Kaurismäki auf Ostdeutsch
26. April 2004
Da sitzen sie nun sprachlos am Tisch: Manfred, Jürgen und Schultze und haben keine Arbeit mehr und viel zu viel Zeit. Sie leben in einem kleinen Ort in Sachsen-Anhalt, hatten mal einen Job im Kalibergbau und jetzt nur noch eine Kneipe und den Musikverein "Harmonie". Dort spielt Schultze, ein Mann von mächtiger Statur und großem Bauch, jedes Jahr auf dem Akkordeon seine traditionelle Polka, die bereits der Vater zum Besten gab. Horst Krause verkörpert diesen schweigsamen Mann, dem seine Frau starb, und der ab und zu in einem Pflegeheim seine steinalte Mutter besucht, die nicht mehr mit ihm reden kann.
Für Regisseur Michael Schorr, Jahrgang 1965, gab es in der Rolle des Schultze keinen Anderen. Krause fiel dem Regisseur vor zehn Jahren zum ersten Mal auf. "Da hat Horst gerade bei Detlev Buck in 'Wir können auch anders' gespielt. Das fand ich total Klasse" Unter diesem Eindruck begann Schorr dann die Schultze-Figur zu entwickeln. "Nach zehn Jahren war es dann auch tatsächlich interessant zu wissen, ob er nun tatsächlich mitspielt", sagt Schorr mit leisem Spott. "Das Ganze war quasi auf ihn angelegt. Ich hätte mir keine Alternative vorstellen können."
Blues im Bauch
Lakonisch und behutsam erzählt Michael Schorr seine Geschichte in festen Einstellungen. Die Kamera bewegt sich nie, wunderbar füllt sich der Bildrahmen mit Menschen und kleinen, genauen Alltagsbeobachtungen. So hört Schultze eines Abends im Radio eine ihm neue Musik - den Cajun-Blues der amerikanischen Südstaaten. Schultze lauscht, verharrt, stellt die Musik ab und geht wieder in sein Zimmer, um zu schlafen. Dann kehrt er zurück, macht das Radio wieder an und hört noch einmal gebannt zu. Er stellt das Radio erneut ab, bindet sich sein Akkordeon um und versucht das soeben gehörte Lied nachzuspielen. Schultze hat den Blues und bekommt ihn nicht mehr aus dem Bauch und aus dem Kopf. Selten hat es im deutschen Kino einen so wunderbar einfachen Glücksmoment im Kino gegeben.
Der Film erinnert wohltuend an die Arbeiten von Jim Jarmusch oder Aki Kaurismäki und hat sich inzwischen zu einem Wettbewerbsrenner entwickelt: Nicht nur als Favorit der Jury und Kritik, sondern auch als Publikumsliebling, hat "Schultze gets the Blues" den Controcorrente-Wettbewerb beim Filmfestival in Venedig gewonnen. Auf dem internationalen Filmfestival Gijón, Spanien, wurde "Schultze" gleich in drei Kategorien ausgezeichnet: bester Spielfilm, beste Regie und bestes Szenenbild.
Leise, melancholisch, hoffnungsvoll
Ohne die Sprache zu sprechen geht Schultze nach Amerika und sucht dort weiter nach dem Blues. Dabei schippert er in einem kleinen Boot durch Louisianas Sümpfe. Schultze fühlt sich richtig gut, lernt sogar Menschen kennen. An die Freunde Jürgen und Manfred verschickt er Postkarten. So ist "Schultze gets the Blues" ein leiser, lakonischer, melancholischer, aber hoffnungsvoller Film geworden über einen der aufbrach, weil sein Leben auf wundersame Weise noch einmal weiterging.