Will Saudi-Arabien den Westen disziplinieren?
8. August 2018Saudi-Arabien hat Dennis Horak 24 Stunden Zeit gegeben, das Land zu verlassen - der kanadische Botschafter ist in Riad zur persona non grata erklärt worden. Gleichzeitig erklärte das saudische Königshaus, dass die gerade erst abgeschlossenen Handels- und Investitionsgeschäfte mit Kanada zunächst auf Eis gelegt werden. Damit reagierte das Königsreich auf einen Tweet der kanadischen Außenministerin Chrystia Freeland in der vergangenen Woche. Freeland hatte sich besorgt über die zunehmenden Inhaftierungen von Frauenrechtlerinnen geäußert. Die kanadische Außenministerin hatte die saudische Regierung aufgerufen, die "Inhaftierten umgehend freizulassen". Unter den Inhaftierten befindet sich auch Samar Badawi, die Schwester des seit 2012 inhaftierten Bloggers Raif Badawi, der von den saudischen Behörden wegen Beleidigung des Islams zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde. Dessen Frau und die gemeinsamen drei Kinder leben als kanadische Staatsbürger in Quebec.
Saudi-Arabien reagierte prompt und bezeichnete die Tweets als "unverhohlene Einmischung in die inneren Angelegenheiten" des Landes. Zudem seien sie ein "großer unentschuldbarer Affront gegenüber den im Königreich geltenden Gesetzen". Die saudische Regierung werde die Stipendien tausender saudischer Studenten in Kanada aussetzen. Die staatliche Fluggesellschaft Saudia kündigte an, ab dem 13. August alle Flüge nach Toronto zu streichen. Am Mittwoch ließ die saudische Regierung erklären, dass alle medizinischen Behandlungen saudischer Bürger in Kanada beendet werden.
Bahrain und die Vereinigten Arabischen Emirate stehen an Riads Seite
Trotz der Folgen für Kanada blieb Freeland bei ihrer Kritik der Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien. "Wir stehen zu dem, was wir gesagt haben", sagte sie. "Wir werden uns immer gegen die Verletzung von Menschen- und Frauenrechten aussprechen".
Unterstützung für sein Vorgehen gegen Kanada erhielt Saudi-Arabien aus der unmittelbaren Nachbarschaft. "Wir stehen zu Saudi-Arabien, wenn es seine Souveränität verteidigt und geeignete Maßnahmen ergreift, um seine Gesetze zu verteidigen", tweetete der Außenminister der Vereinigten Arabischen Emirate, Anwar Gargash. "Bahrain weist die kanadische Position zurück, die auf falschen Informationen basiert und nichts mit der tatsächlichen Situation zu tun hat", sagte Bahrains Außenminister Al Chalifa. "Wir weisen die inakzeptable Einmischung in die inneren Angelegenheiten Saudi-Arabiens zurück."
Mohammad bin Abdullah al Zulfi, ein saudischer Politikexperte und früheres Mitglied des Schura-Rats - der Beratenden Versammlung Saudi-Arabiens - unterstützt die Reaktion des saudischen Kronprinzen Mohammed bin Salman und seiner Regierung. "Saudi Arabien ist ein starkes Land, das weder Kanada, noch Deutschland oder die USA benötigt", sagte er im Gespräch mit der Deutschen Welle.
Guido Steinberg, Nahost-Experte der Stiftung Wissenschaft und Politik sieht vor allem zwei Gründe für die harsche Reaktion aus Riad. Auf der einen Seite sei die saudische Führung "unsicher" und "paranoid" geworden, sagte er der Deutschen Welle. Auf der anderen Seite sei es auch möglich, dass die Saudis einfach "genug von der westlichen Kritik haben". Er glaubt, dass die Saudis an Kanada ein Exempel statuieren wollten, um anderen westlichen Staaten zu zeigen, dass sie keine Einmischung in die inneren Angelegenheiten dulden. "Die Saudis sind dreist und auf ihre Weise unsicher, aber sie wissen, dass sie ein bedeutendes Land sind", sagt Steinberg.
Kronprinz darf keine Schwäche zeigen
Günther Meyer, Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Uni Mainz, glaubt, dass die Reaktion der saudischen Regierung auch eine Wirkung nach innen erzielen soll. Kronprinz bin Salman wolle seine Landsleuten zeigen, dass die saudische Außenpolitik nach wie vor funktioniere. Saudi Arabien habe Rebellen in Syrien unterstützt, die jetzt den Krieg gegen Präsident Bashar Assad verlieren und führe aktuell blutige und kostenintensive Militärschläge im Nachbarland Jemen. "Mohammed bin Salman ist auf unterschiedlichen Feldern seiner Außenpolitik geschwächt. Hätte er die harte kanadische Kritik nicht beantwortet, wäre seine Position weiter geschwächt worden", sagte Meyer der Deutschen Welle.
Auch wenn Kanada weiter zu seiner Kritik am Königreich stehe, könne es doch eine Menge verlieren, glaubt Meyer. Aus kanadischer Perspektive sei es doch eine überraschend harsche saudische Gegenreaktion gewesen, sagt er. So könnten saudische Stipendiaten in Kanada ihre Studien einfach in den USA oder Großbritannien fortsetzen. Für die kanadischen Universitäten wäre das ein großer Verlust.
Der jährliche Handel der beiden Länder hat ein Volumen von 4 Milliarden kanadischen Dollars (2,63 Mrd. Euro) - ein Großteil machen die kanadischen Waffenlieferungen an Saudi Arabien aus. Die Waffenlieferungen könnten jetzt die USA übernehmen, was den Gewinn der kanadischen Waffenproduzenten empfindlich schmälern könnte.
Kann das auch Deutschland passieren?
Nicht zum ersten Mal reagiert das Königsreich am Golf empfindlich auf Kommentare ausländischer Regierungen. Im November 2017 hatte der damalige deutsche Außenminister Sigmar Gabriel die Situation des libanesischen Premier Ministers Saad Hariri kommentiert: Er werde gegen seinen Willen in Saudi Arabien festgehalten, schrieb Gabriel. Die Reaktion folgte auf dem Fuße: Das Königreich zog seinen Botschafter aus Berlin ab - der Posten ist bis heute unbesetzt. Auch hatte sich Gabriel kritisch zur saufdischen Rolle im Bürgerkrieg in Jemen geäußert. Daraufhin kamen deutsche Firmen auf eine schwarze Liste, mit der Riad deren Handel erschwerte und teilweise auch verbot.
Ob Riad auch den deutschen Botschafter ausweisen würde, wenn Deutschland die saudische Politik kritisierte? Die Antwort des Nahost-Experten Steinberg kommt prompt: "Natürlich! Sie versuchen alle westliche Kritik an ihrer Politik zu unterbinden". Steinberg glaubt zudem, dass Saudi Arabien in naher Zukunft seine Beziehungen zu den USA intensivieren werde. "Kronprinz Mohammad bin Salman hat kein Interesse an einem weiteren Ausbau der Beziehungen zu den Europäern und Kanada", so Steinberg. Zu Washington allerdings schon.