Diskussion nach verbalem Fehltritt des scheidenden Erzbischofs
29. Januar 2014"Eine Familie von euch ersetzt mir drei muslimische Familien", hatte Meisner vergangene Woche vor Angehörigen des Neokatechumenalen Weges gesagt, einer konservativen katholischen Bewegung, die das klassische katholische Familienbild vertritt und der Kritiker autoritäre Strukturen vorwerfen. Der Kölner Erzbischof hatte Eheleute aus der geistlichen Gemeinschaft dafür gelobt, große Familien mit teils zehn Kindern zu gründen.
Muslimverbände entsetzt
Deutschlands Islamverbände reagierten entgeistert auf die Äußerung Meisners. Bekir Alboga von der Türkisch-Islamischen Union (DITIB) kritisierte Meisners Worte als "nicht nachvollziehbar." Meisner sei "ohne Zweifel über das Ziel hinausgeschossen", sagte Alboga der Deutschen Welle. "So schürt man Angst und Missverständnisse". Der katholische Erzbischof polarisiere. "Wir brauchen Brückenbauer und keine Polarisierer! Wir brauchen einen friedlichen Zusammenhalt. Wir wollen doch zusammenleben", so Alboga, der als Beauftragter der DITIB für interreligiösen Dialog auch Mitglied der Deutschen Islamkonferenz ist.
Enge Grenzen der Toleranz
Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, warf Meisner vor, er bediene Ressentiments und islamfeindliche Stimmungen, "die wir so von der katholischen Kirche und besonders vom neuen Papst nicht kennen". Statt einander abzuwerten, sollten die Religionen einander stützen und schätzen.
Die Grenzen der Toleranz gegenüber Muslimen in Deutschland sind nach Einschätzung des Münsteraner Religionssoziologen Detlef Pollack sehr eng gesteckt, wenn man unter Toleranz die wechselseitige Achtung und echte Gleichbehandlung von unterschiedlichen religiösen Überzeugungen verstehe. "Das Recht auf sichtbare Religionsausübung im Alltag ruft gegenüber anderen Religionen abwehrende Reflexe hervor", so der Forscher. "Dies gilt insbesondere für die Deutschen und ganz besonders für ihre Bereitschaft, den Muslimen Gleichberechtigung einzuräumen." Pollacks Buch zur Religionsvielfalt in Europa ist soeben im Wiesbadener Springer-Verlag erschienen.
Rücktrittsgesuch Meisners liegt beim Papst
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), bezeichnete Meisners Aussage einem Zeitungsbericht zufolge als "persönliche Meinung eines katholischen Würdenträgers", die sie nicht kommentiere, "auch wenn ich sie nicht verstehe".
Der scheidende Kölner Erzbischof bedauerte inzwischen seine Wortwahl. Sie sei "in diesem Fall vielleicht unglücklich gewesen", erklärte er in Köln. Er habe Menschen anderen Glaubens nicht zu nahe treten wollen. Vielmehr sei seine Äußerung als "Wertschätzung für die Familien des Neokatechumenalen Wegs und ihr beispielhaftes apostolisches Wirken" gemeint gewesen. Dort erlebe er eine
außergewöhnliche Glaubenskraft. Auch betonte Meisner, er habe schon
verschiedentlich gesagt, dass "muslimische Familien unserer überalternden Gesellschaft in manchem ein Beispiel geben".
Am 25. Dezember war Kardinal Joachim Meisner 80 Jahre alt geworden. In den nächsten Wochen wird mit der offiziellen Annahme seines Rücktrittsgesuchs durch Papst Franziskus gerechnet.