Kanareninsel El Hierro: Soforthilfe für Afrikas Migranten
1. September 2024Wenn ein Cayuco auf der Kanareninsel El Hierro ankommt, bekommt Francis Mendoza es mit. Cayucos sind die häufig nicht hochseetauglichen Boote, in denen Migranten hunderte Kilometer auf dem offenen Atlantik zurücklegen. Und Mendoza ist der Koordinator einer Freiwilligengruppe, die mit dem Katastrophenschutz zusammenarbeitet.
"Das Meer ist sehr ruhig. Es ist sehr seltsam", sagt Mendoza. "Ich hoffe nur, dass sie sicher ankommen." Inselbewohner wie Mendoza strahlen eine positive Willkommenskultur aus; es gibt sogar Geschichten von Menschen, die Neuankömmlinge in ihre eigenen Häuser aufnehmen. Die kleinste eigenständige Kanareninsel ist nur Durchgangsstation, von der die Migranten binnen vier bis fünf Tagen nach Teneriffa gebracht werden. Lokalpolitiker warnten schon mehrfach, die Kapazitätsgrenze sei erreicht - doch dank engagierter Bewohner wie Mendoza hat El Hierro auch die steigenden Zahlen bislang gut bewältigen können.
2023 sind laut Zahlen des spanischen Innenministeriums mindestens 14.535 Menschen in 154 Booten auf der Insel El Hierro angekommen. Das entspricht durchschnittlich 40 Personen pro Tag auf der 278 Quadratkilometer kleinen Insel, auf der rund 12.000 Menschen leben. Auf El Hierro entfallen fast ein Drittel der Ankünfte: Laut der UN-Migrationsorganisation IOM erreichten 2023 knapp 40.000 Menschen die Kanaren. El Hierro liegt an der südwestlichen Spitze des kanarischen Archipels. Die sieben Inseln liegen vor Marokko und Westsahara im Atlantik, gehören aber zum EU-Mitglied Spanien - und die gefährliche Migrationsroute wird immer häufiger genutzt.
Mehr Ankünfte im September erwartet
2024 nahmen die Ankünfte von Booten weiter zu. Durchschnittlich betraten 45 Personen pro Tag die Insel. Im August waren es an nur zehn aufeinanderfolgenden Tagen sogar knapp über 1000. Mehrere Inselbewohner sagten der DW, dass sie im September mit einer weiteren Zunahme rechnen. Zu den Herkunftsländern der Migranten gehören die westafrikanischen Länder Senegal, Mauretanien, Gambia, Mali und Guinea, aber auch die südasiatischen Staaten Pakistan und Bangladesch.
Juan Miguel Padrón Brito ist Bürgermeister im Ort El Pinar. Er fordert mehr Unterstützung von der spanischen Zentralregierung, den großen Parteien und der Europäischen Union. In der Bevölkerung gebe es auch Sorgen vor Engpässen bei der Versorgung. Die hatte es, als die ersten Boote kamen und El Hierro noch nicht darauf eingerichtet war, schon einmal gegeben: "Es gab Leute die sich berechtigerweise beschwerten. Einmal saßen wir zu dritt im Wartezimmer des Gesundheitszentrums, als ein Migrantenboot ankam. Das gesamte Gesundheitspersonal eilte nach draußen und wir saßen da und kamen nicht dran", erzählt Brito der DW.
Ein neues Leben auf der Insel?
"Hier geht es uns gut und wir sind glücklich. Wir wollen auf der Insel bleiben", sagte Abdu der DW. Er kam vor elf Monaten aus dem Senegal an und ist jetzt ein Mitglied der Gemeinschaft. Auch Teseida, eine Mutter von zwei Jungen, und ihr Mann kamen vor elf Monaten mit anderen Familienmitgliedern ebenfalls aus dem Senegal. Sie sammelten genug Geld, um ein Boot zu kaufen und die ungewisse Überfahrt zu wagen.
Bei der Ausschiffung beschuldigte die spanische Polizei den Vater der beiden Minderjährigen, der "Patron" des Bootes zu sein, womit er sich des Menschenhandels mit Gewinnerzielungsabsicht strafbar macht.
Wann immer ein Migrantenboot ankommt, suchen die Behörden nach einem Verantwortlichen, auch wenn seine Angehörigen zurückweisen, dass es sich bei dem Familienvater um einen Schlepper handele. Jetzt sitzt er auf Teneriffa im Gefängnis und wartet auf seinen Prozess. Jeden Monat nimmt Teseida die Kinder mit auf die Nachbarinsel, um ihren Vater zu besuchen, da sie es für wichtig hält, dass die Jungen Kontakt zu ihm haben.
Registrierung und Verifizierung der Migranten
Omar, ein junger Gambier, gelangte vor zwölf Monaten mit einem Boot aus dem Senegal zur Insel und bat um Schutz als Minderjähriger. Bei einer gerichtsmedizinischen Untersuchung wurde er jedoch als volljährig ausgewiesen, so dass er das Heim verlassen musste.
Zu seinem Glück fand er bei Francis Mendoza, dem Leiter der Freiwilligen des Katastrophenschutzes, einen Platz, wo er unterkommen konnte. Heute arbeitet der junge Mann als Freiwilliger in der Organisation "Corazon Naranja" und ist ein Beispiel dafür, wie Migranten versuchen, einen Alltag zu finden.
"Wir alle hängen sehr an Omar, besonders in meiner Gruppe Corazon Naranja", sagte Mendoza."Wir haben ihn aufgenommen, als er vor einem Jahr auf der Insel ankam. Seitdem haben wir eine sehr enge Freundschaft zu ihm aufgebaut."
Migranten helfen Migranten
Omar hilft nun bei der Aufnahme neuer Migranten, die auf der Insel ankommen. Gemeinsam mit seinen Kollegen kümmert er sich um die Neuankömmlinge, die dann zunächst im CATE (Temporary Attention Centre for Foreigners) bleiben. Es wird von der Nationalpolizei bewacht und ist für die Durchführung der Registrierungs- und Identifizierungsverfahren für Personen zuständig, die irregulär ins Land kommen.
Angesichts des bevorstehenden Anstiegs der Zahl der Boote, die die kleine Insel erreichen, stellt sich die Frage, ob die Solidarität der Einheimischen, die sich selbst Herrenos nennen, Grenzen hat oder unerschöpflich ist.
Bürgermeister Juan Miguel Padrón Brito würde das sicher anders sehen, aber Francis Mendoza sagt: "Nein, nein, auf El Hierro gibt es das nicht." Der Herreno mag müde sein, außer Atem, aber bis zu seinem "letzten Atemzug, bis zum letzten Blutstropfen", wird er alles geben, um den Migranten zu helfen.