Kabuler Kulturkampf um Mädchengesang
17. März 2021Das afghanische Bildungsministerium hat ein vergangene Woche in Kabul erlassenes Verbot von öffentlichen Gesangsauftritten von Mädchen, die älter als zwölf Jahre sind, für nichtig erklärt. Die Kabuler Unterbehörde für das Erziehungswesen habe diese Anordnung ohne vorherige Abstimmung mit dem Ministerium ausgegeben, hieß es.
Nach Kritik im In- und Ausland und einer afghanischen Kampagne in den sozialen Medien gab das Ministerium am vergangenen Samstag eine Erklärung ab, der zufolge Mädchen auch in Zukunft die gleichen Rechte wie Jungen beibehalten sollen. "Die Leitung des Bildungsministeriums ist dem Recht auf Bildung verpflichtet und gewährt die freie Wahl von Mädchen und Jungen, an kulturellen, künstlerischen und sportlichen Aktivitäten teilzunehmen", heißt es in der Erklärung. Und weiter: "Die von der Kabuler Erziehungsbehörde herausgegebene Anweisung stellt nicht die offizielle Position und Politik des Bildungsministeriums dar."
"Schockierende Haltung"
Zuvor hatte das Ministerium allerdings laut Thomson Reuters Foundation die Anweisung der Kabuler Unterbehörde verteidigt: Eltern hätten darum gebeten, dass ihre Töchter von solchen öffentlichen Darbietungen ausgeschlossen werden, auch hätten sich Schülerinnen beklagt, dass sie durch die Teilnahme an solchen Veranstaltungen vom Lernen abgehalten würden.
Samira Hamidi, Südasien-Expertin bei der NGO Amnesty International, verweist darauf, dass das afghanische Bildungsministerium mit Rangina Hamidi von einer Frau geleitet wird. Sie findet es "schockierend", dass eine Frau, die ihre Position aufgrund ihres Engagements für Frauenthemen bekleidet, sich hinter eine solche Entscheidung stellen konnte.
Zwischen Moderne und Fundamentalismus
Noch bevor das Bildungsministerium reagieren konnte, hatten junge Aktivistinnen bereits eine Kampagne in den sozialen Medien gestartet. In Videoclips sangen sie als bewusste Reaktion auf das Verbot Hymnen und patriotische Lieder. Frauenrechtsaktivistin Vida Saghari erinnert daran, dass das Bildungsministerium schon Ende 2020 zwei andere, den Ansichten der Taliban durchaus ähnliche Erlasse herausgegeben habe. Demnach sollten Religionsschulen (Madrassas) den Vorzug vor staatlichen Schulen erhalten, welche ein modernes Curriculum haben, und junge Mädchen von der ersten bis zur dritten Klasse sollten ausschließlich in Moscheen Unterricht erhalten.
Später nahm das Ministerium zwar auch diese Erlasse zurück und erläuterte, dass es nur "Vorschläge für entlegene Regionen" gemacht habe, in denen es keine modernen Schulen gebe. Vida Saghari ist mit der neuerlichen Kehrtwendung der Regierung nicht zufrieden, sie sieht frauenfeindliche Kräfte weiterhin am Werk, gegen die es sich zu wehren gelte: "Der Hauptgrund für unseren Protest ist, dass Lieder und Hymnen die Stimme der Frauen sind. Die Stimme von Frauen verstummen zu lassen, bedeutet, Frauen aus der Öffentlichkeit zu verbannen. Aber die Stimme von Menschen verstummen zu lassen, bedeutet letztendlich, Menschen zu verbannen. Jene Anweisung (der Kabuler Erziehungsbehörde) entspricht genau den Anordnungen, welche die Taliban während ihrer Herrschaft erlassen haben", sagt Saghari im Gespräch mit der DW.
Taliban-Positionen auf der Agenda
Die Taliban behaupten zwar, ihre Positionen überdacht und verändert zu haben, gerade in Bezug auf Frauenrechte. Doch Samira Hadidi glaubt davon nichts und sagt, dass "die Position der Taliban sich nicht verändert hat, weder in Bezug auf Frauen, noch in Hinblick auf Meinungsfreiheit, die Medien und Bildung für Mädchen." Hamidi zufolge "haben sie noch immer eine strenge Haltung, indem sie Frauen Bildung gewähren wollen, aber nur mit Bezug zum Islam und der Scharia. Sie haben jedoch nie erläutert, was sie darunter verstehen."
"Die einfachen Menschen sagen schon, dass der zurückgenommene Gesangsverbot-Erlass grünes Licht für die Taliban bedeutet", sagt Frauen- und Menschenrechtsaktivistin Robina Schahabi der DW. Derzeit werde die Beteiligung der Taliban am künftigen Staatsaufbau Afghanistans diskutiert, ebenso wie ein sogenannter "Rat der islamischen Rechtsprechung", mit einer möglichen parallelen Rolle neben dem Parlament. All dies werde in verschiedenen innerafghanischen Gesprächsrunden und Verhandlungen diskutiert, die für die nahe Zukunft geplant sind. "Meine persönliche Sicht und die meiner Freunde, mit denen ich diskutiere, ist, dass das alles in Anpassung an die Taliban und ihre Ansichten passiert. Die Menschen glauben, dass die Taliban zurückkehren werden, und nun versuchen sie, islamische Gesetze noch islamischer zu gestalten. Genau das ist auch im Iran von 1979 an passiert. Ich denke, dass wir nun ebenfalls diesen Weg eingeschlagen haben."