Junge Iraner: Kein Interesse an Parlamentswahl
19. Februar 2020Viele der 58 Millionen wahlberechtigten Iraner werden wohl zu Hause bleiben, wenn am Freitag ein neues Parlament gewählt wird. In der Hauptstadt will nicht einmal jeder Vierte wählen gehen, hat eine Umfrage ergeben, die Anfang Februar vom Institut für Sozialforschung der Universität Teheran durchgeführt wurde. 2016 gingen mit 50 Prozent der Wahlberechtigten in Teheran doppelt so viele an die Urnen. Im ganzen Land lag die Wahlbeteiligung bei etwa 62 Prozent.
Auch Mohammad Sadeq Dschawadi Hesar rechnet mit einer niedrigen Wahlbeteiligung. Hesar ist Mitglied der reformorientierten Partei Etemade Meli (Nationales Vertrauen). Im Telefongespräch mit der Deutschen Welle führte Hesar aus: "Der Motor bei Wahlen im Iran waren immer die jüngeren Leute, Studenten und Akademiker. Die sind aber jetzt enttäuscht von leeren Versprechungen, sie sind frustriert. Vor allem, weil sie keine vernünftige Antwort auf die Krisen der letzten zwei Jahre gesehen haben."
Frustriert und enttäuscht sind auch die Frauenaktivistinnen im Iran. "Wer wählen geht, bestätigt die Verbrechen des Regimes", schreiben zwölf politische Gefangene in einem offenen Brief an alle Iraner aus der Frauenabteilung des berüchtigten Evin-Gefängnisses in Teheran. Angesicht des brutalen Umgangs mit den Protestierenden in den letzten zwei Jahren sprechen sie sich für einen Wahlboykott aus.
Zahnloses Parlament
Das iranische Parlament hat zwar theoretisch Gesetzgebungs- und Haushaltsbefugnisse, kann sich aber über den Willen des religiösen Führers nicht hinwegsetzen. Wahlbeteiligung und das Abschneiden von reformorientierten Kräften werden dennoch als Signal für die Richtung der iranischen Gesellschaft gesehen.
Bei den Wahlen 2016 hatten die Reformkräfte überraschend gut abgeschnitten. Umso stärker ist nun die Enttäuschung angesichts der verschärften Wirtschaftskrise, die sich zu einer umfassenden nationalen Krise ausgeweitet hat. Verzweifelte Menschen, die auf den Straßen protestierten, sahen sich mit beispielloser Brutalität der Ordnungskräfte konfrontiert. So im vergangenen November, nachdem ein vom religiösen Führer ernannter Rat die staatlichen Energiesubventionen über Nacht gekürzt hatte, ohne das Parlament auch nur zu informieren.
Tote Demonstranten und Flugkatastrophe
Zwei Tage später, als Demonstranten von paramilitärischen Kräften gezielt erschossen wurden, wurde das Land fast vollständig vom Internet abgeschnitten. Nachrichten und Fotos vom brutalen Umgang der Regierung mit dem eigenen Volk sollten nicht verbreitet werden. Der Internetboykott wurde von dem jungen Kommunikationsminister der Regierung Rohani, Asari-Dschahromi, umgesetzt. Für viele Wähler der Beweis: Wenn es um die Unterdrückung kritischer Stimmen geht, gibt es kaum Unterschiede zwischen Hardlinern, Gemäßigten und Reformern. Dem Parlament blieb auch hier nur eine Rolle als Zuschauer.
Genau so war es nach dem versehentlichen Abschuss eines ukrainischen Passagierflugzeugs kurz nach dem Start in Teheran am 8. Januar. Alle 176 Insassen des Flugzeugs kamen ums Leben, darunter 146 Iraner. Im Parlament wagt keiner, die Verantwortlichen aus den Reihen der Revolutionsgarden zu fragen, wie es zu dieser Tragödie kommen konnte.
Enttäuschung kommt Konservativen zugute
"Die Menschen im Iran haben das Gefühl, dass die gewählten Institutionen nichts zu melden haben, weder das Parlament noch der Präsident", hat der Politologe Sadegh Zibakalam aus Teheran beobachtet. "Alle wichtigen Entscheidungen wurden über ihren Kopf hinweg getroffen. Viele Wähler fragen sich nun, warum sie überhaupt wählen sollen? Diese enttäuschten Wähler sind genau jene, die sich von den Versprechen der Reformer mobilisieren ließen", meint Zibakalam. "Aber es gibt auch einen Teil der Gesellschaft, der dem politischen System treu ist und immer wählen geht, vorzugsweise die konservativen Kandidaten."
Wie üblich hat der Wächterrat seine Rolle zur Vorauswahl regimetreuer Kandidaten gespielt: Knapp 9000 Kandidaten wurden von der Wahl ausgeschlossen, darunter 92 amtierende Abgeordnete, meistens namhafte reformorientierte Politiker. Zugelassen sind nun 7150 Kandidaten - viele von ihnen jung und unerfahren, die eines gemein haben: ihre absolute Loyalität gegenüber Ajatollah Chamenei. Sie bewerben sich um die 290 Sitze im iranischen Parlament. Die Niederlage der Reformer ist vorprogrammiert.