Katalonien: Abhängige Unabhängigkeit
11. Oktober 2017In Sichtweite des in rötlicher Ziegelbauweise gehaltenen, 30 Meter hohen Triumphbogens in der Innenstadt Barcelonas, erinnert eine mannshohe Statue an Lluís Companys. Für viele Katalanen ist Companys ein Held, weil er Barcelona im Spanischen Bürgerkrieg gegen den Diktator Franco verteidigt hat und seinen Einsatz am Ende mit dem Leben bezahlte. Während der Triumphbogen die üblichen Menschenmassen anzieht, wirkt das kleine Denkmal von Companys am heutigen Tag verlassen.
Zwei Minuten Fußweg entfernt, führt Elisabeth Veciana eine kleine Eisdiele. "Hat er nun gestern die Unabhängigkeit ausgerufen oder hat er nicht", fragt die 54-Jährige. "Ja, hat er und sie dann wieder für ausgesetzt erklärt", versucht ihre Freundin, Sophi Rabattu, - nicht ganz korrekt - zu erklären. Sie ist gerade auf einen Sprung vorbeigekommen. "Ein ganz schönes Durcheinander", fasst Elisabeth Veciana zusammen.
Es ist der erste Tag, nach der von vielen mit Spannung erwarteten Rede des katalanischen Regierungschef Carles Puigdemont. Anstatt - wie von vielen angenommen - die Unabhängigkeit auszurufen, hatte Puigdemont am Dienstag ein Dekret unterschrieben, das er kurz darauf für ausgesetzt erklärte. Er wolle zuerst einen Dialog mit Madrid einleiten. Madrid reagierte prompt. Ministerpräsident Mariano Rajoy forderte nach einer Dringlichkeitssitzung seines Kabinetts eine formelle Erklärung aus Barcelona. Man sei sich nicht sicher, ob Puigdemont nun die Unabhängigkeit Kataloniens von Spanien erklärt habe oder nicht, so Rajoy.
"Zwei Schnellzüge, die aufeinander zurasen"
"Diese Nachfrage Rajoys ist die Vorstufe, um den Artikel 155 anzuwenden", ist David Melagrejo überzeugt. Der Artikel in der spanischen Konstitution ermöglicht es der spanischen Regierung, eine autonome Region zu entmachten, sollte sie sich nicht an die Verfassung halten. "Wir wissen alle nicht, wie das genau aussehen wird."
Der Fernsehjournalist arbeitet für den öffentlichen katalanischen Sender TV3. Neutralität sei ihm wichtig. "Wir leben in historischen Zeiten. Die Dinge überschlagen sich gerade. Unsere Aufgabe ist es, die Fakten zu erklären", sagt er. Weil sie auf Katalanisch senden, würden sie immer wieder als Stimme der Separatisten bezeichnet. "Wir werden verbal angegriffen und vor Kurzem wurden Demonstranten sogar handgreiflich", erklärt Melagrejo mit nachdenklichem Gesichtsausdruck. Er hofft, dass nun "Dampf aus dem Kessel" kommt. Madrid und Barcelona seien wie zwei Schnellzüge, die aufeinander zurasten. "Es geht nicht mehr weiter, wir brauchen internationale Vermittlung", ist Melagrejo überzeugt.
"Eine Phase des Übergangs"
Anders sieht es José Luis Gaspar Navarro. "Das war ein sehr gelungener Schachzug von Puigdemont", ist sich der 49-jährige Taxifahrer sicher. "Das verschafft uns Zeit." Die sei wichtig, um im Ausland nach Anerkennung zu suchen und so die Unabhängigkeit auf solidere Beine zu stellen. Beim Unabhängigkeitsvotum habe er für Ja gestimmt und beim Namen Rajoy wird er ziemlich deutlich: "Wir hassen ihn hier - er verhält sich uns gegenüber nicht fair." Trotzdem müsse man sich nun irgendwie einigen. "Momentan steht es Unentschieden." Dennoch glaubt er, dass man in Katalonien nun in einer "Phase des Übergangs" angelangt sei. Niemand wisse nun, wohin diese Reise geht, nur eines sei sicher: "Es wird dauern."
Enttäuschung über die Politik
Der Marketing-Studentin Carla Vega Mayo kann es nicht schnell genug gehen. Sie will, dass die Unsicherheit über die Zukunft der Region endlich ein Ende hat. In ihrer Familie gebe es mittlerweile Streit, sagt die 20-Jährige, die gerade mit zwei Kommilitoninnen unterwegs ist. Unter dem Arm hält sie eine Mappe. "Sie hätten sich viel früher einigen müssen, das Ganze ist doch ein Selbstmordkommando", sagt sie. Carla ist gegen die Unabhängigkeit, aber "stolze Katalanin".
Das Ganze sei für sie ein Spiel auf Zeit. "Ich finde es ungerecht, wie Puigdemont alle Katalanen nun in eine solche Situation bringt." Beim Referendum hätten doch nur zwei Millionen abgestimmt, "wir sind aber sieben Millionen Katalanen". Sie ist enttäuscht von der Politik: "Eigentlich sollte man Puidgedemont und Rajoy verhaften."
Vor der Rede von Carles Puidgedemont war bereits über seine mögliche Verhaftung spekuliert worden. Denn Artikel 155 der Verfassung erlaubt der Zentralregierung im Extremfall ein "Eingreifen mit militärischen Mitteln".
Ähnliches hatte auch schon Lluís Companys erlebt. Vor seinem Kampf gegen Franco war Companys Regionalpräsident Kataloniens. Nachdem er am 6. Oktober 1934 die "Republik Katalonien in der Bundesrepublik Spanien" ausrief, wurden er und sein Kabinett noch am selben Tag von einer Militäreinheit verhaftet und zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt. Ein solches Szenario möchte sich auf den Straßen Barcelonas momentan aber niemand wirklich vorstellen.