Ein Held im Kampf gegen Rassismus
27. Juli 2020John Lewis wird mit allen Ehren am Montag und Dienstag im Kapitol in Washington D.C. aufgebahrt. Zuvor konnten die Menschen unter anderem in seiner Heimatstadt Troy im US-Bundesstaat Alabama noch einmal von ihm Abschied nehmen.
Er war ein schwarzer Bürgerrechtler, ein Demokrat, ein Abgeordneter, der 33 Jahre lang im US-Abgeordnetenhaus seinen Wahlkreis im US-Bundesstaat vertreten hat. Bereits seit längerem war bekannt, dass Lewis an Krebs erkrankt war. Am 17. Juli starb er im Alter von 80 Jahren an den Folgen der Krankheit.
Damals Emmett Till, heute George Floyd?
Die aktuelle Antirassismus-Bewegung in den USA führt einen Kampf, den Lewis bereits in den 1960er Jahren mit Berühmtheiten wie Martin Luther King selbst geführt hat. "John hat immer wieder sein Leben aufs Spiel gesetzt in der Hoffnung, unser Land zu verändern", erinnert sich Charles "Chuck" Neblett, der damals ebenfalls aktiv im Kampf gegen Rassismus war - und es heute noch ist. Die beiden lernten sich in der Bürgerrechtsbewegung kennen.
"Was mich und viele andere damals motivierte, den Kampf gegen Rassendiskriminierung von John Lewis und Martin Luther King beizutreten, war die Ermordung des 14-jährigen schwarzen Amerikaners Emmett Till. Er wurde von weißen Männern gelyncht, einfach zu Tode geschlagen", erinnert sich Neblett. Die Täter kamen 1955 nach nur fünf Verhandlungstagen frei. Die Jury bestand aus zehn weißen Männern. Zwischen 1880 und 1968 wurden 3446 schwarze Amerikaner gelyncht. Ermittlungen blieben aus, genauso wie Strafen gegen die Täter.
Was damals der Tod Emmett Tills auslöste, war eine Intensivierung des Kampfes gegen die Rassentrennung in den USA. Es war eine Initialzündung für die Bürgerrechtsbewegung. Chuck Neblett sieht heute in George Floyd eine ähnliche Figur: "Es hat sich nicht so wahnsinnig viel geändert in meinem Land. Schwarze Menschen werden nach wie vor ohne Grund getötet. Floyds Tod hat heute die Menschen genauso empört und entsetzt wie damals der Tod von Till - deshalb gehen sie heute erneut auf die Straße.", sagt er und fügt hinzu: "Aber es ist wichtig, John Lewis Worte dabei im Kopf zu behalten: Er hat uns beigebracht, den Protest als gewaltlose Aktion anzugehen. Das ist sein wichtigstes Vermächtnis".
"Seid konstruktiv, nicht destruktiv"
Neblett trat 1961 dem Studentenbund Student Nonviolent Coordinating Committee (SNCC) in seiner Universität bei, der Southern Illionis University. Damals herrschte in den Südstaaten noch eine strikte Rassentrennung auf öffentlichen Plätzen, in öffentlichen Verkehrsmitteln, oder auch in Restaurants.
"Es war eine schreckliche, einfach unmenschliche Zeit" erzählt Neblett. "Wenn man damals in ein Restaurant ging, konnte man alles erwarten. Es konnte sein, dass Leute hereinkommen und dich einfach verprügeln, dich ins Gefängnis bringen - wir mussten es aber gewaltfrei auf uns nehmen. Eine der ersten Personen, die sich trotz gewalttätiger Übergriffe am eigenen Leib überzeugt von der Gewaltfreiheit zeigte, war John Lewis."
An Lewis Einstellung hat sich über die Jahrzehnte nichts geändert. Ende Mai schrieb Lewis inmitten der Proteste anlässlich des Mordes von George Floyd einen seiner letzten Tweets: "Ich kenne euren Schmerz, eure Wut, eure Verzweiflung." Aufruhr, Plünderungen und Brände seinen nicht der Weg. "Demonstriert. Steht auf. Geht wählen. Aber seid konstruktiv, nicht destruktiv."
"Bloody Sunday"
1965, als der berühmte Marsch von rund 600 Afroamerikanern, geführt von John Lewis, auf der Edmund-Pettus-Brücke in Selma, Alabama, stattfand, war Neblett auch dabei. "Als wir an diesem Tag in der Mitte der Brücke standen und ich all diese Sicherheitskräfte sah", erinnert sich Neblett, "da wusste ich, dass es großen Ärger geben würde, aber dass wir trotzdem weiter marschieren mussten. Einige gingen auf die Knie und beteten, ich hielt die Augen weit offen. Dann ging alles sehr schnell."
Aufnahmen von damals zeigen, wie die Polizei und die Truppen anfingen, friedliche Demonstranten mit ihren Stöcken zu schlagen. "Es war plötzlich ein blutiges Durcheinander. Man konnte nur hören, wie überall Leute schrien. Es war ein Massaker", erzählt Neblett, der mit kleineren Verletzungen davonkam.
John Lewis hingegen erlitt bei diesem Marsch schlimmste Verletzungen. Er lag noch Tage später auf der Intensivstation. Die Bilder von Polizisten, die auf ihn und andere Unbewaffnete einschlugen, entfachten eine politische Dynamik in den USA, die letztendlich politische Wahlen für Afroamerikaner nicht nur auf dem Papier möglich machte. Der Tag ging als "Bloody Sunday", als "Blutiger Sonntag" in die Geschichte ein.
Das Lied der Freiheit
Heute verfolgt Chuck Neblett voller Sorge die Proteste der vergangenen Wochen in Portland und die Reaktion der von US-Präsident Donald Trump entsandten Sicherheitskräfte darauf. "Trump schickt zunehmend Bundespolizisten in Staaten, in denen protestiert wird. Ich glaube, das wird noch richtig schlimm werden. Sogar schlimmer als 1965. Denn damals haben wir gegen Rassisten gekämpft, die keine direkte Unterstützung im Weißen Haus hatten. Heute ist es anders."
Neblett bezeichnet sich eigentlich als optimistischen Menschen, als Macher. Genau das hat er auch an John Lewis so bewundert. "Er predigte nicht nur, er agierte auch. Er ist deshalb mein Held im Kampf." In diesen Tagen gibt es ein Lied, an das er immer wieder zurückdenken muss, den "Freedom Song":
"Als ich jung war, kämpfte ich für Freiheit.
Als ich jung war, kämpfte ich gegen den Klan. (Ku-Klux-Klan, Anm. d. Red.)
Wer hätte gedacht, dass ich immer noch kämpfe,
Vierzig oder Fünfzig Jahre danach."