Kaufen, was noch niemand kaufen kann
7. Mai 2021Am Eingang des Go2Market in Wien steht ein kleiner schwarzer Automat. Dem muss man die Stirn entgegenhalten und hoffen, dass man kein Fieber hat. Danach kann man auch noch einen zweiten Test machen: Da gibt der Automat einen kleinen Zettel aus, an dem man reiben und riechen muss. Erkennt man jetzt, dass der kleine Zettel etwa nach Kaffee riecht, darf man - fast sicher Corona-frei, so die Hoffnung - eintreten in den Supermarkt der Zukunft.
So sieht ihn zumindest Gründer Thomas Perdolt. Denn in seinem Supermarkt gibt es für Kunden, die dazu berechtigt sind, einmal im Monat Produkte zu kaufen, die man noch nirgendwo anders bekommt. Und auch manches Detail ist anders als Supermarkt um die Ecke: So geht manches Regal-Licht erst an, wenn man davorsteht. Bezahlt wird digital mittels App. Die Idee dahinter: ein Testsupermarkt, in dem Marktforschung quasi im echten Leben stattfindet, so Perdolt.
Guthaben gegen Antworten
"Super ist das", sagt Angela Inführ, eine 27-Jährige Wienerin, "man kann hier immer Sachen ausprobieren, die sonst noch keiner kennt." Seit dem letzten Jahr kommt sie einmal im Monat in die Filiale im 6. Wiener Gemeindebezirk, der nicht weit weg von der Wiener Innenstadt liegt, aber weit weniger Glanz und Gloria verbreitet.
12,90 Euro im Monat kostet es, wenn man die Mitgliedschaft für ein Jahr annimmt. Etwas teurer sind kürzer laufende Abos. Dafür bekommt man pro Monat ein virtuelles Guthaben von 55 Euro gutgeschrieben. Beantwortet man zusätzlich noch Fragebögen zu den Eigenheiten der Produkte, wächst auch die virtuelle Geldbörse. Etwa 80 Prozent dieser Fragebögen - so die Auskunft der Go2Market-Betreiber - werden beantwortet und den Herstellern der gelisteten Marken zur Auswertung zur Verfügung gestellt.
Zwischen Waschmittel und Smoothie für Hunde
Was man für sein Guthaben jedes Monat bekommen kann, weiß man vorher nicht - denn getestet wird hier alles, von Produkten wie dem Schokoriegel über das mit Lichtsensoren ausgestattete Regal bis hin zum Coronatest-Automaten am Eingang - den man hoffentlich bald nicht mehr braucht.
Der etwa 400 Quadratmeter große Supermarkt kommt so ordentlich und aufgeräumt daher, dass er beinahe an eine futuristische Filmszenerie erinnert. Bei unserem Besuch stehen gleich am Eingang, direkt hinter dem Coronatest-Automaten, zwei Waschmittelsorten nebeneinander - optisch beinahe gleich, nur der Geruch soll anders sein. Wählen darf man aber nur eine Sorte.
Weiter hinten im Markt hat ein bekannter Spirituosenhersteller einen Vergleich mit der Konkurrenz in Auftrag gegeben, beide Produkte stehen fein säuberlich aufgestellt zur Auswahl. Doris Stickler, für Österreich verantwortliche Managerin, bittet, den Markennamen nicht zu nennen, da der Kunde nicht möchte, dass die Konkurrenz vom Test erfährt. Ganz am Ende gibt es einen Smoothie für Hunde - extra weit weg vom Rest positioniert, damit klar ist, dass das kein Smoothie für Menschen ist, erklärt Stickler.
Für die Marken könne fast alles ausgelotet werden, so die Go2Market-Leute - von Packungsgröße über Design bis zu Geschmacksrichtung und Preisbildung. "Etwa ein bis drei Monate sind die Produkte dann bei uns im Markt erhältlich," erklärt Doris Stickler. Mindestens einen Monat stünde die Ware aber sicher im Regal, damit alle Zielgruppen erreicht werden.
Nur für Mitglieder
Denn wer im Go2Market einkaufen möchte, muss erst als Mitglied einer Zielgruppe ausgewählt werden: Die 1500 aktiven Mitglieder des Supermarkts - also all jene, die dort einkaufen dürfen - sollen repräsentativ sein für die österreichische Bevölkerung. Bei der Online-Registrierung wird man dann deshalb etwa zu Bildungsgrad, Alter und Haushaltseinkommen befragt.
Dabei erfährt man dann auch, dass sich im Markt Kameras befinden können, die das Kaufverhalten beobachten. Den Firmen, die die Marktforschung in Auftrag gegeben haben, kann das zum Beispiel Aufschluss über die Verweildauer vor den jeweiligen Produkten geben.
Die Kameras braucht der Markt aber auch für die Musik, die zukünftig gespielt werden soll. Denn Geschäftsführer Perdolt hat große Pläne, besonders für den neuen Go2Market-Standort, der im Juni in Köln eröffnen soll: Der DW sagt er, dass er ein Einkaufserlebnis bieten möchte, bei dem alle Sinne angesprochen werden. Das soll dazu führen, dass man als Einkaufender länger im Supermarkt bleibt und nicht nur eine Einkaufsliste abarbeitet. Gerüche soll es geben, die eingespielte Musik soll an die Kundschaft angepasst werden und Werbespots sollen speziell für die Zielgruppe gespielt werden, die vor dem Regal steht.
Auch für Startups bezahlbar
Das ist anders als zu Beginn. Damals, vor vier Jahren, als sie begonnen hatten, "war das wirklich eine Bettlerei, Kunden zu finden", sagt Perdolt. Mittlerweile gehören Namen wie Nestlé, Red Bull und Barilla zum Kundenstamm - aber auch kleinere Startups sind bei Go2Market gelistet. Besonders für Startups könnte der Testsupermarkt eine Alternative zur klassischen Marktforschung sein, da die sich vor einer Markteinführung große Studien oft nicht leisten könnten, so Doris Stickler.
Keine Konkurrenz für klassische Marktforschung
Diese Möglichkeit sieht auch Beatrix Brauner, Geschäftsführerin von Sensor Marktforschung in Wien. Dass der Testsupermarkt eine echte Konkurrenz für sie als "klassische" Marktforscherin sein könnte, glaubt Brauner allerdings nicht. "So ein Testsupermarkt ist gut für den ersten Eindruck, aber langfristig kann er die ausgefeilten Methoden der Marktforschung nicht ersetzen," so Brauner.
Zu ungenau würde etwa der Markt die Zielgruppen bestimmen, denn nicht jeder 20-Jährige sei auch repräsentativ für seine Alterskohorte. Als Beispiel nennt sie den Getränkemarkt: Der sei mittlerweile sehr ausdifferenziert, da ginge es "um spezielle Ansprüche und Werte des Einzelnen, und das kann nur die klassische Marktforschung".
Nichtsdestotrotz hat Thomas Perdolt große Expansionspläne: Bis 2024 sollen - neben Köln - zehn neue Standorte von Go2Market eröffnen. Ideen dazu gibt es etwa in Spanien, Frankreich und der Schweiz.