Juncker ist nicht schuld
29. Juni 2005Die Verfassung auf Eis, die Finanzverhandlungen geplatzt und Europa in einer schweren Krise: So hat sich der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker den Zustand der Europäischen Union bestimmt nicht ausgemalt, als er vor sechs Monaten das rotierende Amt des Ratspräsidenten antrat. Nachdem ihm der Brite Tony Blair mit seinem kategorischen Nein zum EU-Haushalt, die Franzosen und Niederländer mit ihrem Nein zur Verfassung einen dicken Strich durch die Rechnung machten, ist Jean-Claude Juncker, der auch früher schon zu trockenen zynischen Kommentaren neigte, nur noch verbittert und müde.
EU braucht Antworten
Juncker muss erkennen, dass das alte Europa der Integrationisten, für das der Musterstaat Luxemburg und der Mustereuropäer Juncker immer standen, so nicht mehr existiert. Seinen Traum, der erste über mehrere Jahre amtierende Präsident der Europäischen Union zu werden, kann Juncker nach dem Gipfeldebakel wahrscheinlich aufgeben, zumal die Verfassung, die dieses Amt vorsah, wenn überhaupt, dann erst mit vielen Jahren Verspätzung in Kraft treten wird.
Am Ende der aktuellen Ratspräsidentschaft mahnt Juncker, die heutige Politikergeneration habe nicht das Recht zu zerstören, was Generationen vor ihnen in Europa geschaffen hätten. Er meint natürlich den britischen Premier Tony Blair, aber auch die Niederlande, Schweden und einige neue Mitgliedsstaaten. Denn diese Staaten wollen einen anderen Kurs. Die Grundsatzdebatte über den Kurs Europas, entweder Markt oder Union, muss nun geführt werden. Das ist das Gute, das aus der Krise am Ende der Luxemburger Präsidentschaft erwächst. Die EU muss die längst überfällige Antwort auf die Frage ihrer Bürger geben: Wohin steuern wir mit 25, 27 und demnächst über 30 Staaten an Bord?
Juncker hatte keine Alternativen
Es ist Zufall, dass die Krise nun ausgerechnet unter Luxemburger Hoheit ausgebrochen ist. Eine persönliche Schuld trifft den Ratspräsidenten und seine fleißige Mannschaft nicht, ihr Management war exzellent. Es ist erstaunlich, wie präzise und effizient die Luxemburger die schier unüberschaubare Menge an Räten, Konferenzen, Gipfeln, Sitzungen und Reisen organisiert haben. Denn schließlich hat das Großherzogtum gerade einmal 400.000 Einwohner - so viel wie Bochum oder Dresden.
In der Rückschau sagen einige Kritiker, Jean-Claude Juncker sei zu ehrgeizig gewesen, er hätte das Scheitern des Gipfels eher kommen sehen müssen. Das mag sein, aber er hatte wohl kaum eine Alternative. Hätte der gewiefte Verhandlungstaktiker den Streit nicht bis zum bitteren Ende durchgefochten, sondern auf die lange Bank geschoben, hätte dies der Sache nicht gedient. Jetzt ist die Zeit für Diskussionen über den richtigen Weg und Entscheidungen.
Ein schwacher Trost bleibt dem luxemburgischen Premier, der ja nebenbei auch noch Mr. Euro, also Chef der Finanzminister aus dem Euro-Währungsraum ist: Er hat einen einstimmigen Beschluss zur Reform des Stabilitätspaktes ausgehandelt. Ob das Aufweichen und Auflockern der Regeln eine gute Tat war, werden die nächsten Jahre zeigen.
Wackelige politische Zukunft
Wenn jetzt der britische Regierungschef Tony Blair die Präsidentschaft übernimmt, wird Jean-Claude Juncker ihn genau beobachten. Wird Blair seiner Ankündigung, die EU, ihre Ziele und ihren Haushalt führungsstark zu modernisieren, auch Taten folgen lassen? Zweifel sind angebracht, ob ihm das in den kommenden sechs Monaten gelingen kann. Er bräuchte dazu auf jeden Fall die Unterstützung des gedemütigten Luxemburgers, denn der ist in der EU nach wie vor ein Leitwolf, ein europäisches Alphatier.
Eine Ironie der Geschichte wäre es, wenn ausgerechnet sein eigenes Volk Jean-Claude Juncker vom europäischen Sockel holen sollte. Wenn die Luxemburger am 10. Juli die EU-Verfassung ablehnen sollten, wird Juncker zurücktreten. Das hat er angedroht. Das wäre ein bittere Niederlage für ihn, aber auch ein Verlust für Europa.