Kaliforniens erster Super Tuesday
3. März 2020Im Mission District von San Francisco, einem Stadtteil südlich der Innenstadt, scheint die Sonne, der Wind fegt. In die Hauptstraßen des Viertels haben sich Hipster-Lokale, Yoga-Studios und gehobene Modegeschäfte eingenistet, doch direkt um die Ecke sind die Bürgersteige gesäumt von Obdachlosen und die Wurzeln der vielen lateinamerikanischen Bewohner unübersehbar. Hier sitzen Liliana und Carlos in einer Seitenstraße an einem Klapptisch und verkaufen Empanadas für drei Dollar aus der Tupperdose. Die beiden kommen ursprünglich aus Mexiko. "Wir brauchen eine Veränderung", sagt Liliana, aber da sie keine US-Staatsbürgerschaft hat, darf sie nicht wählen - und sie kenne sich mit Politik und den Kandidaten auch gar nicht aus. Ihre Tochter dürfte wählen, aber "über Politik sprechen wir nie, wenn wir zusammen sind, dann verbringen wir lieber die Zeit mit etwas Schönem". Ihr Freund Carlos wählt auch nicht: "Das bringt doch sowieso nichts."
Kaliforniens neuer Einfluss
Traditionell ist das Interesse an den Vorwahlen an der Westküste eher niedrig, da sich in der Vergangenheit Kalifornien erst im Juni in die Abstimmung einschaltete. Dann war oft die Entscheidung schon im Rest des Landes gefallen, denn je früher ein Staat Vorwahlen abhält, desto mehr können die Bewohner das Endergebnis beeinflussen. Dieses Mal ist jedoch alles anders. Kaliforniens Politiker entschieden sich für die Abstimmung an diesem Dienstag, dem sogenannten Super Tuesday, zusammen mit 13 anderen Staaten (Texas, North Carolina, Virginia, Massachusetts, Minnesota, Colorado, Tennessee, Alabama, Oklahoma, Arkansas, Utah, Maine und Vermont), den Demokraten im Ausland und Amerikanisch-Samoa.
Mehr als ein Drittel der gesamten Delegiertenstimmen werden am Super Tuesday vergeben. Die einzelnen Bundesstaaten teilen den Bewerbern abhängig vom jeweiligen Wahlergebnis bei den Vorwahlen Delegierte zu, die dann im Juli auf dem Parteitag der Demokraten den Präsidentschaftskandidaten küren. In Kalifornien sind mit 415 die meisten Delegiertenstimmen zu holen.
Die Bewohner müssen sich noch an die neue Rolle gewöhnen, meint auch JoAnne Williams. Sie kommt gerade aus einem der Yoga-Studios im Mission District. Sie lebte lange in Harlem in New York und wundert sich über die Menschen in San Francisco und wie wenig Politik im Alltag eine Rolle spielt: "Die Kultur hier ist total anders, die Leute leben in ihrer eigenen Welt. Ich habe gerade diese Woche mit mir gerungen, ob ich für mein Team bei der Arbeit einen Kalendereintrag mache, damit auch alle daran denken, dass Vorwahlen sind." Williams arbeitet in der Finanzabteilung einer der großen Tech-Firmen San Franciscos und plant für Elizabeth Warren abzustimmen, unter anderem da die Senatorin von Massachusetts sich in der Vergangenheit für stärkere Regulierung von Banken stark gemacht hat, um Verbraucher zu schützen.
Sanders bleibt der Favorit
Warren liegt derzeit auf dem dritten Platz. Mit nur acht Delegiertenstimmen aus den vorherigen Wahlen ist sie weit abgeschlagen hinter Joe Biden und dem Favoriten Bernie Sanders. Der Senator von Vermont aus dem Linksflügel der Demokratischen Partei hat in Kalifornien die größten Chancen auf Delegiertenstimmen. Er könnte seinen Vorsprung gegen Joe Biden, den ehemaligen Vize-Präsidenten, ausbauen. Michael Bloomberg, Milliardär und ehemaliger Bürgermeister von New York, steigt erst jetzt offiziell ins Rennen mit ein und könnte Sanders und Biden Konkurrenz machen. Tulsi Gabbard, Abgeordnete aus Hawaii, hat keine großen Chancen auf Delegiertenstimmen, denn in Kalifornien müssen Kandidaten die 15 Prozent-Hürde überwinden, um Stimmen zugeteilt zu bekommen.
Kalifornien ist als blauer Bundesstaat, also den Demokraten zugeneigt, bekannt. Doch das liegt hauptsächlich an den vielen liberalen Bewohnern in den Großstädten. In Orange County und dem Central Valley wählt die Arbeiter- und untere Mittelschicht eher konservativ. In den Vorwahlen der Demokraten wird sich das wohl in der Anzahl der Stimmen für Bloomberg widerspiegeln, denn dieser ist bekannt dafür, dass er auch schon mal Republikaner unterstützt.
Wer kann Trump schlagen?
Die Stimme von Harrison Tucker wird er in jedem Fall bekommen. Tucker arbeitet in San Francisco für eine nachhaltige Baugesellschaft und kommt ursprünglich aus North Carolina. Seine Familie und Freunde könnte man am ehesten davon abhalten für Trump zu stimmen, wenn ein konservativer Kandidat wie Bloomberg für die Demokraten antreten würde. "Da würde niemand Sanders oder Warren wählen. Diese Kandidaten sind Anti-Kapitalisten und das macht den Leuten in North Carolina Angst. Die fürchten sich davor, dass die Demokraten die Wirtschaft kaputt machen könnten." Tucker wird also wie viele andere strategisch abstimmen und nicht unbedingt seine Stimme für den Kandidaten abgeben, der ihm thematisch am Besten gefällt.
Eine andere Strategie fährt Megan, eine junge weiße Frau, die nur ihren Vornamen verraten will. Sie verteilt in der Nachbarschaft Flyer für einen lokalen Kandidaten, da am Dienstag auch über zahlreiche lokale Ämter abgestimmt wird. Megan wohnt zwar jetzt in San Francisco, ist aber noch in ihrer alten Heimat Orange County als Wählerin registriert. "Da hat meine Stimme viel mehr Gewicht." Und ihre Stimme geht wie beim letzten Mal auch wieder an Bernie Sanders. Das Thema Umwelt sei ihr am Wichtigsten.
Wahlen sind nicht alles
Als Wähler registriert ist er, aber von Politik hat Maurice keine Ahnung, sagt er. Er sitzt im Cafe Manny's, das im Mission District ein beliebter Treffpunkt ist. Hier kann man Kaffee trinken, zu Mittag essen, aber es finden auch politische Events statt und die Debatten der Demokraten werden im Fernsehen gezeigt. Maurice, ein 25-jähriger Afro-Amerikaner, möchte ebenfalls unerkannt bleiben. Über Politik sprechen die Amerikaner nicht gerne mit Fremden. Aber in Maurices' Fall auch nicht mit Freunden. "Ich bekomme ein bisschen was über Social Media mit, aber über die Wahlen sprechen wir nicht. Das interessiert keinen und kümmert die Leute in meinem Alter einen Scheißdreck." Die hätten andere Probleme. Das Geld sei für viele knapp, einige sind drogenabhängig oder verkaufen Drogen, weil sie keine anderen Jobs fänden. Allein in den letzten sechs Monaten seien neun seiner Freunde ums Leben gekommen: erschossen, Selbstmord, Überdosis.
Doch Maurice will sich mehr engagieren. Der Vortrag über das Wahlsystem in Kalifornien, den er sich im Manny's gerade angehört hat, sei sehr interessant gewesen. Er wolle auf jeden Fall wählen und wünscht sich einen Kandidaten, der sich gegen Korruption und für soziale Fairness einsetzt. Er hat sich gleich auch in die Email-Liste von Indivisible, eine landesweite Gruppe, die sich gegen die Wiederwahl von Trump engagiert, eingetragen.
Bis Mittwoch, 5 Uhr morgens deutscher Zeit, sind die Wahllokale in Kalifornien noch geöffnet. Erste Ergebnisse werden dann erwartet, allerdings dürfen die Kalifornier noch am Dienstag ihren Wahlzettel per Post abschicken, so dass das offizielle Endergebnis etwas länger auf sich warten lassen wird. Für eine Nominierung zum Präsidentschaftskandidaten werden 1991 der insgesamt 3979 Delegiertenstimmen benötigt. Am sogenannten Super Tuesday werden auf einen Schlag 1357 verteilt. Folglich dürften weitere Kandidaten nach der Bekanntgabe der Ergebnisse aus dem Rennen aussteigen, so wie es Pete Buttigieg und Amy Klobuchar schon kurz vor dem Super Tuesday getan haben.