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Exil im Schatten der Stars

Kerstin Zilm2. Dezember 2012

Neben den berühmten Exilanten ließen sich im Paradies am Pazifik zahlreiche jüdische Auswanderer der gebildeten Mittelklasse nieder. Gemeinsam waren ihnen die Mühe der Integration - und die deutsche Sprache.

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Küste bei Pacific Palisades, USA (Foto: ullstein bild - CARO)
Bild: ullstein bild - CARO

"Der Onkel Rudy war ein toller, beeindruckender Typ!" Michael Meyer, kalifornischer Geschichtsprofessor im Ruhestand, erinnert sich mit glänzenden Augen daran, wie er als Teenager mit dem jüdischen Anwalt aus Magdeburg Gärten der Stars pflegte.

Meyer hat, zusammen mit Eltern und Geschwistern, Krieg und Naziregime in einem Dorf in der Nähe Magdeburgs überlebt. Danach waren er und ein Bruder von den Eltern in die USA geschickt worden. Die beiden sollten erkunden, wie und ob es sich in Kalifornien leben lässt. Die Begegnung mit Rudy Bruch ist Meyer bis heute unauslöschlich im Gedächtnis geblieben.

Hühner und Heine

Rudy Bruch, der leidenschaftliche Zionist. Eigentlich wollte er nach der Flucht vor dem Naziregime beim Aufbau Palästinas helfen und studierte deshalb in Schweden Landwirtschaft. Auf Drängen seiner Frau Eva änderte er seine Lebensplanung und wanderte mit ihr aus in die USA. In Los Angeles kauften die beiden ein Haus mit Hühnerfarm und Obstgarten. Aus dem deutsch-jüdischen Anwalt Rudy Bruch wurde der amerikanische Gärtner Rudy Brook. Der deutschen Kultur blieb er dennoch eng verbunden. In seinem Haus gab es eine ganze Bibliothek mit Büchern von Heine, Goethe, Schiller, Kant und anderen Klassikern.

Der Dirigent Bruno Walter mit einer silbernen Schallplatte (Foto: dpa)
Der Dirigent Bruno Walter lebte seit 1933 in den USABild: picture-alliance/dpa

Singende Gärtner

Meyer erinnert sich, wie sein "Onkel Rudy" mit einem Kollegen, der ebenfalls ein emigrierter Jude aus Europa war, sang: Im Gärtner-Lastwagen, auf dem Rückweg von der Arbeit, hätten sie lauthals und mit herrlichen Stimmen deutsche und französische Opernarien geschmettert. Und auch sonst war der Onkel offenkundig eine imponierende Figur: Er kannte zum Beispiel die lateinischen Namen aller Pflanzen, was seine Kunden sehr beeindruckte.

Auch das Leben des jungen Michael Meyer wurde von den vielfältigen Kontakten und Aktivitäten der Emigrantenszene bereichert. In und um Los Angeles hatte sich ja mit den Flüchtlingen – unfreiwillig – eine kulturelle Elite versammelt. Die Schriftsteller Lion Feuchtwanger, Thomas und Heinrich Mann, Bertolt Brecht, Alfred Döblin, der Komponist Arnold Schönberg oder der Dirigent Bruno Walter. Mit Onkel Rudy und dessen Frau ging Michael zu Konzerten und Lesungen dieser deutschen Künstler. Hier traf man dann auf Menschen wie Rudy und all die anderen, weniger prominente Immigranten aus dem deutschsprachigen Raum. Und in diesen Erlebnissen und Begegnungen liegen auch die Wurzeln für Meyers spätere berufliche, wissenschaftliche Tätigkeit.

Künstler und ihr Publikum

Angeregt durch seine Erlebnisse als junger Mann widmete er sich später der Exilforschung. Am "Cal State Northridge College" beschäftigte er sich mit der Geschichte von in die Flucht getriebenen Anwälten, Ärzten, Professoren, Psychotherapeuten und Arbeitern. Und plötzlich wurde Meyer klar, wie wichtig diese Emigranten für die Stars unter den Einwanderern waren: als Publikum nämlich, das die Künstler auch im Exil dringend brauchten. "Mir fiel auf, dass in de Nachbarschaft dieser bekannten Leute eine Art kultureller Mittelstand existierte. Deutsch-jüdisch und nichtjüdisch, aber meist jüdisch. Die waren sehr gebildet, interessierten sich sehr für gebildete Dinge. Wenn zum Beispiel ein Thomas Mann vorliest, dann braucht er Leute, die ihn auch auf Deutsch verstehen können. Das war ein toller Kontakt!"

Michael Meyer mit Marta Feuchtwanger, Ehefrau des Exil-Schriftstellers Lion Feuchtwanger (Foto: Privatbesitz Michael Meyer)
Nachbarn im Exil: Michael Meyer (rechts) und Marta FeuchtwangerBild: Michael Meyer

Gärtnern für Billy Wilder

Niemals sei sein Onkel Rudy verbittert darüber gewesen, dass seine deutsche Juristenausbildung in Kalifornien nicht anerkannt wurde, erinnert sich Michael Meyer. Mit Elan und Durchhaltevermögen habe er sich im kalifornischen Exil vom Gärtner zum Landschaftsarchitekten hoch gearbeitet und sei unter anderen für Billy Wilder, Fritz Lang, die Gershwin-Brüder und Dirigent Bruno Walter tätig gewesen. Seine Frau ließ sich zur Massagetherapeutin ausbilden. Der Aufstieg der beiden gelang. Rudy wurde schließlich sogar Immobilienmakler. Das Ehepaar verkaufte seine Hühnerfarm mit Obstgarten im Arbeiterviertel Van Nuys und baute sich ein Haus in den mediterran anmutenden Hügeln von Pacific Palisades - am Paseo Miramar, nur wenige Meter entfernt von der Villa der Feuchtwangers und mit herrlichem Ausblick auf den Pazifik.

Streitbare Marta

Marta kümmerte sich im Anwesen der Feuchtwangers mit Hingabe um den Garten, gestaltete eine romantische Landschaft zwischen Eukalyptus- und Pfirsichbäumen. Die gemeinsame Leidenschaft für den Garten war ein wichtiger Anknüpfungspunkt für alle Gespräche. Als Lion Feuchtwanger im Dezember 1958 starb, eroberte die energische Marta das kulturelle Leben von Los Angeles. Und keineswegs nur das der Immigranten. Man traf die Schriftsteller-Witwe auf vielen Veranstaltungen in der Stadt und bei Kammerkonzerten in Privathäusern.

Auch über Politik hat sie bis in hohe Alter gestritten. Michael Meyer erinnert sich, wie Marta Feuchtwanger in den 1970er und 80er Jahren bei seinen Vorträgen lautstarke Diskussionen auslöste, wenn es um die Nazizeit ging, die Bewertung der Rolle von Kommunisten, die Machtübername Hitlers. Sie wollte davon nichts wissen. Meyer: "Sie schrie immer No! No! No! - Es war ein dolles Streitgespräch. Sie gab nicht auf. Aber wir kannten uns gut und sie kam immer wieder."

Wie kommunikativ Marta Feuchtwanger war zeigte sich, als der Historiker 1966 heiratete.Seine Eltern reisten aus Deutschland an und wurden bei Eva Brooks und ihrem Mann Rudy in den Pacific Palisades einquartiert. Schnell lernten sie auch die prominente Nachbarin kennen und schon bald begleitete Vater Karl Meyer Marta auf ihrem täglichen Ausflug ans Meer. Sohn Michael erinnert sich: "Mit der Marta zusammen marschierte er runter von diesem Berg bis unten zum Pazifik, sie gingen schwimmen und marschierten dann wieder nach oben. Auch sehr deutsch - dieses wandern und physisch tätig zu sein!"

Michael Meyer mit Geige(Foto: Privatbesitz Michael Meyer)
Historiker und Hobbymusiker: Michael Meyer heuteBild: Michael Meyer

Michael Meyer lebt bis heute in seinem schönen Haus in Sichtweite des ehemaligen Feuchtwanger-Domizils, das jetzt die Künstlervilla "Aurora" ist. Die Vergangenheit ist in dem emeritierten Professor lebendig geblieben. Und auch ein Stück deutsche Kultur: Meyer spielt passioniert Geige und kommt mit Familie oder Freunden zur Kammermusik zusammen. Auch geografisch hält er die Verbindung. In Berlin-Charlottenburg hat das Ehepaar Meyer eine Wohnung.