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Juncker: "Nordeuropäer sollten bescheidener auftreten"

Jannis Papadimitriou, Straßburg 16. April 2014

In Deutschland oder Frankreich hätte ein Reformprogramm wie in Griechenland zu Aufständen geführt, meint Jean-Claude Juncker, ehemaliger Vorsitzender der Euro-Gruppe, im DW-Interview.

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Jean-Claude Juncker, Spitzenkandidat der Europäischen Volkspartei für die Präsidentschaft der EU-Kommission (Foto: dpa)
Bild: picture-alliance/dpa

DW: Worum ging es in Ihrer Rede vor der Europäischen Volkspartei, die Sie gerade gehalten haben?

Jean-Claude Juncker: Ich habe in groben Zügen dargestellt, wie ich denke, dass wir unsere Botschaft an die Menschen in Europa weiterreichen sollen. Ich habe dafür plädiert, dass man Haushaltsdisziplin, wachstumsorientierte Politik, beschäftigungsfördernde Politik als zwei Seiten einer Medaille empfinden muss. Ich habe dafür geworben, dass wir nicht abrücken von der Politik, die darin besteht, dass man Haushaltsdisziplin und Wachstum als zwei Seiten einer Medaille begreift. Ich habe mich dafür eingesetzt, die Gräben zwischen Nord- und Südeuropa zu schließen, weil ich es nicht ertrage, dass wir die Länder Europas in zwei Kategorien einteilen: die Tugendhaften im Norden, die kleinen Sünderlein im Süden. Ich habe darauf aufmerksam gemacht, dass ich schon so lange dabei bin, dass ich diese einfachen Bilder nicht mag. Wir hatten genug Trennungslinien in Europa - wir brauchen keine neuen. Ich möchte Gräben zuschütten, nicht neue Gräben aufreißen.

Sie haben immer zu Griechenland gestanden, auch in den schwierigen Jahren. Deshalb sind Sie dort auch beliebt. Dennoch gibt es Leute, die wie beispielsweise Daniel Cohn-Bendit von den Grünen jetzt fragen: Was hat Herr Juncker als Präsident der Euro-Gruppe für den sozialen Zusammenhalt in Europa getan?

Wir haben unter meinem Vorsitz erst einmal dafür gesorgt, dass die Eurozone zusammenbleibt - und das war nicht einfach. Ich habe mich immer dagegen gewehrt, dass man Griechenland aus der Eurozone herausdrückt. Ich habe immer versucht, mich in Richtung Griechenland freundlich und respektvoll zu äußern. Andere haben dies nicht getan. Ich habe mich gegen vieles gewehrt, was Griechenland eigentlich viel intensiver und negativer getroffen hätte - ohne das aber nach außen zu tragen. Herr Cohn-Bendit war nie in der Euro-Gruppe, ich war es.

Das ist auch den Griechen bekannt. Und deswegen fragen sich ja auch viele: Herr Juncker hat sich genau aus diesem Grund auch einmal mit starken Ländern in Europa anlegen müssen – kann er jetzt sicher sein, dass er deren Unterstützung hat?

Ich habe mich für die eingesetzt, die besonders unter der Krise gelitten haben. Um beim Beispiel Griechenland zu bleiben: Das waren ja vor allem die einkommensschwachen Griechen, die unter der Krise gelitten haben. Andere haben nur so getan, als ob sie auch gelitten hätten. Wenn wir in Deutschland oder in Frankreich die Reformprogramme hätten durchführen müssen, die in Griechenland durchgeführt werden mussten, dann hätte es einen Aufstand in Nordeuropa gegeben. Deshalb sollten die Nordeuropäer etwas bescheidener auftreten. Ich habe mich deshalb sehr oft mit größeren Ländern anlegen müssen, weil ich als Vorsitzender der Euro-Gruppe die Sorge hatte, dass alle an diesem gemeinsamen Rettungswerk teilnehmen sollten. Ich möchte nicht systematisch streiten, aber ich habe keine Angst vor "großen Tieren".

Sie sind gegen Euro-Anleihen - das haben Sie auch neulich in Deutschland gesagt. Angeblich sind die Sozialdemokraten dafür. Wie ist der Stand der Dinge?

Ich bin mir nicht so sicher, was die Sozialisten diesbezüglich denken. Ich habe mich vor Jahren prinzipiell für Euro-Anleihen ausgesprochen, habe aber immer darauf aufmerksam gemacht, welche Vorbedingungen erfüllt sein müssen, damit sie überhaupt Sinn haben. Und die Vorbedingungen sind, dass es zu einer stärkeren Steuerharmonisierung kommen muss, dass wir mehr europäisches Mitspracherecht brauchen, wenn es um die nationale Haushaltsgestaltung geht, dass wir eine stärkere Koordinierung der Wirtschaftspolitik brauchen. Und weil nicht zu erwarten ist, dass dies in den nächsten fünf Jahren alles an Ort und Stelle verfügbar sein wird, bin ich der Meinung, dass es in den nächsten fünf Jahren keine Euro-Bonds geben kann, weil die Grundvoraussetzungen nicht erfüllt sind.

Der luxemburgische Politiker Jean-Claude Juncker ist der Spitzenkandidat der konservativen Europäischen Volkspartei (EVP) für das Amt des Präsidenten der EU-Kommisssion. Der ehemalige Premier Luxemburgs war von 2005 bis 2013 Vorsitzender der Euro-Gruppe.

Das Gespräch führte Jannis Papadimitriou.