John Kerry entschuldigt sich in Paris
16. Januar 2015John Kerry hat etwas wieder gut zu machen: In der französischen Presse war es den amerikanischen Freunden ziemlich übel genommen worden, dass sich beim historischen Trauermarsch durch Paris kein hochrangiger Vertreter aus Washington hatte blicken lassen. "Es schmerzt mich, dass ich nicht dabei sein konnte", versichert Kerry jetzt, ohne allerdings zu erklären, warum er sein Besuchsprogramm nicht etwas umstellen konnte. Dieser diplomatische Fehltritt soll ausgebügelt werden. Also fuhr der US-Außenminister am Freitagvormittag zu den Tatorten, dem jüdischen Supermarkt an der Porte de Vincennes und den Büros von Charlie Hebdo, um dem dort nach wie vor aufgehäuften Berg von Blumen ein weiteres Gebinde hinzuzufügen. Er sei gekommen, um den Franzosen sein Beileid und seine Zuneigung zu erklären, erklärt der Amerikaner.
Kerry mit Liebeserklärung an Frankreich
Diese Geste wird auch deshalb als überfällig angesehen, weil die Franzosen im Kampf gegen den IS im Nahen Osten und etwa durch den Einsatz in Mali die wichtigsten militärischen Partner der USA sind. Es sind französische Kampfjets, die im Irak Angriffe gegen IS-Stellungen fliegen, erinnerten Kommentatoren in diesem Zusammenhang. Im historischen Rathaus von Paris können die Zuschauer dann einen völlig verwandelten John Kerry erleben: Teilweise in Französisch hält er eine emotionale Eloge auf Frankreich, das Geburtsland seiner Mutter. "Ich möchte, dass ganz Paris und ganz Frankreich unsere Anteilnahme spüren", sagt Kerry und lobt in bewegten Worten das französische Engagement für die Meinungsfreiheit. Zur musikalischen Untermalung hat er auch noch James Taylor und seine Gitarre mitgebracht. Und natürlich beschwören alle Redner des Tages die internationale Zusammenarbeit gegen die terroristische Bedrohung. Die übliche Rhetorik bekommt Gewicht durch die Razzien der vergangenen Nacht und die verhinderten Anschläge in Belgien.
Indirekte Verbindungen zwischen Terror in Belgien und in Frankreich
Ministerpräsident Manuel Valls versichert, es gebe keine direkte Verbindung zwischen den Anschlägen in Paris und dem in Belgien ausgehobenen Terrornetzwerk. Am Vormittag gibt er die Festnahme von zwölf Terrorverdächtigen in der vergangenen Nacht bekannt. Acht Männer und vier Frauen werden inzwischen von Spezialkräften verhört, weil sie verdächtigt werden, den Attentäter Amédy Coulibaly logistisch unterstützt zu haben. Es geht um die Waffen und die Tatfahrzeuge - ein Auto und ein Motorrad. "Wir lassen keine Spur aus, wir verfolgen alle denkbaren Komplizen", versichert Valls. Und er lobt die Professionalität der belgischen Polizei: Der verhinderte Anschlag dort habe gezeigt, dass andere europäische Länder ebenso bedroht seien wie Frankreich.
Allerdings gibt es durchaus eine Art von belgischem Zusammenhang: Der Attentäter Coulibaly hatte ein weiteres Auto bei einem belgischen Unterweltkontakt in Charleroi gekauft und seine Waffen in der kriminellen Szene um den Brüsseler Bahnhof Midi besorgt. Der frühere französische Geheimdienstchef Bernard Squarcini betont, "Belgien und Frankreich sind die Brutstätten für die Radikalisierung von jungen Leuten, die dann für IS in den Kampf ziehen". Kein Land in Europa entsende pro Kopf der Bevölkerung mehr Kämpfer als das kleine Belgien: Rund 300 stammen von dort, etwa 1300 aus Frankreich. "Sie haben zusammen gelernt mit Waffen umzugehen, ihre Hemmungen zu überwinden und zu töten, und sie bleiben in Kontakt wenn sie zurück kommen".
Regierung Hollande im Aufwind
Präsident Francois Hollande tritt beim Neujahrsempfang für die Diplomaten in Paris einmal mehr als Vater der Nation auf: "Wir führen einen Krieg gegen den Hass", sagt er, in Anlehnung an seine vielbeachtete Rede im Institut des Mondes Arabes am Donnerstag, wo er den Muslimen versichert hatte, sie seien in Frankreich willkommen und sollten geschützt und respektiert werden. Auch Holland wies angesichts der Vorfälle in Belgien darauf hin, dass "die gesamte internationale Gemeinschaft in Gefahr durch den Terrorismus ist und eine gemeinsame, entschlossene Antwort finden muss". Seiner Regierung übrigens verschaffen die Ereignisse der vergangenen Woche einen ungeahnten Aufschwung: Nach den letzten Umfragen ist seine Popularität aus dem Nichts auf 29 Prozent gestiegen. Francois Hollande hat bisher keine Fehler gemacht, räumen sogar seine politischen Gegner ein, er findet von Tag zu Tag den richtigen Ton. Und die Arbeitsteilung mit Ministerpräsident Manuel Valls funktioniert gut: Er gibt den Bluthund im Kampf gegen den Terror, Hollande den einsichtsvollen Präsidenten, der über dem politischen Streit steht.
Die Stimmung bleibt nervös
Am Freitagmittag schreckt die Nachricht von einer Geiselnahme in Colombes, einem nordwestlichen Vorort von Paris die Bevölkerung auf. Allerdings wiegelt die Polizei schnell ab: Bei dem schwerbewaffneten Mann, der zwei Geiseln in seine Gewalt brachte, soll es sich um einen geistig gestörten Täter handeln. Die Sache ist nach ein paar Stunden vorbei, allerdings zeigt der Vorfall, wie sehr die Nerven blank liegen. Rast mehr als ein Einsatzfahrzeug der Polizei vorbei, schauen die Gäste der Straßencafés in Paris auf. Hier machten sich übrigens am Freitagmorgen erneut tausende Bewohner auf die Jagd nach einem Exemplar von Charlie Hebdo. Seit Mittwoch kam die dritte Auflage auf den Markt, und die ultimative Frustration besteht darin, eine halbe Stunde hinter einer jungen Mutter mit weinendem Kind gewartet zu haben, die dann das letzte Exemplar ergattert. Auch am zweiten, dritten und vierten Kiosk im Viertel grinsen die Besitzer nur: "Charlie? Auch heute schon fünf Minuten nach Acht ausverkauft". Die Redaktion will jetzt ein Download zur Verfügung stellen - aber das ist wohl nicht dasselbe, wie eines der gedruckten historischen Exemplare mit dem weinenden Propheten auf der grünen Titelseite.