Arbeit und Asyl gesucht
26. Dezember 2012Homaira Adeel flüchtete, ohne zu wissen, wohin. Die 22-Jährige hatte nur ein Ziel: ihr Heimatland verlassen. "Vorher hätte ich niemals gedacht, ich würde mal weg aus Afghanistan sein." Auch ein Jahr nach ihrer Flucht kann Homaira noch immer nicht glauben, jetzt in Deutschland, in einem Berliner Café zu sitzen. Und das, obwohl sie immer wusste, dass sie auch nach der Herrschaft der Taliban grundsätzlich gefährlich lebt: als Frau, die einem Beruf nachgeht - und das auch noch als Journalistin. Sie habe niemals akzeptieren können, "nur zuhause zu sitzen". Schon als Schülerin arbeitete sie beim Kinderprogramm eines afghanischen Fernsehsenders in ihrer Heimatstadt Kabul, später machte sie Radio-Beiträge und schrieb Artikel für einheimische Magazine.
Nach wie vor bezahlen in Afghanistan viele Frauen die Entscheidung für einen Beruf mit ihrem Leben. Erst Anfang Dezember wurde die Frauenbeauftragte Afghanistans erschossen, ihre Vorgängerin war durch eine Autobombe ums Leben gekommen. Homaira weiß um zahlreiche weitere, weniger prominente Fälle. Ungeduldig springt sie im Gespräch vom Deutschen ins Englische, als sie die Namen der ermordeten Frauen nennt und dabei immer deren Geschichten anreißt. Englisch hat sie bei einer Nachbarin in Kabul gelernt, heimlich, als die Taliban Mädchen nicht mal erlaubten, zur Schule zu gehen. Wenn es um ihre eigene Geschichte geht, wird Homaira einsilbig. Sie windet sich, sagt, ihr gehe es um die grundsätzliche Situation der Frauen in Afghanistan, nicht um sich. Nur soviel: Sie habe die Flucht angetreten, als sich ihr spontan die Gelegenheit bot. Gemeinsam mit einer Gruppe anderer Afghanen, die sie nicht kennt, machte sie sich auf. In Richtung Westen. In ihrer Handtasche fast nichts. Darunter, was ihr am wichtigsten ist: ihr Laptop.
Wochen später landet sie in einem Asylbewerberheim in Zittau, einer Kleinstadt im südöstlichen Sachsen dicht an den Grenzen zu Polen und Tschechien. Homaira kennt dort niemanden, sie versteht und spricht kein Deutsch. Sie will schreiben, will arbeiten - doch sie darf nicht als Asylbewerberin in Deutschland. Und sie kann nicht: ohne Internetzugang in ihrer Unterkunft. "I lost my hope", keine Hoffnung mehr hatte sie da, erinnert sie sich.
"Reporter ohne Grenzen" hilft
Das Nothilfereferat von Reporter ohne Grenzen (ROG) in Berlin unterstützt nach Deutschland geflohene Journalisten und Blogger im Asylverfahren. Beispielsweise bezieht die Nichtregierungsorganisation im Einzelfall Stellung gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, also der Behörde, die über die Anträge entscheidet. "Dazu müssen wir die Informationen der Betroffenen checken, das geben wir an Paris weiter, wo die regionalen Experten sitzen, und die recherchieren dann auch vor Ort", erklärt Jens-Uwe Thomas, Leiter des Nothilfereferats. Für politische Flüchtlinge ist es mitunter lebenswichtig, den Behörden beweisen zu können, dass sie in den Herkunftsländern verfolgt werden - sonst droht ihnen die Abschiebung. Journalisten genießen also mit der Unterstützung durch Reporter ohne Grenzen ein wertvolles Privileg, glaubt auch Jens-Uwe Thomas: "Wir haben schon recht hohe Anerkennungsquoten gegenüber anderen Flüchtlingen."
Seit 2009 wurde bisher noch keiner der etwa 200 Journalisten abgeschoben, die vom Nothilfereferat betreut wurden. Doch das Asylverfahren dauert bis zu drei Jahre. Eine lange Zeit des Wartens, irgendwo in einer Asylbewerberunterkunft am Rande einer ostdeutschen Stadt oder auf einem rheinland-pfälzischen Dorf. Reporter ohne Grenzen kritisiert, dass die Betroffenen während dieser Zeit durch die Residenzpflicht in ihrer Bewegungsfreiheit stark eingeschränkt sind und keine Möglichkeit haben, an kostenlosen Deutschkursen teilzunehmen. Dies sei in einem Beruf, in dem Sprache eine Schlüsselqualifikation ist, nicht hinnehmbar. Denn die meisten Exiljournalisten wollen auch fern der Heimat in ihrem Beruf weiterarbeiten.
Mentorenprogramm geplant
Homaira hat Glück. Ihr Asylverfahren dauert nur ein Jahr. In der Zwischenzeit zieht sie mit Hilfe einer Flüchtlingsinitiative von Zittau nach Berlin. Hier hat sie nun ihre erste eigene Wohnung, hier lernt sie Deutsch. Und sie engagiert sich in der ROG-Arbeitsgruppe "Journalisten im Exil". Ihr erster Artikel, seitdem sie nicht mehr in Afghanistan lebt, erscheint in einem Newsletter, den sie mit anderen Kollegen aus dem Iran, Somalia und Pakistan herausgibt. In dem Beitrag geht es um ein Thema, das ihr spürbar unter den Nägeln brennt: die Situation von Frauen in Afghanistan. Über die dürfe man sich nicht täuschen lassen, so Homairas These, "nur weil einige wenige von ihnen mittlerweile öffentlich in Erscheinung treten dürfen".
Im kommenden Jahr möchte sie Politik studieren und ein Praktikum in einer deutschen Redaktion machen. Selbst das ist für ausländische Journalisten auch mit jahrelanger Berufserfahrung schwierig, weiß Jens-Uwe Thomas. Die Initiative "Neue deutsche Medienmacher" stellte jüngst fest: "Die Vielfalt unserer Einwanderungsgesellschaft findet sich weder in der Berichterstattung noch in den Redaktionsräumen wieder." Aber das soll sich ändern. Um die Kontaktaufnahme zwischen deutschen und ausländischen Journalisten zu erleichtern, plant das Nothilfereferat in Zusammenarbeit mit Redaktionen und Sendern ein Mentorenprogramm, bei dem erfahrene Journalisten Berufsanfänger in Deutschland unterstützen. Homaira würde gerne daran teilnehmen.