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Kandidatenzirkus

Alexander Kudascheff24. Juni 2004

Der irische Ministerpräsident, Bertie Ahern, ist als headhunter unterwegs. Er sucht einen neuen Kommissionspräsidenten. Denn, darüber sind sich alle einig, den bisherigen, Romano Prodi, will niemand mehr.

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Zu glücklos, zu schwach, zu wenig charismatisch hat Prodi in den letzten fünf Jahren agiert. Also: ein Neuer muss her - und das Anforderungsprofil ist anspruchsvoll. Er muss ein überzeugter Europäer sein (allerdings auch die überzeugt vertreten, die weniger Europa wollen wie die Briten, die Schweden, die Dänen, die Tschechen, die Polen), er sollte etwas von Wirtschaft verstehen, eine Behörde von rund 20.000 Mitarbeitern leiten können, er sollte Diener des Rates (also der Minister und der Staats- und Regierungschefs) sein, aber auch der große Inspirator, Beweger, ein rhetorischer Feuerkopf, ein sachlicher Überzeuger, charismatisch - sowieso.

Also: ein Top-Mann für einen Topjob (da noch niemand lautstark eine Frau gefordert hat, wird der nächste Präsident nach menschlichem Ermessen wohl ein Mann, aber eine Frau sollte man nicht ganz ausschließen). Und da war man sich wohl intern auf dem Verfassungsgipfel in Brüssel einig. Eigentlich kann es nur einer von uns sein, aus dem erlauchten Kreis der Staats- und Regierungschefs.

Zählkandidat als Verhinderer

Soweit so gut, soweit so schlecht. Denn es gab einen Vorschlag, einen deutsch-französischen Vorschlag: Guy Verhofstad, der belgische Premier. Er war nicht durchsetzbar - nicht bei den Engländern, nicht bei den Polen, den Tschechen, aber auch nicht bei der konservativen Mehrheit im Europaparlament, die den Neuen bestätigen müsste - und sich auf den Briten Patten verständigte. Ein Zählkandidat, das war klar - mit einem Ziel: Verhofstad zu verhindern.

Nach zwei Tagen und zwei halben Nächten war klar: Operation geglückt, Verhofstad verhindert. Doch wer soll es nun werden? Der ehemalige WTO-Chef Sutherland, Portugals Premier Barroso, Österreichs Kanzler Schüssel, Dänemarks Rasmussen, der Ire Ahern selbst, vielleicht der Niederländer Balkenende (doch da schon mit De Hoop Scheffer ein Niederländer einen Topjob, wenn auch bei der NATO, hat - ist das mehr als unwahrscheinlich). Das ist der Kreis der Verdächtigen - und nur Sutherland wäre ein Mann, der überrascht ( ein bisschen wie Horst Köhler in Deutschland).

Unmut über deutsch-französische Hybris

Sicher ist: an einem Nein der großen Drei, an einem Nein von Paris, London oder Berlin kommt kein Kandidat vorbei. Zwar sind sie de jure nicht wichtiger als Estland oder Spanien, aber de facto sind sie es natürlich. Also muss es eine Vorabsprache zwischen England, Deutschland und Frankreich geben - aber die Beziehungen von Chirac zu Blair sind zum Beispiel nicht die besten. Eigentlich versteht der französische Präsident sich richtig gut nur mit dem deutschen Kanzler. Das ist gut für die deutsch-französische Achse - aber schlecht bei der Suche nach einem Kommissionspräsidenten. Denn gegen die deutsch-französische Hybris - alles und jeden zu bestimmen - macht sich inzwischen immer mehr Unmut breit (wenn auch noch nicht laut).

Die EU der 25 ist eben nicht die EU der 12 oder 15. Es gibt neue Allianzen, Achsen und Verbündete. Und Paris und Berlin - so wichtig sie natürlich sind - bestimmen nicht mehr allein - und schon gar nicht Gegenrede. Das war beim Irakkrieg so - deswegen war das Rumsfeld Verdikt vom alten und neuen Europa auch nicht grundsätzlich falsch - das ist heute bei der Verfassung und beim neuen Präsidenten so. Die neue EU ist nicht mehr die EU von Frankreich und Deutschland. Es ist keine französische Erfindung mehr. Es ist eine EU mit neuen Traditionslinien, mit einem anderen Selbstverständnis. Und es ist vor allem keine EU, die sich deutsch-französischen Wünschen (Bitten. Forderungen, Befehlen) einfach fügt. Und die Engländer sind in der EU der 25 keine Außenseiter, keine Spinner mehr. Damit werden auch die anderen Europäer zunehmend die Frage stellen: wie viel Europa wollen wir? Und der Kommissionspräsident in spe wird darauf auch englische Antworten finden müssen.