Junge Europäer rücken nach rechts
16. Dezember 2015Der Front National in Frankreich und die Freiheitliche Partei in Österreich (FPÖ) sind nur zwei Beispiele rechtsnationaler Parteien in der EU, die sich im Moment im Aufwind befinden. Und sie sind besonders unter jungen Leuten beliebt. Auch wenn der Front National in der zweiten Wahlrunde keine der Regionen gewinnen konnte, haben in der ersten Runde 35 Prozent der 18- bis 34-Jährigen die Partei von Marine Le Pen gewählt. Und bei der Landtagswahl in Wien im Oktober bekam die FPÖ 24 Prozent der Stimmen der unter 30-Jährigen.
Auch in den Niederlanden, Dänemark und Polen sind rechte Parteien bei der Jugend stark im Aufwind. Einer der Gründe ist die Sehnsucht nach nationaler Identität innerhalb der Europäischen Union. Die Rechtsparteien "haben das Thema Identität großgemacht. Und junge Leute suchen immer nach Identität", sagt der 32-jährige grüne Europaabgeordnete Jan-Philipp Albrecht in der Tageszeitung "Die Welt".
Wahlkampf mit Hip-Hop-Video
In Österreich bekommt die FPÖ nur von einer ganz bestimmten Gruppe unter den Jugendlichen großen Zulauf: Es sind vor allem junge Männer, viele mit mangelhafter Bildung. Um sie anzusprechen, gibt sich Parteichef Heinz-Christian Strache cool und unkompliziert.
Er trägt keine Anzüge, sondern Jeans und Sonnenbrille. Für die Wahl in Wien wurde sogar extra ein Musikvideo mit dem Rapper MC Blue produziert. Darin skandieren junge Leute "HC, HC", Straches Spitznamen, unterlegt von einer aufgepeppten Version von Strauss' Walzer "An der schönen blauen Donau".
Das Video mag merkwürdig bis absurd wirken. Aber nach Meinung von Gertraud Diendorfer, der Leiterin des Demokratiezentrums Wien, passt es genau zum Erfolgsrezept der FPÖ bei jungen Leuten. "Die FPÖ führt einen aggressiven Wahlkampf. Das Parteiprogramm spielt dagegen keine so große Rolle", so Diendorfer. "Sie haben sehr einfache, klare Botschaften."
Dass sich vor allem Männer von der FPÖ angezogen fühlen, erklärt sie damit, dass auch die Partei kaum Politikerinnen aufzubieten hat.
Wir und sie
Eine zentrale Botschaft ist der Gegensatz zwischen "Wir" und "Sie". Diese Botschaft kommt vor allem in Ländern an, die eine intensive Flüchtlingsdebatte führen. Dazu gehört auch Österreich, durch das tausende von Flüchtlingen über die Balkanroute Richtung Deutschland ziehen - und die manchmal auch in Österreich bleiben.
Viele schlecht ausgebildete junge Männer machen sich Sorgen, dass Flüchtlinge ihnen die einfachen Jobs wegnehmen. Deshalb, sagt Diendorfer, wenden sie sich der FPÖ zu. Und in der Partei weiß man genau, wie man sie fängt.
"Die Parteileute gehen in die Diskos, holen dort sozusagen ihr Wählerpublikum ab." Sie verbreiteten "Schwarz-Weiß-Parolen": "Sie schaffen eine Wir-Gruppe und werten diese Wir-Gruppen auf, und diejenigen, die nicht dazugehören, werten sie ab." Ihre Feindbilder seien vor allem "Ausländer" und angebliche "Schmarotzer".
Auch andere Politiker wenden diese Taktik erfolgreich an. Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hat einen Zaun gegen Flüchtlinge errichten lassen und die Bürger in einem Referendum gefragt, ob Flüchtlinge ausgewiesen, eingesperrt oder zu Zwangsarbeit verurteilt werden sollten, wenn sie illegal einreisen.
Junge Deutsche sind weniger empfänglich
Auch in Deutschland ist die Stimmung gegenüber Flüchtlingen feindlicher geworden, seit immer mehr von ihnen ins Land kommen. Brennende Flüchtlingsunterkünfte geben dafür ein trauriges Zeugnis ab. Doch die rechtsextreme Deutsche Nationaldemokratische Partei, NPD, hat noch nicht so großen Zulauf wie ähnlich ausgerichtete Parteien im Ausland. Zurzeit ist die NPD nur in einem der 16 Landtage vertreten, nämlich in Mecklenburg-Vorpommern, wo sie bei der Landtagswahl 2011 sechs Prozent der Stimmen bekam.
Der Politikwissenschaftler und Extremismus-Forscher Rudolf van Hüllen glaubt, dass junge Leute in Deutschland deshalb kaum zur NPD neigen, weil der Staat ihnen erfolgreich vor Augen führe, welche Folgen die jüngste Rechtsregierung in Deutschland im Dritten Reich hatte. Der Schlüssel der Immunisierung, glaubt er, liege in einer frühen Prävention. "Das macht die Jugendlichen und jungen Erwachsenen weniger anfällig für sämtliche Formen des Extremismus: Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus. Es wächst eine starke und selbstbewusste Generation heran", so Van Hüllen in der Tageszeitung "Die Welt".
Die NPD versucht inzwischen, junge Leute für sich zu gewinnen, indem sie ihr Skinhead-und-Neonazi-Image abstreift.
Gefahren für die Demokratie?
Gertraud Diendorfer vom Demokratiezentrum Wien meint, die Gesellschaft müsse eingreifen, wo nationalistische Parteien mehr und mehr Erfolg unter der Jugend haben. Man solle das Feld nicht Parteien wie der FPÖ in Österreich und ihren Gesinnungsgenossen in anderen Ländern überlassen.
Stattdessen sollten sich andere Politiker an die Jugendlichen und jungen Erwachsenen wenden, die glauben, die etablierten Parteien hätten ihnen nichts zu bieten. Wenn der Graben zwischen unzufriedenen jungen Wählern und den demokratischen Parteien unüberbrückbar werde, glaubt Diendorfer, könne das für Europa ernste Folgen haben.
"Man muss dieses Phänomen in Europa sehr ernstnehmen. Je mehr Fremdenfeindlichkeit und Vorurteile es gibt, je mehr Distanz zur Politik es gibt, desto größer sind die Gefahren für die Demokratie und eine offene, liberale Gesellschaft."