Karlspreis 2016: Aachen pilgert zum Papst
6. Mai 2016In der Wartschlange vor den Schweizer Gardisten, die den Eingang zum Vatikan bewachen, wird munter diskutiert. 400 Gäste aus Aachen haben sich in dunkle Anzüge und schicke Kleider geworfen und zeigen jetzt ihre exklusiven Einladungskarten vor. "Also, ich möchte ein Selfie mit dem Papst machen, das hat mir mein Chef aufgetragen", grinst ein junger Mitarbeiter eines Lokal-Radios aus Aachen. "Das darf man bestimmt nicht", meint eine mittelalte Dame im eleganten grauen Hosenanzug. "Kameras und Handys sind nicht erlaubt", heißt es in dem Protokoll-Merkzettel des Heiligen Stuhls, der den Einladungskarten beigefügt war.
Schleier ist nicht nötig
Am Donnerstag, als es nur um den Zugang zu einer Begrüßungsveranstaltung bei der deutschen Erzbruderschaft auf dem Campo Santo Teutonico im Vatikan geht, sind alle Aachener noch ganz locker. An diesem Freitag, wenn es dann tatsächlich in die "Sala Regia" mitten im Apostolischen Palast geht, wird es etwas ernster.
"Das ist schon ein besonderes Erlebnis. Darauf freue ich mich sehr", meint die städtische Beigeordnete Susanne Schwier. Sie sei schon ein wenig aufgeregt. Ihr knielanges Kleid entspricht bereits den Regeln des Protokolls. "Einen Schleier brauchen wir gar nicht und weiß ist nicht die angemessene Farbe", zitiert Susanne Schwier, die in Aachen für Kultur und Bildung zuständig ist, aus den Protokollanweisungen.
Mit 400 Honoratioren, Ratsmitgliedern, Professoren, Bankdirektoren, Oberstudiendirektoren und anderen Würdenträgern nach Rom zu pilgern, ist aufwändig. Der Preisträger Franziskus wollte aber nicht in Stadt reisen, in der der Namensgeber des europäischen Preises "Kaiser Karl der Große" vor 1200 Jahren residiert hat. "Es ist natürlich mehr Aufwand, als wenn er zu uns nach Aachen gekommen wäre. Das hätte die Aachener sehr gefreut", sagt Susanne Schwier schmunzelnd. Von der Rede des Papstes am Freitag erhofft sie sich "Ermutigung" für die aufrechten Europäer nicht nur in Aachen. Seit 1950 vergibt ein Verein in der Stadt diesen ältesten deutschen Preis für die europäische Einigung.
Dunkler Anzug sehr erwünscht
Für die Herren ist schwarzer Anzug mit Krawatte vorgeschrieben. Fast alle Gäste folgen den Regieanweisungen des Protokolls bei der Begrüßungszeremonie am Vorabend der Preisverleihung. Eine Art Generalprobe für die richtige Zeremonie mit dem Papst am Freitag. "Ich bin etwas underdressed. Aber ich sehe das locker", sagt Wendelin Haverkamp. Der Aachener Kabarettist trägt nur ein offenes dunkles Hemd und keinen Anzug. "Ich glaube, wenn Sie diesen Papst nach dem Dresscode fragen, dann würde der ihnen was ganz anderes erzählen als das Protokoll sagt. Ich halt mich da mehr an den Papst", meint der Kabarettist. Schließlich tritt Franziskus ja auch in seinen Reden zu Europa für Bescheidenheit, Barmherzigkeit und Hilfe für die Bedürftigen ein.
Der "normale" Aachener
Wie geht es dem bühnenerfahrenen Kabarettisten Wendelin Haverkamp vor der Begegnung mit dem Heiligen Vater? Aufgeregt? "Aufgeregt ist nicht so ganz exakt, ich bin sehr gespannt auf ihn, weil vieles, was er sagt, doch sehr neugierig macht - und man fragt sich, wie kriegt er jetzt die Enden zusammen?" Die Plätze für die Aachener Delegation waren begehrt. Die Stadt musste eine Auswahl treffen. Jeder hatte eine Chance mitzufahren, glaubt die städtische Beigeordnete Susanne Schwier: "Jeder konnte sich bewerben und die Bitte äußern mitzukommen. Ich denke, da hat man eine gute Auswahl getroffen." Der Kabarettist Wendelin Haverkamp wendet ein, er habe den Eindruck, dass schon eine Menge Prominente, Reiche und Schöne mitgefahren seien. Gibt es auch "normale" Aachener? "Ich habe ein paar wenige gesichtet, aber es sind nicht allzu viele."
Die Aachener, die nicht mit zum Papst pilgern konnten, können die Verleihung immerhin auf Großleinwänden auf dem Rathausplatz verfolgen. Public-Papst-Viewing. Der Oberbürgermeister der Stadt Aachen, Marcel Philipp, der selbst in der Sala Regia zum Heiligen Vater sprechen darf, wünscht sich vom Papst moralische Stärkung für ein Europa, das in einer tiefen Krise stecke: "Seine Rede sollte nicht nur die Köpfe, sondern auch die Herzen erreichen."
Zu viele "Teilzeit-Europäer"
An diesem Freitag werden viele ehemalige "Karlspreisträger" und europäische Staats- und Regierungschefs in Rom dabei sein, unter ihnen Bundeskanzlerin Angela Merkel. Drei der Ehemaligen hatten sich schon am Donnerstagabend die Köpfe bei einer Aufwärm-Veranstaltung zur Zeremonie heiß geredet. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz und EU-Ratspräsident Donald Tusk ließ ihren ganzen Frust über den Zustand Europas raus. In dem Saal auf dem römischen Kapitol, in dem 1957 die Gründungsverträge der Vorläufer der EU unterschrieben wurden, ätzte Juncker, den heute Regierenden in den 28 EU-Mitgliedsländern sei "der europäische Geist der Gemeinsamkeit abhanden gekommen." Es gebe zu viele "Teilzeit-Europäer" unter den Regierungschefs, die lieber nehmen würden als geben.
Tusk nörgelte, dass alle EU-Bürger nur noch am europäischen Projekt herumnörgeln würden. Gleichzeitig erklärte der Ratspräsident die europäische Utopie einer immer tiefergehenden Einigung für unrealistisch und überholt. EU-Parlamentspräsident Schulz bemängelte, viele EU-Staaten würden wieder Zäune und Mauern bauen, weil sie sich so die Globalisierung und Einwanderer vom Halse halten wollten. Das bringe nichts und mache nur Populisten stark. Europa sei und bleibe Teil des globalen Dorfes.
Genau beobachten und wirken lassen
Von Papst Franziskus erhoffen sich wohl alle drei ein wenig moralische Erbauung und Ermutigung, Europa wieder zu stärken. Der Papst hatte Europa ja bereits als unfruchtbare Großmutter bezeichnet, die erneuert werden müsse. Für den Aachener Kabarettisten Haverkamp könnte die Fahrt der Aachener zum Papst und das Brimborium um den Karlspreis eventuell auch Stoff für ein wenig Satire liefern. Könnte. "Wenn man sich vornehmen würde, das wäre jetzt die Vorlage fürs Kabarett, dann kommt meistens nicht viel dabei rum. Man muss einfach die Realität beobachten. Das ist ein Bürgerpreis. Ich guck mir den Preis an und ich guck mir die Bürger an. Dann überlege ich, wie das auf mich gewirkt hat. Und dann können sie die Frage noch einmal stellen."