"Kalkulierter massiver Affront gegenüber USA"
21. Oktober 2016Deutsche Welle: Duterte hat bei seinem Chinabesuch erklärt, die Philippinen würden mit den USA brechen. Ist das nicht ein diplomatischer Affront ohnegleichen?
Siegfried Herzog: Es ist in Stil und Radikalität sicherlich ein kalkulierter massiver Affront gegenüber den USA. Duterte hegt offensichtlich seit vielen Jahren tiefe Animosität gegenüber den USA, und deren Kritik an seinem Drogenkrieg hat ihn nur noch weiter gereizt. Das entlädt sich nun derzeit emotional.
Die Philippinen sind seit ihrer Unabhängikeit 1946 ein strategischer Verbündeter der USA gewesen. Bis jetzt haben die USA verhalten auf die verschiedenen Provokationen reagiert, weil andere Regierungsmitglieder die Aussagen von Duterte immer wieder relativiert haben und eine radikale Kurskorrektur bestritten haben. Das ist auch jetzt geschehen: Finanzminister Dominguez und der wirtschaftliche Planungschef Pernia haben erklärt, dass es um eine bessere wirtschaftspolitische Integration in Asien gehe, nicht um einen Bruch mit dem Westen. Formale Schritte sind bisher ausgeblieben.
Duterte ist für einen impulsiven Kommunikationsstil berüchtigt. Auf Kritik reagiert er extrem dünnhäutig und aggressiv. Auch das ist ein Grund, warum eine zu massive direkte Reaktion als nicht unbedingt nützlich erscheint. Amerikas Topdiplomat für Asien, Daniel Russel, kommt dieses Wochenende nach Manila, wobei es auch darum gehen wird, Klarheit zu schaffen, welche Implikationen diese Ankündigungen von Duterte nun tatsächlich haben werden.
Opfern die Philippinen die regionale Sicherheitsarchitektur ihren wirtschaftlichen Interessen?
Die Frage ist, ob Duterte sowohl regionale Sicherheitsbündnisse als auch wirtschaftliche Interessen für seinen neuen Pro-China-Kurs opfert. Die philippinische Wirtschaft ist weit stärker mit den USA verflochten als mit China. Aus den USA kommen fast ein Drittel der knapp 18 Milliarden US-Dollar Heimüberweisungen von Auslandsfilippinos, amerikanische Firmen haben fast fünf Milliarden US-Dollar in den Philippinen investiert. Das ist weit mehr als China. Und der wichtigste Boomsektor der Philippinen, die digitalen Dienstleistungen wie Callcenters, macht einen Großteil des Wirtschaftswachstums und der neu geschaffenen Arbeitsplätze aus. Die Dienstleister arbeiten vor allem mit amerikanischen Kunden.
Diese sind nun schon zögerlich geworden, was neue Investitionen angeht. Offensichtlich erwartet Duterte nun massive Zuwendungen von China und wird diese wohl auch erhalten. Angesichts der Intransparenz des chinesischen Geschäftsgebarens waren frühere Großprojekte Chinas in den Philippinen wegen Korruptionsvorwürfe gescheitert. Ob China wirklich zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation beiträgt, ist daher zumindest eine offene Frage.
Die Auswirkungen der massiven chinesischen wirtschaftlichen Aktivitäten in Afrika lassen einen das bezweifeln. Wie in Afrika mag sich eine Allianz mit China für die jeweilige politische Führung auszahlen. Die Vorteile für die Bevölkerung sind nicht so offensichtlich.
Wie schätzen Sie die Chance ein, dass Duterte seinen neuen außenpolitischen Kurs im eigenen Land durchsetzen kann?
Einerseits hat Duterte noch hohe Zustimmungswerte. Am Anfang ihrer Amtszeit hatten fast alle Präsidenten gute Werte. Das ist ein Vertrauensbonus. Er wird wohl auch von sehr vielen als zielstrebiger Macher gesehen, der endlich mit dem Schlendrian und der Selbstbedienungsmentalität der Elite aufräumen will. Das ist durchaus populär.
Es gibt aber auch Warnsignale. Umfragen zeigen, dass die Leute zwar hinter dem Drogenkrieg stehen, die massenhafte Tötung von Verdächtigen ohne unabhängige Gerichtsverfahren aber ablehnen.
Was das Verhältnis zu den USA und China betrifft, steht Duterte mit seiner Meinung relativ isoliert da: Umfragenzeigen, dass die USA in den Philippinen seit Jahrzehnten deutlich mehr Vertrauen genießen als China. Zuletzt lag die Nettovertrauensrate (+%: positive Haltung; -%: negative Haltung) der USA in der Bevölkerung bei +60%, die Chinas bei -33%. Sich nun derart auf Chinas Seite zu schlagen ist daher sehr riskant.
Unterstützt wird er darin natürlich mit großem Enthusiasmus von den Kommunisten, die im Kabinett vertreten sind und deren exilierter Chef Jose Maria Sison einst Dutertes Professor war. Aber die meisten Filippinos haben enge Verbindungen in die USA. Das gilt vor allem für Militär, Politik und Wirtschaft. Diese Kreise sehen seine polarisierende Politik kritisch. Das Militär ist zwar von Duterte mit Zuwendung überschüttet worden. Aber nach jahrzehntelangem Kampf gegen die kommunistischen Rebellen ist es nicht begeistert davon, die Kommunisten nun im Kabinett zu sehen. Und nach jahrzehntelanger enger Zusammenarbeit mit den USA und nach andauernden Bedrohungen und Demütigungen durch China dürfte dieser Schwenk alles andere als ein Selbstläufer sein.
Dutertes innerer Zirkel besteht aus Vertrauten aus Davao (Millionenstadt im Südosten auf der Insel Mindanao. Rodrigo Duterte war lange Jahre dort Bürgermeister. Amtierende Bürgermeisterin, Sara Duterte-Carpio ist die Tochter von Präsident Duterte. Anm. d. Red.), die alle mit der nationalen Politik wenig vertraut sind. Zum effektiven Regieren hat er sich eine Reihe von Technokraten und Leuten aus verbündeten politischen Lagern geholt, die aber seine Haltung zu den USA nicht oder nur begrenzt teilen.
Das ist auch in China deutlich geworden, wo sich andere Delegationsmitglieder nicht wirklich voll hinter Dutertes Ankündigung stellten. Er riskiert daher eine gewisse Entfremdung von wichtigen Gruppen. Andererseits wird ihn China in seinem Drogenkrieg und einer generell autoritären Regierungsführung nicht kritisieren, wie das westliche Länder tun, sondern ihn unterstützen. Wenn das ein relevantes Motiv für ihn war, dann steht den Philippinen noch eine schärfere Polarisierung bevor.
Darauf deutet hin, dass überraschenderweise auch Mitglieder des Marcos-Clans (die einflussreiche Diktatorfamilie Marcos. Anm. d. Red.) China als Teil der Delegation aufgetaucht sind, und dass Duterte bei einem Empfang Bongbong Marcos Marcos herzlich begrüßt hat und meinte, dass dieser vielleicht doch noch Vizepräsident würde, wenn sein Wahlprotest Erfolg hätte (Bongbong Marcos kandidierte 2016 als Unabhängiger als Vizepräsidentschaftskandidat und landete auf dem zweiten Platz. Darauf hin hatte er Wahlbeschwerde eingelegt. Anm. d. Red.)
Die USA unterhalten derzeit fünf Militärstützpunkte auf den Philippinen. Was bedeutet die Ankündigung für die US-amerikanische Asien-Pazifik-Strategie?
Bis jetzt sind die gemeinsamen Truppenübungen noch nicht offiziell beendet. Nach Angaben des Außenministers Perfecto Yasay werden viele Äußerungen des Präsidenten nicht mit dem Ministerium abgesprochen, was zu Unklarheiten für den zukünftigen Kurs führt. Zudem ist für eine Aufhebung der gemeinsamen Truppenübungen ein separates Übereinkommen notwendig. Das muss sich nicht auf das Übereinkommen zur rotierenden Stationierung von US-Soldaten auf den Philippinen auswirken.
Aber wenn Dutertes Ankündigung umgesetzt würde, wäre das ein herber Rückschlag für die USA und für Obamas strategische Hinwendung nach Asien. Dabei kann man ja nicht sagen, dass die USA offensichtliche Fehler gemacht haben, denn sie sind in den Philippinen beliebt. Der Politikwechsel geht allein auf Duterte und seinen inneren Zirkel zurück.
Grundsätzlich gibt es natürlich einige Gründe, die für eine gewisse Annäherung an China sprechen. Es gibt eine große chinesische Minderheit im Land, die gut integriert ist und die als Brücke fungieren kann. Die Auseinandersetzungen um die Hoheitsrechte im Südchinesischen Meer sind zwar einerseits von hoher Bedeutung für die Philippinen, deren Rechtsauffassung ja kürzlich vom internationalen Schiedsgericht in Den Haag spektakulär bestätigt wurde. Die wütende Reaktion Chinas darauf und die dortige verschärfte nationalistische Rhetorik haben aber auch die Gefahr einer bewaffneten Konfrontation erhöht. Da kann man sich schon fragen, ob man das riskieren will oder ob man hier zur Schachfigur zwischen den USA und China wird.
Die meisten Länder der Region würden sich lieber nicht zwischen den beiden entscheiden müssen. Aber es gibt dann schon die Versuchung, sich an den mutmaßlich Stärkeren anzulehnen. Die USA müssen sich nun überlegen, wie man darauf reagiert, nicht nur hinsichtlich der Philippinen, sondern auch in Bezug auf die anderen Länder der Region. Europa und Deutschland können die Rochaden im Südchinesischen Meer nicht gleichgültig sein, denn viel steht auf dem Spiel: Wird internationales Recht von Großmächten respektiert? Werden demokratische Werte und internationale Menschenrechtsstandards nun weiter geschwächt?
China und die Philippinen haben sich auf bilaterale Gespräche bezüglich des Inselstreits geeinigt - eine Forderung, an der China immer festgehalten hat. Was bedeutet das für die ASEAN, den Code of Conduct und den Inselstreit im Südchinesichen Meer?
Das ist ein Rückschlag in all diesen Bereichen. China hat alles daran gesetzt, eine gemeinsame Haltung von ASEAN zum Inselstreit zu verhindern. Die Philippinen haben bisher darauf gedrängt. Die chinesischen Verbündeten Laos und Kambodscha haben dies bisher verhindert. Aber die größeren ASEAN-Staaten haben sich auf die Seite der Philippinen gestellt. Wenn nun eines der neben Vietnam hauptbetroffenen ASEAN-Staaten ins chinesische Lager wechselt, dann steht ASEAN vor einem Scherbenhaufen und China hat sein Ziel erreicht, sich weder von Staatengruppen noch von internationalen Rechtsnormen irgendwelche Grenzen setzen zu lassen.
Duterte fährt nächste Woche nach Japan, dem anderen wichtigen Verbündeten der USA in Asien. Unter welchen Vorzeichen steht diese Reise?
Japan wird entsetzt sein. Unter der Regierung um Premierminister Shinzo Abe hat Japan eine deutlich robustere Außenpolitik verfolgt und auch die militärische Zusammenarbeit mit den Philippinen erweitert. Es hat ein starkes Eigeninteresse daran, dass die USA als Machtfaktor in der Region relevant bleiben und China Grenzen aufgezeigt werden.
Angesichts der historischen Last des Zweiten Weltkriegs und der nur begrenzten Versöhnung zwischen Japan und China bleibt dort ein Antagonismus lebendig, der in Europa keine Parallele hat und die Politik der Region prägt. Es wird interessant sein, zu sehen, wie Japan sich verhält.
Duterte wird vermutlich einiges zu hören bekommen. Die Frage ist, wie öffentlich Japan das tut. Japan ist traditionell nicht für laute Töne bekannt, aber der Brandbrief an die Briten nach dem Brexit zeigte, dass die Regierung Abe auch hier andere Saiten aufzieht.
Japan ist ebenfalls ein wichtiger Wirtschaftspartner für die Philippinen, und eine Warnung aus Japan wird daher ebenfalls Gewicht haben. Die Frage ist, ob sich Japan und die USA - und eventuell auch Australien - in dieser Frage abstimmen. Die EU und die Bundesregierung müssten sich an sich auch einbringen, sind aber zu sehr mit sich selbst beschäftigt - ein Preis, den wir für die permanente Krisenverschleppung in Europa bezahlen.
Will Duterte seine eigene Regierung unter Druck setzen beziehungsweise vor vollendete Tatsachen stellen, da es ja immer Widerstand gegen seinen leichtfertigen Umgang mit den USA gegeben hat?
Das präsidentielle System gibt dem Präsidenten viel Macht, mehr als dem Präsidenten der USA. Duterte kann also agieren, ohne das Militär und das Außenministerium vorher zu fragen. Ob das klug ist, steht auf einem anderen Blatt.