Juncker verpasst Oettinger Maulkorb
5. November 2016"Die Kommissare sollten sich bei öffentlichen Äußerungen darauf beschränken, Probleme anzusprechen, die etwas mit ihrem Portfolio zu tun haben, statt gewagten Eingebungen zu folgen", sagte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker der belgischen Tageszeitung "Le Soir". Das habe er gegenüber dem für Digitalwirtschaft zuständigen Kommissar Günther Oettinger klar gestellt.
Weiterhin erklärte Juncker, Oettinger habe "den Eindruck erweckt, dass er etwas gegen Chinesen, Homosexuelle und andere hat. Ein Kommissar kann so etwas nicht von sich geben. "Ich habe ihm gesagt, dass er sich entschuldigen muss."
Auslöser der "Schlitzaugen"-Affäre
Oettinger hatte in einer Rede vor Unternehmern in Hamburg unter anderem Chinesen als "Schlitzaugen" und "Schlitzohren" bezeichnet, von einer "Pflicht-Homoehe" gesprochen und missverständliche Äußerungen zur Frauenquote gemacht. Daraufhin sah er sich tagelang mit scharfer Kritik und Rücktrittsforderungen konfrontiert. In der Vergangenheit hatte sich der frühere baden-württembergische Ministerpräsident gerne zu weltpolitischen Themen außerhalb seines Ressorts geäußert, darunter zur Flüchtlingskrise, dem "Brexit" oder der Russland- und Türkei-Politik.
Die Affäre schlug Wellen bis nach Peking. So erklärte eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums am Mittwoch, die Bemerkungen des Deutschen verdeutlichten, dass manche westliche Politiker "ein irritierendes Gefühl der Überlegenheit" hätten. Zu einer öffentlichen Entschuldigung Oettingers in Richtung Pekingkam es dennoch erst, nachdem Juncker ihn zu einem Krisengespräch einbestellt hatte.
Karriere-Folgen für Oettinger?
Die Frage, ob die "Schlitzaugen"-Affäre mittelfristig Konsequenzen für Oettingers Karriere in Brüssel haben könnte, ließ Juncker in dem Interview mit "Le Soir" unbeantwortet. Der Kommissionspräsident hatte dem Deutschen nämlich eine Beförderung in Aussicht gestellt, bevor die umstrittene Rede bekannt wurde. So könnte Oettinger künftig für die Ressorts Haushalt und Personal zuständig sein. In diesem Zusammenhang war auch die Rede davon, der 63-Jährige könne einer der EU-Vizepräsidenten werden.
nin/wl (dpa, rtr)