Kein Abstand in der Kneipe
26. August 2020Es ist fast Mitternacht. Eine Gruppe junger Leute aus Bayern genießt den lauen Spätsommerabend in einem Berliner Biergarten. Sie sitzen eng beieinander auf Bänken. Von Abstandhalten oder Gesichtsmasken keine Spur. In ihrem Dorf in Bayern habe die Kneipe wegen Corona geschlossen, sagen sie, daher seien sie in die Hauptstadt gekommen, um "die große, weite Welt zu sehen".
Ob sie keine Angst haben, sich mit dem Coronavirus anzustecken?, will ich wissen. "Überhaupt nicht", sagt einer von ihnen. Ein anderer meint, das sei alles "nicht begründet" und "reine Spekulation".
Auch wenn Nachtclubs in Berlin seit Monaten geschlossen sind, finden Berliner wie Touristen andere Wege, um zu feiern. Kneipen und Restaurants sind oft voll, vor allem, wenn man auch draußen sitzen kann. Gefeiert wird auch in Parks. Für die Behörden ist es da schwierig, die Abstandsregeln zu überwachen.
Und das wird zum Gesundheitsproblem. Die Ansteckungszahlen in Deutschland gehen wieder deutlich nach oben, und dafür ist nach Meinung von Gesundheitsexperten das fahrlässige Verhalten vieler Menschen verantwortlich.
Dazu kommt, dass die positiv Getesteten offenbar jünger werden. Nach Angaben des Robert-Koch-Instituts liegt das Durchschnittsalter von Neuinfizierten inzwischen bei 32 Jahren. Über Ostern lag es bei 52.
Eine Kneipe mit Fußballfans und gleich 80 Verstöße
Stephan von Dassel, der Bürgermeister des Bezirks Berlin-Mitte, ist besorgt. "Die Zahlen sind schwierig. Wir sind wieder auf dem Stand von März, Anfang April, fast 200 Fälle in zehn Tagen. Das macht uns natürlich Sorgen. Ein Teil der Infektionsahlen kommt von Reiserückkehrern, dann aber auch von Partygängern und Menschen, die offensichtlich sich nicht mehr an die Schutzvorschriften halten."
Während des Spiels Bayern München gegen Barcelona am 15. August stellten von Dassels Ordnungskräfte in einer einzigen Kneipe 80 Regelverstöße fest. Das Lokal war gerammelt voll, nicht der geringste Abstand wurde eingehalten.
Von Dassel gibt zu, dass er mit seinen rund 50 Ordnungskräften nicht sämtliche 2800 Kneipen und Restaurants in seinem Bezirk kontrollieren kann. Die Betreiber und die Gäste, sagt er, sollten sich selbst verantwortlich fühlen.
Die Lokale müssen einen Mindestabstand zwischen den Tischen gewährleisten und Besucherlisten führen, um mögliche Infektionsketten zurückverfolgen zu können. Kellner müssen Gesichtsmasken tragen, und sie müssen dafür sorgen, dass auch die Gäste Masken tragen, wenn sie nicht am Tisch sitzen.
Ein Tisch für Donald Duck?
Nicht weit vom Büro des Bezirksbürgermeisters liegt die Berliner Kultkneipe "Klo". Der Name ist Programm. Klobürsten hängen von der Decke, Besucher können auf Toilettensitzen Platz nehmen. Es gibt viele Überraschungen in dieser selbsterklärten "Erlebniskneipe".
Mario Kreibe kellnert hier seit mehr als 20 Jahren. "Die meisten zum Glück sehen es ein", sagt er über die Regeln. "Die meisten handeln auch danach. Aber es gibt auch wirklich Leute, die sagen, schon am Eingang: 'Hey, nebenan brauchte ich keine Maske zu tragen, warum bei euch?', und verlassen darauf den Laden wieder. Also, vom Gefühl her, wenn man sich dran hält, wird man eher bestraft. So ist es leider."
Die Besucherlisten, sagt Kreibe, seien oft ein Problem. Er zeigt mir ein Blatt, auf dem sich ein Gast mit "Donald Duck" aus "Entenhausen" eingetragen hat. "Es tut schon weh, Regeln und Gesetze aufstellen, aber wenn sich wirklich ein Großteil nicht darum kümmert, das ist mehr als negativ, gerade für einen Laden, der sich wirklich daran hält."
"Diesen Ruf wollen wir nicht haben"
Ich verlasse das "Klo" und erkunde weiter das Nachtleben von Berlin-Mitte. In einer Ecke eines Restaurants sitzen zwei junge Österreicher. Sie sagen, sie gingen gerne aus und trügen immer ihre Masken und achteten auf die Abstandsregeln.
Plötzlich unterbricht ein älterer Mann unsere Unterhaltung. Er gibt sich als Arzt aus und fragt die beiden jungen Männer, warum sie die Masken tragen. "Draußen einen Mundschutz aufzuhaben ist vollkommener Quatsch. Es gibt überhaupt keine Übertragungsgefahr", sagt er. "Haltet den Abstand, aber draußen Mundschutz ist doch Blödsinn!"
Einer der Österreicher erwidert: "Sicher ist doch sicher. Es wird dauernd gesagt, die Jugendlichen sind immer so verantwortungslos und machen, was sie wollen, und nehmen keinen Mundschutz. Alle, die wir kennen, sagen, diesen Ruf wollen wir nicht haben. Wir wollen einfach nicht dieses Bild der Jugendlichen wiedergeben."