Flüchtlinge gestalten App gegen deutsche Bürokratie
11. August 2016Ganz Deutschland hat mitgelitten, als in der vergangen Woche ein chinesischer Tourist ungewollt zwei Wochen lang in einem Asylbewerberheim gelandet ist. Der Grund: Er hatte nach dem Diebstahl seiner Geldbörse die falschen Formulare unterschrieben. Wer kein Deutsch kann, ist im deutschen Bürokratie-Dschungel zwischen Diebstahlanzeige und Asylantrag verloren. Vielleicht kann diese App künftig Abhilfe schaffen. "Bureaucrazy", heißt sie.
Als Munzer Khattab, Ghaith Zamrik, Omar Alshafai, Yazan Salmo, Mohamad Khattab und Ahmad Alarashi als Flüchtlinge nach Deutschland kommen, müssen sie Unmengen an Dokumenten ausfüllen und unterschreiben. Nur wenige gibt es auf Arabisch.
Vielen Behörden fehlen Übersetzer für Arabisch, Farsi oder Paschtu. Außerdem sprechen die Mitarbeiter selten fließend Englisch. Letztendlich unterschreiben viele Flüchtlinge Papiere, deren Inhalt sie nicht kennen.
Deshalb haben diese sechs Flüchtlinge aus Syrien im letzten Jahr nicht nur Deutsch gelernt, sondern auch an der Entwicklung einer neuen Smartphone-App, die die deutsche Bürokratie erleichtern soll, gearbeitet.
"Bureaucrazy" - ein verrückt bürokratisches Wortspiel
Die App "Bureaucrazy" soll im Januar 2017 eingeführt werden. Formulare und Vordrucke aus dem Deutschen wird sie allen Überforderten ins Arabische und Englische übersetzen. Die App soll außerdem helfen, Flüchtlinge bei den Behörden zu registrieren, ein Bankkonto zu eröffnen, sich bei Versicherungen anzumelden und sämtliche andere Wege zu den Behörden erleichtern. Hinzu kommt eine Stadtkarte von Berlin, auf der alle Behörden und Ämter verzeichnet sind. Neuankömmlinge haben so die Möglichkeit, sich zu orientieren.
"Wenn du Papierkram zu erledigen hast und nicht weißt, wie es geht, kannst du diese App benutzen und wir werden dir dann sagen, welche Unterlagen du eventuell brauchst und wo du sie abgeben musst oder auch welche Behörden du besuchen musst", erklärte Ghaith Zamrik (19) in einem Interview mit Deutsche Welle-Reporter Jaafar Abdul Karim für die arabische Sendung "Shabab Talk".
"Bureaucrazy" ist nicht nur ein kreativer, sondern auch ein sehr passender Begriff - denn deutsche Demokratie ist tatsächlich eine verrückte Angelegenheit. Munzer Khattab, dessen Muttersprache Arabisch ist, erfand den Namen der App, als er das englische Wort "bureaucracy" falsch aussprach.
Programmierkurs half den Flüchtlingen bei der Entwicklung
Keiner der sechs App-Erfinder hatte Fachkenntnisse in IT und Programmieren, als sie die Idee zur "Bureaucrazy"-App hatten. Die meisten ihrer Fähigkeiten erwarben sie während eines Kurses an der ReDi School of Digital Integration in Berlin. Die Firmenneugründung ReDi bietet Kurse rund ums Programmieren für Flüchtlinge an. Dort können sie ihre eigenen Programme entwerfen und Ideen realisieren.
Ghaith und seine fünf Freunde nahmen an solch einem Kurs teil und konnten die Jury beim "Spacehack"-Hakathon von ihrer Idee überzeugen, wo sie den ersten Platz gewannen. Den Prototypen für die App entwickelten sie bereits als Teil des Kursprogrammes an der ReDi.
Wenn die App vollendet ist, soll sie später einmal nicht nur in Berlin, sondern in ganz Deutschland und in anderen Städten Europas angewendet werden können. Das Konzept bleibt dabei dasselbe: Regierungsunterlagen und Formulare werden gesammelt und in der App gespeichert, so dass sie später übersetzt und in einfacher Sprache gelesen werden können. Die App kann also leicht an andere Länder angepasst werden, wenn die Unterlagen der Behörden vorliegen. Nun hofft man auf eine Zusammenarbeit mit den Berliner Behörden, um die App zunächst in Berlin zu testen.
"Bureaucrazy" braucht Unterstützung
Vielen ist klar geworden, dass die App nicht nur Flüchtlingen und Touristen helfen kann. Auch Deutsche, die am Beamtendeutsch vieler Formulare verzweifeln, nutzt sie.
Noch suchen die frischgebackenen App-Entwickler nach Unterstützung - durch Beamte, IT-Fachleuten und Sponsoren. Eine #link:http://www.betterplace.org/de/projects/47346-support-bureaucrazy-simplify-german-bureaucracy:Crowdfunding-Kampagne# unterstützt durch Anne Kjaer, Leiterin der ReDi School of Digital Integration, soll nun die Entwicklung der App finanzieren.
Der Chinese, der versehentlich einen Asylantrag unterschrieb, kann sich also bald wieder nach Deutschland trauen, ohne Angst haben zu müssen, dass sich seine Geschichte wiederholt.