Irans Nationalmannschaft als Spielball des Regimes?
27. Mai 2022Sardar Azmoun hatte sich auf eine besondere Reise gefreut: Anfang Juni sollte der Profi von Bayer Leverkusen mit der iranischen Fußball-Nationalmannschaft ein Testspiel gegen Kanada bestreiten. Ein weiteres gegen Ecuador und ein Trainingslager in Kanada waren für den Iran, der wie Kanada für die WM 2022 qualifiziert ist, vorgesehen. Doch der kanadische Verband sagte das Spiel gegen die iranische Auswahl am Donnerstagabend europäischer Zeit ab und sorgte damit für weiteren politischen Zündstoff zwischen den beiden Ländern, die seit 2012 keine diplomatischen Beziehungen mehr unterhalten.
Auf dem Weg in die Türkei
Dennoch sind Azmoun und Teile der Mannschaft nach Ankara gereist, wo sie in der kanadischen Botschaft ihre Visumsanträge stellen wollten. In zwei getrennten Reisedelegationen sollte das iranische Team in die türkische Hauptstadt kommen, um die Anträge zu stellen. Azmoun gehörte zur ersten Gruppe und schrieb am Freitagmorgen bei Instagram: "Auf in die Türkei."
Und auch auf die Absage seitens des kanadischen Verbandes reagierte er via Instagram: "Ich bedauere sehr, dass dieses Freundschaftsspiel abgesagt wurde. Ich hoffe nur, dass unsere künftigen Vorbereitungsspiele für die WM nicht vom gleichen Schicksal betroffen sein werden", schrieb der 27-Jährige. Er und sein Team seien "zum Spielball des kanadischen Fußballverbandes" geworden.
Öffentlicher Druck in Kanada
Der kanadische Verband nannte in seiner Mitteilung über die Absage keine konkreten Gründe. Hauptgrund dürfte jedoch der öffentliche Druck gewesen sein, der durch Proteste von Angehörigen der Todesopfer des Flugzeugabschusses 2020 in Iran ausgelöst wurde. Am 8. Januar 2020 war eine Maschine auf dem Weg nach Kiew kurz nach dem Start von iranischen Streitkräften nahe Teheran abgeschossen worden. Unter den 176 getöteten Menschen an Bord befanden sich unter anderen 55 kanadische Staatsbürger und 30 weitere Einwohner des Landes.
Die Ansetzung des Testspiels gegen den Iran am 5. Juni 2022 in Vancouver hatte in Kanada folglich von Beginn an für Proteste gesorgt. Auch Premierminister Justin Trudeau äußerte sich kritisch: "Ich denke, es war keine gute Idee, das Fußballteam des Irans hierher nach Kanada einzuladen. Aber das müssen die Organisatoren erklären", sagte der Regierungschef Mitte Mai.
Kalkulierter Skandal?
Die Reise des iranischen Teams nach Kanada ist nun endgültig geplatzt, denn das Testspiel gegen Ecuador und das geplante Trainingslager waren bereits vor der Partie gegen die Kanadier abgesagt worden. Und nicht nur in Kanada war eine Absage nach Bekanntwerden der Ansetzung am 12. Mai 2022 unmittelbar ein Thema. Für den Fall einer Absage seitens der Kanadier werde man Schadensersatz fordern, hatte Teammanager Hamid Estili stellvertretend für den iranischen Fußballverband immer wieder und auffällig oft betont. Der Verdacht liegt nahe, dass die iranische Seite eine Absage von Beginn an einkalkuliert haben könnte.
Entsprechend schnell folgte nach der Absage auch die Reaktion durch das iranische Sportministerium. Die Behauptung westlicher Staaten, dass der Sport nicht politisiert werden dürfe, habe sich mit der einseitigen Absage Kanadas als absurd erwiesen, twitterte der Vizeminister für Sport, Sina Kalhor. Der Iran werde wegen der Absage juristisch gegen Kanada vorgehen und einen Schadensersatz in Höhe von zehn Millionen US-Dollar fordern, kündigte er an.
Brisante Hintergründe
"Politik sollte nicht mit dem Sport vermischt werden", schrieb Sardar Azmoun bei Instagram und betonte, man habe es nicht verdient, von großen Wettkämpfen ausgeschlossen zu werden, bzw. für andere Nationalmannschaften auflaufen zu müssen. "Die jetzige Lage hat die Jugend in Iran nicht verdient. Hoch leben die Iraner und der Iran", so Azmoun.
Darauf reagierte in dem sozialen Netzwerk die bekannte Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Masih Alijenad und wandte sich direkt an Azmoun. "Lieber Sardar Azmoun, Sie haben einige Male schon Soleimani und Khamenei verteidigt. Und ausgerechnet im Zuge der Sanktionierung der Begleitung der Nationalmannschaft durch die Revolutionsgardisten bei der Reise nach Kanada behaupten Sie auf einmal, Sport möge nicht mit Politik vermischt werden?", so die im amerikanischen Exil lebende Alijenad mit Hinweis auf die Stellungnahmen des Fußballprofis zu dem bei einem US-Angriff ums Leben gekommenen General der iranischen Revolutionsgarden, Qassem Soleimani und Irans oberstem geistlichen Führer, Ajatollah Ali Khameini.
Werkzeug des iranischen Regimes?
"Wenn es keinen politischen Sport gibt, warum haben Sie dann um ein Treffen mit den politischen Führern der Islamischen Republik gebeten?", so Alijenad weiter. Brisant ist nicht nur ihre öffentliche Gegenrede, sondern auch der Hinweis auf Vertreter der Revolutionsgarden, die offenbar getarnt als Teammitglieder zur iranischen Delegation in Kanada gehören sollten und auch die eigene Verwicklung in das Thema.
Denn sie selbst sollte nachweislich durch den iranischen Staat entführt werden. Die durch das FBI vereitelten Pläne hatten vorgesehen, die in New York lebende Alijenad auf amerikanischem Boden zu entführen. Eingeweiht soll auch Teammanager Estili gewesen sein, der als Torschütze beim 2:1-Sieg über die USA bei der WM 1998 in Frankreich als Nationalheld verehrt wurde und heute aufgrund seiner Nähe zu den Revolutionsgarden als Handlanger des iranischen Regimes gilt.
"Wenn es keinen politischen Sport gibt, warum erscheint dann Ihr Teammanager Hamid Estili beim jährlichen Bankett von Mahmoud Khazein, dem Sicherheitsbeamten der Islamischen Republik Iran, der vorhatte, eine Amerikanerin in den USA zu entführen?", schrieb Alijenad und sieht Azmoun und die iranische Nationalmannschaft als Werkzeug des iranischen Regimes und nicht als Spielball des kanadischen Verbandes, wie Azmoun. "Sie und Ihr Lieblingssport sind nur ein politisches Werkzeug in den Händen der politischen Führer, damit diese sich - der Welt gegenüber - als ein normales Regime präsentieren", entgegnet Alijenad dem Bundesliga-Profi, der mit seinem Team nicht nach Kanada reisen wird, aber definitiv zum Spielball politischer Interessen geworden ist.