Juncker erwartet Einigung mit Briten
17. Dezember 2015Im Streit mit den Briten über eine EU-Reform vor dem "Brexit"-Referendum rechnet EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker mit einem Kompromiss. Er sei "ziemlich überzeugt, dass wir eine Lösung für dieses hoch komplizierte Problem finden", sagte Juncker vor Beginn des EU-Gipfels in Brüssel. Dazu müsse London seine Forderung nach einer Streichung von Sozialleistungen für EU-Ausländer aber wohl fallen lassen.
Der britische Premierminister David Cameron will seine Landsleute spätestens 2017 über einen Verbleib in oder einen Ausstieg aus der EU (Brexit) abstimmen lassen. Davor pocht er auf eine Veränderung der EU-Regeln. Dazu gehören der Plan, EU-Ausländer durch Kappung von Sozialleistungen aus dem Vereinigten Königreich fernzuhalten, mehr Rechte für nationale Parlamente sowie Deregulierung und Bürokratieabbau. Nur wenn seine Forderungen erfüllt werden, will Cameron für den EU-Verbleib des Königreichs kämpfen.
"Wir wollen einen fairen Deal mit Großbritannien, wir wollen nicht, dass die Briten austreten", sagte Juncker dazu. Auf die Frage, ob er die Vierjahresregel für durchsetzbar halte, sagte er: "Die EU-Kommission ist bereit, nach anderen Möglichkeiten zu suchen."
"Ohne Tabus"
EU-Parlamentspräsident Martin Schulz bekräftigte, er habe Zweifel, ob eine vierjährige Ausnahme von Sozialleistungen für EU-Ausländer "akzeptabel" sei. In einem ersten Schritt müsse geklärt werden, ob nicht Regelungen innerhalb des britischen Sozialsystems gefunden werden könnten, die die Freizügigkeit in der EU nicht berührten.
Auf dem EU-Gipfel wird beim Abendessen erstmals ausführlich über die britischen Forderungen gesprochen. Der Einsatz sei so hoch, dass sich die Staats- und Regierungschefs nicht um eine Diskussion "ohne Tabus" drücken könnten, hatte EU-Ratspräsident Donald Tusk in seinem Einladungsbrief geschrieben.
Hauptthema bei dem EU-Gipfel wird erneut die Flüchtlingskrise sein. Deutschland und Österreich forderten im Vorfeld mehr europäische Solidarität bei der vereinbarten Verteilung von 160.000 Flüchtlingen. Österreichs Bundeskanzler Werner Faymann schloss finanzielle Konsequenzen für weniger solidarische EU-Mitglieder nicht aus. "Wer unter dem Strich mehr Geld aus dem EU-Haushalt erhält als einzahlt, sollte sich bei einer fairen Verteilung der Flüchtlinge nicht einfach wegducken", sagte er der "Welt". Wer sich verweigere, stelle die gesamte Finanzierung des EU-Haushalts infrage. Man müsse sich bei der Überprüfung des Finanzrahmens genau ansehen, welche Länder sich in der Flüchtlingsfrage besonders unsolidarisch verhielten. Solidarität sei keine Einbahnstraße.
Kein Durchbruch erwartet
Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel kritisierte, die Verteilung der Flüchtlinge komme viel zu langsam voran. Die Bundesregierung bestehe darauf, dass bereits getroffene Vereinbarungen konsequent umgesetzt würden. Deutschland will sich Merkel zufolge für einen dauerhaften und verbindlichen Mechanismus zur Verteilung der Flüchtlinge in Europa einsetzen. Der zweitägige Gipfel in Brüssel werde hier allerdings keinen Durchbruch bringen, so die Kanzlerin.
Ratspräsident Donald Tusk will dazu aufrufen, bereits gefasste Beschlüsse konsequenter in die Tat umzusetzen. Bei der vor knapp drei Monaten vereinbarten Zahl von 160.000 Flüchtlingen, die innerhalb der EU verteilt werden sollen, geht es im wesentlichen um Menschen, die in Griechenland und Italien ankamen. Einige mittel- und osteuropäische Staaten sperren sich hier nach wie vor.
In diesem Zusammenhang dürfte auch der umstrittene Vorschlag der EU-Kommission zur Stärkung des europäischen Grenzschutzes zur Sprache kommen. Merkel erklärte, sie werde den Vorstoß zum Aufbau einer europäischen Küstenwache und Grenzschutzpolizei auf dem Gipfel in Brüssel "sehr stark unterstützten", sagte die Kanzlerin bei ihrem Eintreffen in Brüssel. Auch wenn auf dem Treffen noch nichts entschieden werde, hoffe sie auf eine Empfehlung des Gipfels zu "sehr schnellen" Beratungen über das Dossier.
Die Pläne sehen vor, dass die gestärkte und personell ausgebaute europäische Grenzschutzagentur Frontex notfalls auch gegen den Willen der betroffenen Staaten zur Sicherung der Außengrenzen aktiv werden kann. Etliche Mitgliedstaaten sehen das skeptisch, weil damit Kernfragen ihrer Souveränität berührt sind.
Kommissionspräsident Juncker rechnet mit einer generellen Zustimmung der EU-Staaten zum Aufbau eines gemeinsamen Grenz- und Küstenschutzes. "Ich gehe davon aus, dass es zumindest eine prinzipielle Zustimmung zu unseren Plänen gibt", sagte Juncker. Gleichwohl sei ihm bekannt, dass es viele Bedenken im Detail gebe. "Die gilt es zu berücksichtigen."
stu/mak (afp, dpa, rtr)