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Katastrophengefahr im Arktischen Eis?

Irene Quaile7. Februar 2014

Offshore-Öl, Schiffsrouten am Pol, Kreuzfahrt zu den Eisbergen - der Klimawandel macht es möglich. Aber wie gut ist die Arktis auf einen möglichen Unfall vorbereitet?

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Schiff im norwegischen Hafen Tromsø (Foto: DW/I. Quaile
Bild: DW/I. Quaile

Spätestens als das Greenpeace-Schiff Arctic Sunrise im vergangenen Jahr während einer Protestaktion an der russischen Bohrplattform Prirazlomnoye geentert und beschlagnahmt wurde, dürfte es jedem klar geworden sein: Die Entwicklung der Arktis läuft trotz Umweltrisiken auf vollen Touren. Und sie genießt für Russland und andere Staaten höchste politische Priorität.

Abkürzung durch die Arktis

Der Klimawandel hat das Offshore-Geschäft in der russischen Arktis zum ersten Mal möglich gemacht. Im Dezember 2013 lief die Produktion an der umstrittenen Plattform an. Auch die Schifffahrt durch die Arktis hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Internationale Logistikfirmen nutzen den nördlichen Seeweg entlang der russischen Küste, um Gas und andere Waren zu transportieren. Das verkürzt die Entfernung zwischen Schanghai und Hamburg im Vergleich mit der herkömmlichen Route über den Suezkanal um etwa 6400 Kilometer und die Reisezeit um mehr als eine Woche.

Aber nicht nur der Frachtverkehr profitiert. Im Sommer können immer mehr Kreuzfahrtschiffe in die Arktis reisen. Dabei zeigte die Havarie der Costa Concordia vor der Küste Italiens die Risiken des Massenkreuzfahrttourismus selbst in einer gut entwickelten Region ohne erschwerte Wetterbedingungen. Was wäre aber, wenn ein Schiff mit 3000 Menschen an Bord in den beliebten abgelegenen Regionen um Spitzbergen oder Grönland zum Beispiel durch eine Kollision mit einem Eisberg havarieren sollte?

Schifffahrtsrouten in der Arktis (DW-Infografik: Peter Steinmetz)
Nordost- und Nordwestpassagen sowie die zentralarktische Route führen durch arktische Gewässer

Horrorszenario: Unfall im Eis

Das Arctic Institute - Center for Circumpolar Security Studies ist eine unabhängige Denkfabrik mit Sitz in Washington. Das Institut hat die vorhandene Infrastruktur der sechs Arktis-Anrainer USA, Kanada, Grönland (Dänemark), Island, Norwegen und Russland im Hinblick auf die wirtschaftliche Entwicklung untersucht. Ende Januar präsentierten die Experten erste Resultate auf der Konferenz "Arctic Frontiers" im norwegischen Tromsø. Die Ergebnisse sind ernüchternd.

Kathrin Keil vom Institute for Advanced Sustainability Studies (IASS) in Potsdam beschäftigt sich für das Arctic Institute mit den Entwicklungen im Öl- und Gassektor. Am Beispiel der Prirazlomnoye-Plattform zeigt sie, dass die Unberechenbarkeit und Veränderbarkeit der Wetter- und Eisbedingungen die Reaktionsmöglichkeiten im Fall eines Ölunfalls stark einschränken. So könne die Eisbedeckung im Monat Mai zwischen 30 und 90 Prozent betragen. Die eisfreie Zeit könne ein bis neun Monate dauern. Noch gebe es keine Technologien, die die erfolgreiche Beseitigung der Folgen eines Ölunfalls im Eis ermöglichten. Außerdem sei der "Oil Spill Response Plan" des Betreibers Gazprom zu wenig detailliert. Die Situation sei besonders kritisch, da viele Naturschutzgebiete in der Nähe lägen, die nicht geschützt werden könnten. Da es sich hier um die erste Offshore-Plattform in der Arktis handelt, plädiert Keil für möglichst strenge Sicherheitsstandards.

Schiff und Sperre zum Eingrenzen von Öl auf dem Meer (Foto: DW/I. Quaile)
Ölsperren könnten bei einem Unfall im Eis nur begrenzt helfen.Bild: SINTEF

Keine Sicherheit ohne Eisbrecher

"Die bereits existierende Infrastruktur reicht auch für die Zunahme des Schiffverkehrs in der Arktis nicht aus", sagt Malte Humpert, Executive Director des Arctic Institute. So sei beispielsweise die Eisbrecherflotte für die Unterstützung des wachsenden Schiffsverkehrs nicht groß genug. Auch der Mangel an geeigneten Häfen stelle eine große Herausforderung für die Schifffahrt dar.

Die Zunahme des Kreuzfahrtschiffverkehrs vor allem um die norwegische Inselgruppe Spitzbergen und an der Westküste Grönlands birgt laut der neuen Studie weitere große Risiken: Sollte beispielsweise einer der Kreuzfahrtriesen mit 3000 Menschen an Bord im Eis vor dem beliebten Touristenziel Ilulissat havarieren, reichten die vorhandene Rettungskapazitäten an Flugzeugen, Hubschraubern und Schiffen bei weitem nicht aus, um Passagiere und Crew rechzeitig zu evakuieren, erläutert Marc Jacobsen vom Arctic Institute. Der 4500-Einwohner-Ort hätte große Probleme, gestrandete Passagiere zu beherbergen und medizinisch zu versorgen. Auch für die Beseitigung des auslaufenden Öls wäre die Infrastruktur nicht ausreichend. Ein weiteres Problem liege in der mangelnden Versorgung mit Kommunikationsmöglichkeiten über Satellit, Internet und Mobiltelefon.

Schiff im Eis bei Ilulissat/Grönland (Foto: DW/I.Quaile)
Eisberge, die vom Gletscher abbrechen, sind die große Attraktion für Touristen in Ilulissat.Bild: DW/I.Quaile

Politiker nehmen Risiken in Kauf

Die Risiken der zunehmenden Ökonomisierung der Arktis sind den Politikern bekannt. Sie genössen hohe Priorität im Arktischen Rat, dem Zusammenschluss der Anrainer, sagte Magnus Johannesson, Direktor des ständigen Sekretariats der Organisation mit Sitz in Tromsø, im Gespräch mit der DW. Er verweist auf die laufenden Verhandlungen mit der Internationalen Seeschifffahrts-Organisation (IMO) mit dem Ziel, Richtlinien auszuarbeiten. Dieser "Polar Code" soll 2016 in Kraft treten. Johannesson zitiert auch die SAREX-Übungen, die 2013 einen Schiffsunfall simulierten, um die Kapazitäten für Suche und Rettung zu testen. Nach Meinung von Jacobsen vom Arctic Institute war die Übung aber mit 200 Passagieren und 50 Crewmitgliedern viel zu klein angelegt, um ein realistisches Bild zu geben.

"Ich glaube, alle wissen, dass die Infrastruktur besser sein könnte", gibt Johannesson zu. "Wir haben aber die ersten Schritte schon gesehen." Er verweist auf die Vereinbarungen zur Suche und Rettung sowie über die Kooperationsvereinbarung, Ölunfälle zu vermeiden, die bereits vom Arktischen Rat verabschiedet wurde. "Die Arbeit ist fortlaufend. Die Arktisstaaten wissen, dass die Entwicklung bereits im Gange ist. Sie tun ihr Bestes, um den Prozess zu beschleunigen."

Eine Katastrophe wäre möglich

Anton Vasiliev, Russlands Botschafter im Arktischen Rat, geht davon aus, dass sein Land in drei bis viel Jahren die Infrastruktur entlang der "Northern Sea Route" fertig haben wird. Auch Islands Außenminister Gunnar Bragi Sveinsson ist zuversichtlich: "Gerade weil eine Katastrophe in den arktischen Gewässern möglich wäre, widmen wir der Arktis eine sehr hohe Aufmerksamkeit", sagte er im Gespräch mit der DW. "Das Interesse am wirtschaftlichen Potential der Arktis wächst sehr schnell. Ich glaube aber nicht, dass der Prozess zu schnell voranschreitet, um ihn zu managen."

Umweltorganisationen sind anderer Meinung. Nina Jensen ist die Leiterin der Naturschutzorganisation World Wide Fund For Nature (WWF) in Norwegen: "Je mehr der Schiffsverkehr in dieser Region zunimmt, desto höher ist das Risiko für Unfälle oder Umweltverschmutzung, die schwerwiegende Konsequenzen für Menschen und die Tierwelt hätten", sagte Jensen der DW. "Wir wissen nicht genug über die marine Umwelt, wir haben noch keine ausreichenden Regelungen, und wir sind nicht adäquat auf einen Ölunfall vorbereitet."