringer und ein angrenzendes Industriegebiet erheblich gestört. Man betritt das Gräberfeld mit den markanten weißen Andreaskreuzen durch ein großes Tor aus verzierten, sich kreuzenden Holzbalken, die einen Glockenstuhl bilden. Auf Wunsch werden die beiden Glocken vor Beerdigungen geläutet.
Das zwei Hektar große, quadratische Areal wird in der Mitte von der Heiligen Konstantin-und-Helena-Kirche dominiert, die der deutsche Architekt Albert Blohm der Moskauer Basilius-Kathedrale nachgebildet hat. Der damalige Probst der russisch-orthodoxen Kirche Alexsij Petrovic Maltzew hat das einst außerstädtische Terrain gekauft und den Friedhof eingeweiht.
Ruhen in russischer Erde in Berlin
Der heutige Verwalter Michail Diwakow hat seit 1973 schon viele Verstorbene nach orthodoxem Ritus zu Grabe getragen: "Das Wichtigste war natürlich, dass er es geschafft hat, russische Erde mitzubringen. Er hat die Erde mit der Eisenbahn transportiert und hier auf diesem Friedhof verteilt. Deswegen schätzen die russischen Leute diesen Friedhof sehr."
Die in kyrillischer Buchstaben geschriebenen Namen auf den meist einfachen, durch Porträts individualisierten Grabsteine lesen sich wie eine Ahnengalerie des versunkenen Russland: Nach 1920 flohen viele adlige und bürgerliche Russen vor den Bolschewiki und bereicherten das Berliner Geistesleben.
Buddha aus Marmor
Im Sommer 2004 hat die vietnamesisch-buddhistische Gemeinde, die größte Gruppe der in Berlin lebenden Buddhisten, ein eigenes Gräberfeld eingerichtet: Rund 20.000 Buddhisten wohnen gegenwärtig in der Hauptstadt, vor allem Vietnamesen. Das neue Gelände hat die Größe eines halben Fußballfeldes und ist mit frischem Rasen bedeckt.
In Ruhleben sind viele Buddhisten zu Hause, und im Tempel im nahen Spandau zelebriert die Gemeinde ihre Rituale. Deshalb hat sie sich um ein Terrain auf dem landeseigenen Friedhof Ruhleben beworben. Über den Gräbern thront der Erleuchtete mit einem fackelähnlichen Hirtenstab in der Hand - eine über vier Meter hohe Buddhastatue aus glänzendem weißem Marmor, wie sie sich traditionell auf jedem buddhistischen Friedhof findet.
"Diese Statue ist die Statue vom Buddha Bodhisattwa", erläutert Nguyen Dinh-Tung von der vietnamesisch-buddhistischen Gemeinde. "Er hat gesagt, er wolle alle Seelen, die nach dem Tod die Bestimmung ihres Daseins nicht finden, zum Reich des Buddhas führen". Davor steht, anstelle des üblichen Altars, eine mit Lotusblumen und Tiersymbolen verzierte große Opferschale. Darin glimmen nicht nur während der drei im Jahr festgelegten Totenfeiern Räucherstäbchen.
Keine einsamen Toten
Der Körper des Toten ist nach buddhistischem Glauben unwichtig. Allerdings soll er innerhalb weniger Tage begraben sein. Nicht nur durch brennende Räucherstäbchen und Früchte als Opfergaben, sondern auch durch die Porträts auf den Steinen wirken die Gräber lebendig. Und sie sind gepflegt, denn die ganze Gemeinde fühlt sich verantwortlich. So wird kein Buddhist nach seinem Tod in die Einsamkeit entlassen.