Jubel über Al-Sisi
4. Juni 2014"Abdel Fattah Sayyid Khalil Hussein al-Sisi - bekannt als Abdel Fattah al-Sisi - hat 23 Millionen Wählerstimmen bekommen." Endlich verkündet die verzerrte Stimme aus dem Lautsprecher das, worauf die Menschen auf dem Tahrir-Platz seit Stunden warten. Abdel Fattah al-Sisi ist der neue Präsident der Republik Ägypten. Was seit Monaten absehbar war, ist nun Realität. Die Menschen tanzen, Frauen lassen ihr schrilles Jodeln erklingen, Kinder strecken jubelnd die Hände in die Luft und formen mit ihren kleinen Fingern den Buchstaben "C", das Zeichen für "Sisi". Es liegt fast eine Art Erleichterung über dem Platz, der in rot, weiß und schwarz versinkt.
Es ist Brauch, dass die neuen Präsidenten auf dem größten Platz von Kairo bekanntgegeben werden, dass es eine Art Fest gibt, um das neue Staatsoberhaupt zu begrüßen. So war es auch bei Mohammed Mursi. Doch heute sei es anders, versichern die Anwesenden. Die Stimmung sei gelöster, es seien viel mehr junge Menschen hier als vor zwei Jahren.
Eine starke Persönlichkeit für Ägypten
Tatsächlich ist die fröhliche Masse ein Querschnitt der ägyptischen Bevölkerung, oder vielmehr der 23 Millionen, die Al-Sisi zum Retter ihrer Nation auserkoren haben. Jetzt werde alles besser, meint auch Mohammad. Er ist extra aus Mansura angereist, um seinen neuen Präsidenten zu feiern. 2012 habe er Mursi gewählt, doch das sei ein großer Fehler gewesen, wie er heute wisse. "Ägypten braucht eine starke Persönlichkeit, nicht einen wie Mursi", betont Mohammad, hält mit seinen Händen einen imaginären Controller und bedient mit seinen Daumen die unsichtbaren Joysticks: "Mursi war wie eine Playstation. Andere haben ihn kontrolliert und gesteuert." Doch Al-Sisi komme aus dem Militär, er regiere das Land mit seinem Verstand. Davon ist Mohammad überzeugt.
Er war auch schon 2011 auf dem Tahrir, als sie Langzeit-Präsident Husni Mubarak gestürzt haben. Auch ein Mann des Militärs, auch ein Mann, der seine Kritiker einsperren ließ. Mohammad sieht das anders. Jetzt könne schließlich jeder sagen, was er denke - ohne Angst zu haben. Wie zum Beweis zeigt er auf die Menschenmenge vor ihm.
Der Tahrir ist nur halb voll an diesem Abend. Vielleicht, weil es zu heiß ist. Deswegen seien viele ja auch nicht wählen gegangen, so die Begründung aus Al-Sisis Wahlkampfteam. Der Platz gleicht einer Festung. Militär und Polizei wissen um die Gefahr von Anschlägen. Panzer und Stacheldraht riegeln alle Zufahrtsstraßen ab. Wer auf den Platz will, muss durch Metalldetektoren. Taschen werden durchsucht. Die Angst ist groß, dass sich die rächen, auf die hier alle so einen Hass haben.
Die Muslimbrüder, der kollektive Feind
So auch Safaa, eine schwarz verschleierte Frau um die 50. Sie beginnt fast jeden ihrer Sätze mit einem hasserfüllten "Die Muslimbrüder, das sind Terroristen!". Safaa trägt ein großes Transparent vor sich, darauf ein kleines Foto von ihrem Sohn Amr und seine Geschichte. 313 Tage sei es her, dass die Muslimbrüder ihn hier auf dem Tahrir-Platz erschossen hätten. Sie seien auf den Platz gekommen und hätten sich an allen rächen wollen, die nicht ihrer Meinung waren. Safaa hat Al-Sisi gewählt, natürlich. Denn nur er mache endlich Schluss mit dem Terror: "Ich sage dir, Sisi, versöhne dich nicht mit den Muslimbrüdern auf den Leichen unserer Söhne und auf ihrem Blut. Sie sind Märtyrer. Sie haben für Ägypten mit ihrem Blut bezahlt."
Die Umstehenden nicken. Es herrscht große Einigkeit an diesem Abend. Kampf gegen die Muslimbrüder, Sicherheit für das Land, wirtschaftlicher Aufschwung. Wie Al-Sisi den erreichen will? Die Antwort darauf ist er bisher schuldig geblieben. Aber die Menschen auf dem Tahrir brauchen sie auch nicht, nicht heute Abend.
Alles zurück auf Anfang
Islam steht ein bisschen verloren in der Menge. Er fällt auf. Er schwenkt keine Flagge, ist nicht bemalt, trägt kein Sisi-T-Shirt. Er wohne um die Ecke und sei nur zufällig nach dem Einkaufen vorbeigekommen. Und nun steht er einfach nur da und schüttelt den Kopf: "Ich verstehe meine Landsleute nicht mehr." Auch er war 2011 hier, hat die Revolution gefeiert. Er weiß, dass danach viele Fehler begangen wurden, anders kann er sich die Entscheidung der Ägypter nicht erklären. "Die Jahre nach der Revolution und unter Mursi waren für viele schlimmer als die Zeit unter Mubarak. Wenn die Menschen das Schlimmste gesehen haben, dann erscheint ihnen das Schlechte immer noch als die bessere Wahl", sagt er philosophisch und spielt auf Al-Sisis Gegner Hamdien Sabahi an. Der sei einfach keine Alternative gewesen.
Und so haben sich 96, 91 Prozent der ägyptischen Wähler für den neuen starken Mann entschieden. Einen Mann des Militärs, der auf Härte setzt, nicht auf Freiheit. Der verehrt wird wie einst Mubarak, zu Beginn seiner Präsidentschaft. Und es scheint, als wiederhole sich die Geschichte.