Kampf gegen die Fernbedienung
8. Mai 2004"Wort zum Sonntag", so heißt die Sendereihe im ersten Fernsehprogramm der ARD. Diesen Sendeplatz am Samstagabend gesteht der Gesetzgeber den Kirchen zu, die auch die inhaltliche und redaktioneller Verantwortung haben. Seit nunmehr 50 Jahren muss sich Kirche mit Verkündigung am Markt behaupten; gegen die Konkurrenz von großer Abendshow, Spätspielfilm und Sport.
Spott-Resistent
"Das Wort zum Bierholen", "Das Wort zum Wasserlassen", "Das Wort zum Abschalten" - kaum eine Sendereihe hat seit Erfindung der Bildröhre so viel Spott und Häme überlebt wie jene Fernseh-Minipredigten, die seit nunmehr 50 Jahren rund 2200 Mal an jedem Samstagabend über den Bildschirm flimmerten. Es waren die demokratischen Alliierten des Zweiten Weltkriegs, die den beiden Volkskirchen das Sonderrecht einräumten, im öffentlich-rechtlichen Fernsehen "Sendungen in Eigenverantwortung" zu gestalten. Nicht also die einzelnen Landesfunkhäuser der ARD, sondern die einzelnen evangelischen Landeskirchen und katholischen Diözesen sind für die Auswahl der Sprecherinnen und Sprecher und für den Inhalt verantwortlich. Ein früher zehn, heute vier Minuten kurzes "Wort", das von Anfang an zwischen erbaulicher Andacht, mahnendem Bußruf, seelsorglicher Beratung und politischem Kommentar schwankte. Fernsehjournalistisch ein klassischer "Aufsager", ein "sprechendes Passfoto". Theologisch aber ist das "Wort zum Sonntag" die Nagelprobe für christliche Verkündigung überhaupt, weil sie sich säkularen Seh- und Hörgewohnheiten stellen muss, weil die Kirche auf die Fernbedienung trifft.
Promi-Predigten
Gebildet, sanft und bieder schauen die Damen und Herren Verkündiger aus dem Bildschirm und tragen Texte vor, die meist besser sind als der Ruf der Sendung. Rund 300 Autorinnen und Autoren sind es bisher gewesen, darunter illustre Protestanten wie Hanns Lilje und Otto Dibelius, Helmut Thielicke, der Schriftsteller Albrecht Goes oder der Talkshowmoderator Jürgen Fliege. Und natürlich berühmte katholische Prominente wie Julius Kardinal Döpfner, die Politikerin Hanna-Renate Laurien, der Tübinger Professor Hans Küng und sein römischer Widerpart Josef Kardinal Ratzinger. Die höchste Einschaltquote ihrer fünfzigjährigen Geschichte hatte das "Wort zum Sonntag" mit Papst Johannes Paul II 1980. Die vielleicht höchste politische Wirkung hatte es 1979, als der Pfarrer und Buchautor Jörg Zink gegen die Umweltzerstörung polemisierte und am nächsten Tag die Partei der Grünen mit 5,1 Prozent in den baden-württembergischen Landtag einzog. 30 Jahre lang war Zink der "Mister Wort zum Sonntag". Er kommentierte die Morde an Rudi Dutschke und Hanns-Martin Schleyer, legte sein vorbereitetes Manuskript beiseite und sprach frei, als am 15. Oktober 1977 die entführte Lufthansa-Maschine in Mogadischu gestürmt wurde.
Mit Hund und Gummipuppe
Trotz ähnlich populärer Sprecher wie Adolf Sommerauer oder Isa Vermehren schrumpfte das Publikum des "Wortes zum Sonntag" von ehemals acht auf heute 1,8 Millionen Zuschauer. Und die erinnern sich hauptsächlich an Spektakuläres : Dass Protestant Heiko Rohrbach seinen Hund mit ins Studio brachte, Baptistenpastorin Andrea Schneider live vom Grand Prix-Schlagerwettbewerb aus Israel sprach, Pfarrerin Mechthild Werner mit einer aufblasbaren Puppe aus dem Sex-Shop hantierte.
Das "Wort zum Sonntag" hat weder den Bedeutungsverlust der Kirchen noch den des Fernsehens aufgehalten. Vielleicht aber hat es die Bedeutung des klug durchdachten und mit Bedacht gehörten Wortes hochgehalten 50 Jahre lang.