Julian Assange: Bundestagsabgeordnete fordern Freilassung
7. Juli 2022"Journalistinnen und Journalisten dürfen für ihre Arbeit nicht verfolgt und bestraft werden. Nirgendwo." Mit diesen Worten beginnt ein offener Brief von mehr als 80 Bundestagsabgeordneten. Die Unterzeichner aus vier Bundestagsfraktionen setzen sich für die Freilassung des Wikileaks-Gründers Julian Assange ein, aus humanitären Gründen, aber auch im Interesse der Pressefreiheit: "Gemeinsam mit vielen britischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier appellieren wir an die britische Regierung, die Pressefreiheit zu verteidigen und ihre Entscheidung, Assange an die USA auszuliefern, zu überdenken."
Der Enthüllungsjournalist hat gerade zum dritten Mal seinen Geburtstag im britischen Hochsicherheitsgefängnis begehen müssen. Dort wird er seit dem 19. April 2019 festgehalten. Assanges letzter Tag in Freiheit liegt weit länger zurück: Es war der 7. Dezember 2010. Danach lebte der Wikileaks-Gründer eine Woche in Untersuchungshaft, anderthalb Jahre mit einer elektronischen Fußfessel, fast 82 Monate im Botschaftsasyl der ecuadorianischen Botschaft in London, bevor die britische Polizei ihn festnahm.
Aufgedeckt: Kriegsverbrechen, Machtmissbrauch
Die von Assange gegründete Enthüllungsplattform Wikileaks hatte in Zusammenarbeit mit internationalen Medien geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan veröffentlicht. Darin wurden Kriegsverbrechen der USA und Machtmissbrauch aufgedeckt.
In der Folge will die US-Justiz Assange wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Bei einer Verurteilung drohen ihm bis zu 175 Jahre Haft. Vorgeworfen wird ihm, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning, das geheime Material gestohlen und veröffentlicht zu haben. Dies habe auch das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht, sagen die US-Behörden. Belege für diese Behauptung fehlen.
Nach einem sich über Jahre hinziehenden Auslieferungsverfahren hatte die britische Innenministerin Priti Patel am 17. Juni dem Auslieferungsantrag an die USA zugestimmt. Eine Entscheidung, die von den Verfassern des offenen Briefes als "bedauerlich und falsch" bezeichnet wird.
"Abschreckender Effekt auf Pressefreiheit"
Die Abgeordneten aus den Regierungsfraktionen von SPD, Grünen und FDP sowie der oppositionellen Linken betonen die Bedeutung einer freien Presse als "elementaren Bestandteil jeder Demokratie". Sie zeigen sich besorgt über den "abschreckenden Effekt, den die Auslieferung von Assange auf die Pressefreiheit und auf den investigativen Journalismus weltweit haben könnte". Ihr Fazit: "Die Auslieferung Assanges wäre ein fatales Signal für Journalistinnen und Journalisten weltweit".
Für Mitunterzeichner Frank Schwabe ist die Lage klar. Der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion sagt der DW: "Julian Assange gehört nicht in ein Gefängnis. Und er gehört schon erst recht nicht an ein Land ausgeliefert, in dem ihm drakonische Strafen drohen."
Diese klare Haltung aus dem Deutschen Bundestag, zeigt sich Schwabe überzeugt, müsse die transatlantische Zusammenarbeit aushalten können. Für Schwabe ist der Fall Assange "auch eine Frage der Glaubwürdigkeit unseres wichtigen gemeinsamen Menschenrechtsverständnisses an vielen anderen Stellen".
Forderung an Biden: Auslieferungsverfahren einstellen
Der offene Brief ruft auch US-Präsident Joe Biden auf, vom Gesuch auf Auslieferung Julian Assanges abzusehen. Er verweist zudem auf eine Resolution der parlamentarischen Versammlung des Europarates, die ebenfalls die Freilassung des Enthüllungsjournalisten fordert.
Zugleich erklären die Unterzeichner, die Bundesregierung bei ihren Gesprächen mit den USA und Großbritannien in der Sache Assange unterstützen zu wollen.
Der Vorsitzende der Nichtregierungsorganisation "Reporter ohne Grenzen", RoG, wertet den offenen Brief im DW-Interview als "sehr starkes Signal". Noch nie habe sich eine so große Zahl an Parlamentariern einem offenen Brief zur Unterstützung Julian Assanges angeschlossen. Mihr gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass die Bundesregierung dieses Signal ernst nehme "und sich in aller Deutlichkeit gegenüber US-Präsident Joe Biden positioniert".
Die deutsche Regierung hat sich bislang zurückhaltend zur drohenden Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange an die USA geäußert. Die DW hat beim Außenministerium eine Stellungnahme zum offenen Brief angefragt.
Nachdem die britische Innenministerin Mitte Juni grünes Licht für die Auslieferung gegeben hatte, sagte Außenministerin Annalena Baerbock, in den USA sei eine Entscheidung getroffen worden, "die wir aus unserem Rechtsverständnis anders sehen".
Mit Blick auf die Pressefreiheit dürfe es keine Einschränkungen geben. Baerbock hatte zugleich darauf verwiesen, dass der Rechtsweg noch nicht gänzlich ausgeschöpft sei. Tatsächlich haben die Anwalte Assanges am 1. Juli Berufung gegen die Auslieferungsentscheidung eingelegt.
Auch Petitionsausschuss macht sich für Assange stark
Der offene Brief kommt einen Tag, nachdem der Petitionsausschuss des deutschen Bundestages eine Petition angenommen hat, die sich gegen die "psychologische Folter" des Wikileaks-Gründers wendet. "Der Bundestag möge beschließen, die zur Zeit stattfindende psychologische Folter des Journalisten Julian Assange und den damit verbundenen Angriff auf die Pressefreiheit in Deutschland und Europa aufs Schärfste zu verurteilen", heißt es in der Petition, über die am Mittwoch im Ausschuss abgestimmt wurde.
Der Petitionsausschuss nimmt in seiner Beschlussempfehlung Bezug auf den früheren UN-Sonderberichterstatter für Folter, Nils Melzer. "Nach einem Besuch des inhaftierten Assange im britischen Gefängnis Belmarsh hatte dieser einen insgesamt kritischen Gesundheitszustand sowie typische Folgesymptome lang andauernder psychologischer Folter festgestellt", heißt es in der Beschlussempfehlung, die der DW vorliegt.
Der Petitionsausschuss wie auch die Bundesregierung nähmen die Berichte der UN-Sonderberichterstatter sehr ernst. "Der Ausschuss betont in diesem Zusammenhang, dass menschenwürdige Haftbedingungen einen elementaren Bestandteil rechtsstaatlicher justizieller Verfahren darstellen."
Insgesamt hält auch der Petitionsausschuss die "Verurteilung eines Journalisten wegen dessen Publikationen jedenfalls geeignet, das Vertrauen in die Freiheit der Presse zu erschüttern."