Kampf gegen Islamismus
7. Juli 2017Roman Friedrich versucht täglich, junge Muslime in Deutschland vor der Radikalisierung zu bewahren und radikalisierte Jugendliche und junge Erwachsene wieder in die Gesellschaft einzugliedern. Er engagiert sich besonders in den tschetschenischen und nordafrikanischen Gemeinden in Nordrhein-Westfalen und versucht dort, junge Menschen nicht in die Fänge der Extremisten gelangen zu lassen. Er verfolgt die salafistische Szene online und sucht den Kontakt und baut Brücken zu jungen Muslimen, die empfänglich sind für deren Botschaften. Wir trafen Friedrich in Köln.
Deutsche Welle: Sie sagen, es gibt eine hohe Dunkelziffer an Salafisten in Nordrhein-Westfalen. Gibt es Eckdaten, die Sie uns nennen können? Oder eine bestimmte Tendenz?
Roman Friedrich: Ja. Wir haben eine aufsteigende Tendenz - sowohl was die Anhängerzahlen als auch die Zahl von gewaltbereiten Salafisten betrifft. Von 300 gewaltbereiten Salafisten im Jahr 2015 ist die Zahl bis 2016 auf 500 gestiegen - alleine in Nordrhein-Westfalen. Das heißt, es hat sich fast verdoppelt. Das sind beunruhigende Tendenzen, und der Handlungsbedarf ist auf jeden Fall gegeben. Was die allgemeine Salafistenzahl betrifft - da liegen wir momentan bei etwa 2500. Dazu gehören auch politisch motivierte Salafisten, die nicht unbedingt gewaltbereit sind. Beachten Sie aber bitte, dass diese Zahlen von 2015 sind.
Die meisten Muslime scheinen nicht mehr in einer Moschee radikalisiert zu werden, sondern online. Warum ist das so?
Wegen der Sprache. Die deutsche Sprache, die die Rekrutierer aus der salafistischen Szene benutzen, ist das ausschlaggebende. In Moscheen sprechen die Imame entweder arabisch oder türkisch. Sie sprechen nicht unbedingt die Sprache der Jugendlichen. Das ist das wichtige: Der Erstkontakt entsteht Online. Danach folgt der Offline-Kontakt, wo die Menschen sich dann auch treffen. Diejenigen, die sich angesprochen fühlen von der salafistischen und der dschihadistischen Ideologie, treffen sich mit Predigern, die wiederum ihre Netzwerke haben.
Was ist die Strategie der Rekrutierer, um Jugendliche zu erreichen?
Die Strategie ist, das Herz der Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu erreichen. Sie senden emotionale Botschaften in Form von Kurzvideos, Musikvideos oder Hashtags und Texten. Sie schreiben auch in Kommentarspalten sehr aktiv, wo sie mit Fakten oder mit Faktenverdrehungen emotional die Zielgruppe erreichen. Das Ziel: Wenn das Herz des Jugendlichen oder des jungen Erwachsenen, der undifferenziert Medien konsumiert, erreicht ist, dann ist auch der Weg zum Verstand nicht sehr weit. So werden sie ideologisiert und indoktriniert.
Was macht die jungen Menschen empfänglich für diese Strategien und Ideologien?
Unterschiedliche Gründe: fehlende Perspektiven, Arbeitslosigkeit, Justizprobleme, Drogenprobleme, Familienkonflikte, Konflikte auf der Straße, in der Schule, in der Berufsschule, multiple Identitätsprobleme, das heißt, die Jugendlichen wissen nicht mehr, zu welchem Kulturkreis sie eigentlich gehören, was sie jetzt ausleben sollen. Die Jugendlichen nennen auch den Werteverfall der Gesellschaft oft als Problem - auch wenn sie selbst oft nicht den höchsten Kriterien entsprechen. Das sind tatsächlich Multiproblemlagen. Damit muss man sich fachlich und professionell auskennen können, damit man einen Dialog gestalten kann.
Wo finden Sie diese Jugendlichen, und wie helfen Sie konkret?
Es gibt informelle Treffpunkte, auf der Straße, oder im medialen Bereich, wie auf Facebook. Da sieht man dann Jugendliche, die auffällig werden durch ihre Kommentare, die Gewaltbereitschaft oder - affinität aufzeigen.
Wer wird von diesen Jugendlichen als Gesprächspartner angenommen? Wen nehmen sie ernst?
Authentische Persönlichkeiten, die in ihrem Glauben gefestigt sind und eine gewisse Authentizität nach außen tragen. Ich würde aber davor warnen, islamische oder generell religiöse Organisationen für Präventionsprojekte zu engagieren. Jede religiöse Organisation hat ihre eigene Färbung. Die wird dann von anderen Gruppen direkt abgelehnt. Daher plädiere ich eher dafür, neutrale säkulare Organisationen zu engagieren, die Islamexperten dazuziehen können, damit sie im Dialog auch professionell bleiben und unterstützen können.
Wie können die deutschen Behörden besser unterstützend tätig sein?
Ich würde mir wünschen, dass die deutschen Behörden viel enger mit Trägern der Jugendarbeit zusammenarbeiten. Dass die Koordinierung besser gestaltet wird. Im Bereich primäre, sekundäre und tertiäre Prävention müsste dann ganz genau hingeschaut werden, wie die Schnittstellen gestaltet werden können. Das würde ich mir wünschen.
Es gibt aber auch andere Faktoren. Ich würde generell den Fokus auf Extremismus legen und nicht auf rein islamistischen Extremismus, so wie das die Medien tun. Wir müssen auch in die rechte Ecke schauen. Da wird ein viel größeres Potential an Gewalttaten und an Gewaltbereitschaft festgestellt. Aber natürlich ist es dort noch nicht zu ähnlichen Terroranschlägen gekommen, so wie wir es aus der salafistischen Szene kennen.
Das Gespräch führten Nina Haase und Sumi Somaskanda.